Gut fürs Klima, gut für die Wirtschaft – und dennoch in größter Gefahr. Der EU-Emissionshandel auf der Kippe
Gut fürs Klima, gut für die Wirtschaft – und dennoch in größter Gefahr. Der EU-Emissionshandel auf der Kippe
Das Europaparlament stimmt am 16. April über den notwendigen ersten Schritt in die lange geforderte Reform des Emissionshandels ab. Doch viele Europaparlamentarier zögern. Soll man der Wirtschaft angesichts der noch nicht überwundenen Krise durch eine Reform tatsächlich höhere CO2-Preise bescheren?
Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist das Herzstück der EU-Klimapolitik – und gleichzeitig Instrument moderner europäischer Industriepolitik. Dabei ist seine wichtigste Aufgabe, dass er die Unternehmen dazu anregt, in effiziente, emissionsarme Technologien und Verfahren zu investieren. Tut ein Untenehmen genau das, benötigt es weniger Zertifikate, die es sonst zum Teil ersteigern müsste. Der Mechanismus hilft darum, dass Europa seine Führungsrolle bei den zukunftsgerichteten Effizienztechnologien gegen Wettbewerber halten kann.
Der Handel wurde zudem eingerichtet, um die EU-Emissionsziele möglichst kostengünstig zu erreichen. Er soll für einen planbaren, ruhigen Übergang in eine emissionsneutrale Wirtschaft sorgen. In den kommenden 35 Jahren muss sich die Wirtschaft der EU vom CO2-Ausstoß fast vollständig verabschieden. Je länger Europa aber mit dem Abschied wartet, desto mehr werden wir dafür investieren müssen. Je steiler der CO2-Ausstiegspfad, desto teurer wird es am Ende.
Niemand investiert mehr
Doch der CO2-Handel in seiner jetzigen Form leistet all dies nicht. Er steckt in der größten Krise seiner achtjährigen Existenz. Er kenne niemanden auf der Welt, der bei den derzeitig extrem niedrigen Zertifikatspreisen in CO2-arme Technologien investieren würde, hatte E.on-Chef Johannes Teyssen bereits im Februar 2012 gespottet. Bei Preisen um nur noch 5 Euro je Tonne Treibhausgas nimmt die Verstromung der dreckigen Braunkohle wieder zu. Europaweit werden Kohlekraftwerke und andere kapitalintensive Investitionen geplant, die vor Ablauf ihrer Lebensdauer stillgelegt werden müssen, will die EU ihr langfristiges Klimaziel nicht in den Wind schreiben. Offshore-Windparks und Gaskraftwerke dagegen entwickeln sich zu Investitionsruinen. Das gefährdet massiv die Energiewende. Und fortschrittliche Unternehmen werden dafür bestraft, dass sie noch vor wenigen Jahren mit steigenden CO2-Preisen kalkulierten.
Eine riesige Überangebotsblase hat den Handel mit Zertifikaten inzwischen fast zum Erliegen gebracht. Keiner braucht die Emissionsscheine, weil alle genug davon haben. Schuld ist die Politik. Sie hat so viele Emissionsscheine verteilt und so große Schlupflöcher geschaffen, dass selbst ohne Wirtschaftskrise viel zu viele Zertifikate auf dem Markt wären.
Lobbyschlacht gegen Klimaschutz
Niemand kann ein Interesse daran haben, dass Unternehmen weitere Arbeitsplätze nach Übersee verlagern. Die energieintensive Industrie wurde darum mit ausreichend Ausnahmeregelungen versorgt. Dennoch orchestrieren einige Unternehmen gegen die Vorschläge der Kommission zur CO2-Handelsreform eine der größten Lobbyschlachten, die Europa seit Jahren gesehen hat. Für diese Unternehmen geht es inzwischen offensichtlich darum, ein prinzipielles Zeichen gegen eine europäische Vorreiterrolle im Klimaschutz zu setzen.
Wenn sie damit durchkommen, wäre das für den globalen Klimaschutz katastrophal. Die vergangenen Klimaverhandlungen haben deutlich gezeigt: Wenn die EU mit glaubwürdigen eigenen Zielen für Emissionsreduktion, für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz vorangeht, kann sie Bündnisse mit anderen Staaten aufbauen und so den Druck auf China und die USA erhöhen. Eine ambitionierte EU-Klimapolitik – und das betrifft insbesondere einen funktionierenden Emissionshandel – ist das Vorbild, das die internationalen Klimaverhandlungen voranbringt. Zwei der drei nächsten Klimagipfel wird die EU im eigenen Haus haben, nämlich 2013 in Warschau und 2015 in Paris. Das erhöht noch mal die Pflicht, Führungsstärke zu zeigen.
Abschied vom 2 °C-Limit?
Zeigt die EU politischen Willen, ihr zentrales Klimaschutzinstrument wieder zu stärken? Oder wird das Überangebot an Zertifikaten die Preise wie prognostiziert bis mindestens 2020 auf nahe Null drücken und die Wirtschaft damit über Jahre keine Emissionsminderung mehr leisten müssen?
Das Signal wäre: Die EU ruht sich aus. Wir verabschieden uns von unserem versprochenen Beitrag zum Vorhaben, die globale Erwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius zu begrenzen.
Und was bringt ein robuster Emissionshandel Deutschland? Durch Ausnahmeregelungen und gehortete Zertifikate wäre die energieintensive deutsche Wirtschaft von steigenden Zertifikatspreisen nur mäßig betroffen. Eine CO2-Handelsreform reduziert zudem die Kosten für die Ökostrom-Umlage. Denn höhere Zertifikatspreise verteuern den schmutzigen Kohlestrom, dadurch steigt auch der inzwischen sehr niedrige Preis an der Strombörse wieder. Da sich die von uns allen zu zahlende EEG-Umlage am Abstand von Strombörsenpreis und der (festen) Vergütung für die Anbieter von grünem Strom bemisst, sinkt die Umlage.
Die Reform des Emissionshandels stärkt damit Energiewende und Wettbewerbsfähigkeit gleichzeitig. Deutschland profitiert doppelt.