In einer Zeit der globalen Krisen steht Deutschland vor einer Richtungswahl. Wir brauchen eine Politik, die an Menschenrechten, planetaren Grenzen und Gerechtigkeit orientiert ist – um die Grund- und Freiheitsrechte auch für die jungen und die kommenden Generationen hier und anderswo zu sichern. Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz, dem Europäischen Green Deal, dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) sind auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene maßgebliche Bezugspunkte für die Politik gesetzt.
In der nun anstehenden Legislaturperiode muss es um die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung gehen. Denn in dieser Dekade entscheidet sich, ob die Klima- und Nachhaltigkeitsziele eingehalten werden können. Es geht ums Handeln – jetzt!
Es ist Aufgabe der nächsten Bundesregierung, eine Gesamtstrategie zu entwickeln, die alle staatlichen Institutionen, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und jeden Einzelnen für die Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele in die Pflicht nimmt. Dabei muss es gerecht zugehen. Die zunehmend ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung ist auch ein Hindernis für die Wende zur Nachhaltigkeit. Es bedarf eines entsprechenden Umbaus des Finanz- und Steuersystems. Die Schuldenbremse darf kein Hindernis sein, um die notwendigen Investitionen für den Schutz der Lebensgrundlagen auf den Weg zu bringen. Neben öffentlichen Investitionen muss der Staat auch den geeigneten Rahmen setzen, um ausreichend privates Geld dafür verfügbar zu machen. Der Wandel wird Geld kosten – aber Nichthandeln wäre gefährlicher und teurer.
Um die globalen Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können, muss die Bundesregierung alles dafür tun, dass die EU nach innen und außen handlungsfähig bleibt und noch mehr füreinander einsteht. Die Bundesregierung muss sich in Brüssel für eine ambitionierte Umsetzung des Europäischen Green Deals einsetzen – und zwar in allen Politikfeldern. Das gilt nicht nur für die Klimapolitik, sondern beispielsweise genauso für die Agrar- und Handelspolitik.
Die neue Bundesregierung muss diese großen Herausforderungen angehen. Die folgenden Punkte sind kein umfassendes Programm dafür – aber sie benennen zehn unverzichtbare Schritte, die sich aus den Germanwatch-Arbeitsschwerpunkten ergeben. Sie müssen in ein breites Reformprogramm für ein gerechteres, nachhaltigeres und international verantwortungsvolleres Land integriert werden.
10 Germanwatch-Kernforderungen zur Bundestagswahl 2021
1. Nachhaltigkeitsziele als Richtschnur des Regierungshandelns >>1. Nachhaltigkeitsziele als Richtschnur des Regierungshandelns
SDGs und Klimaschutz müssen für alle Ministerien verbindlich werden. Die Zusammenarbeit der Ministerien muss dafür anders und besser organisiert, jedes Gesetz hinsichtlich der Auswirkungen auf Menschenrechte, Klimaschutz und Nachhaltigkeit überprüft werden. Ein Bundestagsausschuss für Nachhaltigkeit muss Mitsprache im Gesetzgebungs- und Haushaltsverfahren erhalten. Gemeinsam mit den Bundesländern sollte die Bundesregierung Bildung für Nachhaltige Entwicklung im Sinne des UNESCO-Programms BNE2030 zum Leitbild für alle Bildung machen.
2. Nutzen des Finanzmarkts als Hebel zur Finanzierung des Wandels >>2. Nutzen des Finanzmarkts als Hebel zur Finanzierung des Wandels
Wir fordern eine kluge Regulierung des Finanzmarkts, damit Risiken vermieden und die notwendigen Veränderungen leichter finanziert werden können. Die öffentliche Hand muss bei der zukunftsorientierten Offenlegung von Klimarisiken und der Lenkung eigener Finanzflüsse als Vorreiterin vorangehen. Die Sustainable-Finance-Strategie der Bundesregierung muss nachgeschärft, die wichtigen und konkreten Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats müssen umgesetzt werden.
3. Schneller, naturverträglicher Ausbau von Wind- und Solarkraft >>3. Schneller, naturverträglicher Ausbau von Wind- und Solarkraft
Ambitionierte Klimaziele im Strom-, Verkehrs- und Gebäudesektor sowie in der Industrie lassen sich nur mit deutlich schnellerem Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen. Wir fordern höhere Ausbauziele, bessere Planungs- und Genehmigungsverfahren und den Ausbau der notwendigen Netze. Für Bürger:innen braucht es überzeugende politische und ökonomische Teilnahmekonzepte. 2030 muss der Kohleausstieg abgeschlossen sein und mindestens 80% des Stroms müssen aus erneuerbaren Energien stammen.
4. Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung und Umbau der Landwirtschaft >>4. Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung und Umbau der Landwirtschaft
Die Ausrichtung der Landwirtschaft auf immer mehr Produktion zu international wettbewerbsfähigen Preisen verursacht hohe Treibhausgasemissionen, gefährdet durch Antibiotikaeinsatz die Gesundheit, beschleunigt das Höfesterben und zerstört Märkte für Bauern im Globalen Süden. Wir fordern die Reduktion der Tierbestände, die Bindung der Tierzahlen an die lokale Futterfläche und eine Abgabe auf tierische Lebensmittel, um eine tierwohlgerechte Haltung mit existenzsichernden Erzeugerpreisen zu ermöglichen.
5. Mobilitätswende von Auto und Flug zum Zug >>5. Mobilitätswende von Auto und Flug zum Zug
Um die Klimaziele zu erreichen und den Rohstoffverbrauch zu senken, brauchen wir nicht nur eine Antriebswende zur Elektromobilität, sondern eine Mobilitätswende, die zu weniger und kleineren Autos und weniger Flügen führt. Wir fordern ein sofortiges Moratorium für den Bau von Autobahnen und Bundesstraßen, ein Enddatum für den fossilen Verbrennungsmotor, einen Europatakt für attraktive Zugverbindungen und Investitionen in das deutsche und europäische Schienennetz.
6. Aufbau einer Kreislaufwirtschaft >>6. Aufbau einer Kreislaufwirtschaft
Der hohe Ressourcenverbrauch unserer Volkswirtschaft muss schrittweise gesenkt und – weit über Recycling-Konzepte hinaus – von einer Kreislaufwirtschaft abgelöst werden. Wir fordern verbindliche Ziele zur absoluten Reduktion der Nutzung von Primärrohstoffen und die dafür nötigen Maßnahmen, wie eine Ressourcensteuer und eine Substitutionsquote.
7. Digitalisierung für das Gemeinwohl >>7. Digitalisierung für das Gemeinwohl
Wir fordern einen politischen Rahmen für Digitalisierung, der den Schutz der Lebensgrundlagen mit dem Schutz der Demokratie verknüpft. Dazu gehört auch, die Bundesförderung für die Digitalisierung der Schulen und Lernorte auf nachhaltige, inklusive und demokratieförderliche Lösungen auszurichten.
8. Neuausrichtung der Handelspolitik an den Menschenrechten und am Schutz der Lebensgrundlagen >>8. Neuausrichtung der Handelspolitik an den Menschenrechten und am Schutz der Lebensgrundlagen
Statt der bisherigen Freihandelsabkommen, die Menschenrechte, SDGs und Pariser Klimaziele unzureichend berücksichtigen, fordern wir eine neue Form von Partnerschaftsabkommen. Die Ratifikation des Mercosur-Freihandelsabkommens muss ausgesetzt werden, solange der Schutz von Menschenrechten, Klima und Wald nicht gesichert ist. Die Investitions- und Handelspolitik mit den Staaten Afrikas muss im Sinne eines Pakts für soziale und ökologische Nachhaltigkeit neu gestaltet werden.
9. Wirksames europäisches Lieferkettengesetz >>9. Wirksames europäisches Lieferkettengesetz
Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass das geplante EU-Lieferkettengesetz über das beschlossene deutsche Gesetz hinausweist: Unternehmen müssen für ihre gesamte Lieferkette Verantwortung übernehmen und dabei Menschenrechte und Umwelt achten. Das Gesetz braucht klare Haftungsregeln zum Schutz Betroffener. Es sollte die wirksamsten Elemente aus Lieferkettengesetzen der Mitgliedstaaten aufgreifen. Das deutsche Gesetz muss entsprechend nachgeschärft werden.
10. Internationale Zusammenarbeit für Klima und Nachhaltigkeit >>
10. Internationale Zusammenarbeit für Klima und Nachhaltigkeit
Wir fordern eine strategische und kohärente Klimaaußenpolitik, ambitionierte Klimapartnerschaften mit anderen Ländern und eine Erhöhung der internationalen Klimafinanzierung, die sich am tatsächlichen Bedarf für die Einhaltung der Pariser Ziele und die Bewältigung von Klimafolgen orientiert – zusätzlich zu den lange zugesagten 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsfinanzierung. Es braucht eine Initiative zur Um- und Entschuldung für Länder des Globalen Südens, damit diese nach der Corona-Krise einen gerechten und klimakompatiblen Wiederaufbau stemmen können.