Blogpost | 28.05.2020

Vom Hof auf den Tisch

EU-Strategie stärkt nachhaltige Landwirtschaft, aber vernachlässigt Klima und Tierhaltung
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Die Europäische Kommission hat letzte Woche mit Corona-bedingter Verspätung ihren Vorschlag für eine ernährungspolitische Strategie der Europäischen Union, die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm to Fork“) vorgelegt. Mit ihr sollen Landwirtschaft und Ernährung als Lebensmittelsystem analysiert und nachhaltiger gestaltet werden. Erzeugung und Verbrauch von Lebensmitteln sollen so umgestaltet werden, dass die Einkommen der LandwirtInnen steigen, Lieferketten nachhaltiger, krisenfester und für alle Beteiligten tragfähig werden und die Gesundheit der VerbraucherInnen sich ebenso verbessert wie Arten- und Klimaschutz. So soll die Farm to Fork Strategie einen entscheidenden Beitrag zum Europäischen Green Deal und den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung leisten.

Die Strategie setzt dafür in wichtigen Bereichen Zielmarken, um vor allem die ökologisch problematischen Wirkungen der industriellen Landwirtschaft zu verringern. So soll der Einsatz von Pestiziden bis 2030 halbiert werden. Nährstoffverluste, die zum Beispiel zu Nitrat im Grundwasser beitragen, sollen um mindestens 50 Prozent, der Einsatz von synthetischen Düngemitteln um immerhin 20 Prozent verringert werden. Der Ökolandbau soll auf ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche ansteigen. Auch sollen bis 2030 nur noch halb so viele Antibiotika an die Tierhaltung und Aquakultur verkauft werden. Damit übertrifft die EU-Kommission die deutsche Antibiotikaregulierung deutlich, die gar kein konkretes Reduktionsziel aufweist. Begrüßenswert ist, dass die Kommission die logische Verbindung zieht zwischen mehr Tierschutz, weniger Antibiotika und nachhaltiger Tierzucht. Die EU Kommission plant bis 2023, die Tierschutzvorschriften und deren Durchsetzung zu verbessern. Dabei erwägt sie neuerdings auch Tierwohlkennzeichnungen entlang der Lebensmittelkette.

Trotz positiver Ansätze hakt es beim Klimaschutz und den Agrarsubventionen.

Bei allen begrüßenswerten Vorgaben fällt auf, dass zum zentralen Anliegen des Europäischen Green Deal, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, in der Farm to Fork Strategie keine klare Zielmarke für Landwirtschaft und Ernährung bestimmt wird. Stattdessen wird betont, dass die Treibhausgasemissionen aus der EU-Landwirtschaft seit 1990 um 20 Prozent gesunken sind und die Kommission im September einen neue Klimaschutzplan vorlegen will, mit dem die Emissionen bis 2030 um insgesamt 55Prozent verringert werden sollen. Welchen Beitrag das Lebensmittelsystem dazu leisten soll, bleibt aber offen.

Dabei benennt die Farm to Fork-Strategie unter „Herausforderungen“ ganz klar, an welcher Stelle für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft angesetzt werden muss: 70 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der EU Landwirtschaft stammen aus der Tierhaltung. Da wirkt es unverständlich, dass der industriellen Tierhaltung kein Klimaziel verordnet wird.

Um die Emissionen zu verringern, sollen laut Farm to Fork-Strategie „innovative Futterzusätze“ gefördert werden. Dabei ist umstritten, inwieweit diese Zusätze den Methanausstoß bei Wiederkäuern zuverlässig reduzieren. Alternativen zu klimaschädlich erzeugten Futtermitteln (auf entwaldeten Flächen angebautes Soja) klingen da schon besser. Sie verringern zwar den globalen Fußabdruck der europäischen Tierhaltung – nicht aber die in der EU entstehenden Emissionen und tragen demnach rechnerisch nicht zum Erreichen der EU-Klimaziele bei. Zudem sollen in der Absatzförderung für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der EU die nachhaltigsten und klimaeffizientesten Methoden der Tierhaltung unterstützt werden. Die wirksamste Maßnahme, um Emissionen aus der Tierhaltung zu verringern, nämlich die Fleisch- und Milcherzeugung zu verringern und damit weniger Tiere zu halten, findet sich in der Strategie "Vom Hof auf den Tisch" bisher nicht. Das wäre aber notwendig, um weitere in der Strategie definierte Ziele, wie die Halbierung des Antibiotikaeinsatzes, die Vermeidung von Nährstoffüberschüssen und einen besseren Tierschutz, zu erreichen.

Im Abschnitt zu „nachhaltiger und gesunder Ernährung“ der Strategie wird immerhin anerkannt, dass in der EU mehr „rotes Fleisch“ (von Schwein, Rind, Schaf, Ziege) und verarbeitete Fleischwaren verzehrt werden, als aus Gesundheits- und Umweltgründen empfehlenswert sind. Verbraucherinformation und -aufklärung sollen zu gesünderem Ernährungsverhalten führen. Das impliziert einen verringerten Verbrauch von rotem Fleisch - allerdings nicht von Geflügel, obwohl bei dessen Erzeugung besonders viel Antibiotika und Sojafutter eingesetzt werden.

Zweiter Haken: Die EU-Agrarsubventionen werden als Instrumente, um die Tierhaltung klimafreundlicher zu machen, gar nicht erwähnt. Nach den aktuellen Budgetplänen der EU-Kommission für die Gemeinsame Agrarpolitik sollen die Flächenprämien praktisch unverändert bleiben. Damit würden jedes Jahr über 30 Milliarden Euro an Großbetriebe fließen, bisher ohne wirksame Umwelt- und Tierschutzauflagen. Darüber hinaus droht ausgerechnet den Förderprogrammen für Umweltschutz nach Plänen der Kommission jeder vierte Euro gestrichen zu werden. Dies steht im direkten Widerspruch den im „Vom Hof auf den Tisch“ formulierten Zielen.

Haushalt und die Subventionen auf die Strategie ausrichten

Die EU-Kommission muss also dringend bei der Finanzplanung des EU-Haushaltes nachbessern. Nur wenn die insgesamt bisher 60 Milliarden Euro jährlicher Agrarzahlungen konsequent umverteilt werden zugunsten nachhaltig wirtschaftender bäuerlicher Betriebe, für Ökolandbau und tiergerechtere Haltungen, kann es gelingen, Pestizide und Antibiotika in der Landwirtschaft bis 2030 zu halbieren, und den Ausstoß von Klimagasen zu verringern. Germanwatch fordert, die Agrarsubventionen im EU-Haushalt an den Zielen der Farm to Fork-Strategie auszurichten, und damit LandwirtInnen attraktive, neue Einkommensmöglichkeiten durch umwelt- und klimafreundliche Erzeugung zu eröffnen. Geschieht das nicht, läuft die Strategie an wichtigen Punkten ins Leere.

Die Farm to Fork Strategie stellt einige Fortschritte in Aussicht, wenn es darum geht, den Einsatz ökologisch problematischer Mittel wie Antibiotika, Pestizide und Dünger zu verringern. Bei den zentralen Fragen des Klimaschutzes und der damit verbundenen Tierhaltung bleibt sie jedoch zu vage. Hier müssen Mitgliedstaaten und das Europäisches Parlament nachbessern.

In Deutschland hat mit dem Kompetenznetzwerk Tierhaltung ein von vielen Interessengruppen getragenes Beratungsgremium ein solides Konzept zum Umbau der Tierhaltung erarbeitet. Die Bundesregierung sollte dieses in die Debatte um die Farm to Fork Strategie und die Reform der Europäischen Agrarpolitik einbringen. Denn anders als die EU-Strategie zeichnet sich das Konzept durch einen konkreten Finanzierungsplan mit marktkonformen Förderanreizen aus: Zusätzlich zum Marktpreis erhalten die LandwirtInnen einen Tierwohlzuschlag: Kalkuliert werden von den ExpertInnen rund 40 Cent pro Kg Fleisch und 2 Cent pro Kg Milch, die direkt an die Höfe fließen sollen, um Investitionen in tiergerechte Ställe und höhere laufende Kosten in besseren Haltungssystemen finanzieren zu können. Die Vorschläge wurden im Auftrag von Ministerin Klöckner von einem Beratungsgremium unter Vorsitz des früheren Landwirtschaftsministers Borchert mit unterschiedlichsten Interessengruppen ausgearbeitet und stießen auf breite Zustimmung auch aus der Wirtschaft. Es wäre politisch nur konsequent, wenn sich die Bundesregierung das Konzept für den Umbau der Tierhaltung zu eigen macht und es in die Debatte um die Farm to Fork Strategie und die Reform der Europäischen Agrarpolitik einbringt.

Nach jahrelangen erbitterten Grabenkämpfen bietet sich damit erstmals die Chance für so etwas wie einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen einerseits den LandwirtInnen und der Bevölkerung auf der Verbraucherseite: Bauernhöfe werden dafür bezahlt, dass sie gesellschaftlich gewollte Lebensmittel inklusive Tierschutz- und Umweltleistungen erbringen und erhalten dafür im Gegenzug die von ihnen gewünschte gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung: monetär und auch im Sinne von Anerkennung für den Berufsstand.