Was ist los mit der WTO?
Was ist los mit der WTO?
Seit Abschluß der achten Verhandlungsrunde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens - bekannt als Uruguay-Runde - und der Gründung der Welthandelsorganisation 1995 hat das Welthandelsregime eine erhebliche Stärkung erfahren. Die alten Ausnahmebereiche, wie der Textil- und Bekleidungssektor oder der Agrar-handel, wurden weitgehend den GATT-Regeln unterworfen, und die Reichweite des Abkommens wurde substantiell vergrößert. War das GATT bis 1994 nur für den Warenhandel zuständig, umfassen die drei Verträge, die bei einer WTO-Mitgliedschaft unterzeichnet werden müssen, nun auch den Handel mit Dienstleistungen und das Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS). Die Regeln des alten GATT von 1947 wurden gestrafft und in vielerlei Hinsicht präzisiert und erweitert. Zusätzlich wurde das Streitschlichtungsverfahren zu einem wirkungsvollen Instrument ausgebaut. Mußten vor 1995 alle Vertragsparteien einem Schiedspruch zustimmen, bevor er Rechtskraft erhielt - also auch die verurteilte Partei - müssen nach den Veränderungen nun alle WTO-Mitglieder einen Schiedsspruch ablehnen, um ihn zurückzuweisen - also einschließlich der Partei, die Recht bekommen hat. Entstanden ist ein Welt-han-delsregime, daß - verglichen mit dem Vorgänger-GATT - trotz mancher verbliebener Schwächen - wirkungsvoll und mit hoher Durchsetzungskraft versehen ist.
Die Konsequenzen für Entwicklungsländer
Zunächst ist festzuhalten, daß ein regelgebundenes, multilaterales Welt-handelssystem gerade schwächeren Teilnehmern am Welthandel Vorteile bietet. Besonders Entwicklungsländer (EL) haben in den 80er Jahren oft unter der unilateralen Außenhandelspolitik der großen Handelsnationen, vor allem den USA und der EU, gelitten. Agrarexportsub-ven-tionen ruinierten die Weltagrar-märk-te mit weitreichenden sozialen und ökologischen Auswirkungen, hohe Hürden im Welttextilhandel haben viele Entwicklungsländer beim Ausbau ihrer Textilwirtschaft behindert, eine wachsende Zahl von versteckten sog. "nicht-tari-fären" Handelshemmnissen bestimmten den Handelsalltag besonders von EL. Hierzu gehörten "freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen" und Anti-Dumping-Maßnahmen ebenso wie undurchsichtige Importregeln im Hinblick auf technische oder andere Arten von Standards. In vielen der hier benannten Problembereiche hat die Uruguay-Runde Vorteile für EL gebracht. Die meisten Verfahren sind transparenter und Mißbrauch ist schwieriger geworden. EL haben bereits eine Reihe von Streitschlichtungsverfahren gewonnen - auch gegenüber den USA und der EU.
Den genannten positiven Entwicklungen stehen aber auch erhebliche Schwächen, nicht zufriedenstellende Ergebnisse und unzureichend geregelte Bereiche gegenüber. Das komplexe Regelwerk bedarf an wichtigen Stellen substantieller Ergänzungen:
Während in den für Industrieländer (IL) interessanten neuen Themen (z.B. dem Handel mit Dienstleistungen) substantielle Liberalisierungserfolge durchgesetzt werden konnten, wurden gerade in den Handelsbereichen, die für ärmere EL von Bedeutung sind, wie dem Agrar- oder Textilbereich, nur sehr unzureichende Zugeständnisse der IL erreicht. Die IL konnten beispielsweise zwei Drittel ihrer Agrarexportsubventionsmöglichkeiten retten.
Das neue Regelwerk der WTO greift weit in nationalstaatliche Befugnisse ein, z.B. der Festsetzung lebensmittelrechtlicher Standards. Zwar steht in der Präambel der WTO als eine Zielvorgabe "Nachhaltige Entwicklung", da aber kaum einer der folgenden Artikel oder Zusatzabkommen in der Substanz ökologischen oder sozialen Erwägungen Platz einräumt, wirkt das WTO-Regelwerk vor allem als Liberalisierungsabkommen. Welche der Maßnahmen ein Land zum Schutz der Umwelt, sozialer Menschenrechte und einer nachhaltigen Landbewirtschaftung ergreifen kann, wird zunehmend durch das WTO-Regelwerk bestimmt. Es kann im Detail zu substantiellen Beschränkungen bei der Ergreifung nationaler Politikmaßnahmen führen. Die Forderung nach Einbeziehung sozialer und ökologischer Kriterien bezieht sich deshalb nicht zuerst auf handelsbegrenzende Maßnahmen, sondern auf eine Achtung nationaler Politikspielräume, die notwendig sein können, um wirkungsvollen Umweltschutz oder die Achtung der Menschenrechte durchzusetzen.
Dies soll nicht als Plädoyer gelesen werden, der WTO Regelungsbefugnisse einer Internationalen Umweltorganisation oder der Internationalen Arbeitsorganisation zukommen zu lassen - im Gegenteil. Dennoch muß sichergestellt werden, daß bei der Festlegung von Standards und bei der Beurteilung von Handelsmaßnahmen in Streitbeilegungsverfahren auch ökologische oder soziale Kriterien Berücksichtigung finden. Die Durchführung kann dabei so gestaltet werden, daß die Befürchtungen von EL ernstgenommen und wirksam entkräftet werden, durch solche Vertragserweiterungen werde einem neuen Pro-tektionsimus in grünem oder menschenrechtlichem Gewande Vorschub geleistet.
Problematisch ist zudem, daß die Kompetenzen und die Finanzausstattung derjenigen Institutionen im UN-System, die für Ökologie und Menschenrechte zuständig sind, nicht zunehmen, während im Bereich der Wirtschaftspolitik substantielle qualitative Neuerungen erreicht werden konnten. Es ist dieses Ungleichgewicht der Entwicklung, das dazu führt, daß die entstehenden Governance-Strukturen auf internationaler Ebene von der ökonomischen Rationalität dominiert werden, während andere Anliegen geschwächt werden.
Die Welthandelsorganisation wurde zudem außerhalb des UN-Systems angesiedelt und hat bislang nur mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds Kooperationsabkommen unterzeichnet.
Nur formelle Gleichberechtigung
Formell sind alle WTO-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt, dennoch behindert die Struktur der Verhandlungen viele Entwicklungsländer an einer effektive Partizipation am Entscheidungsprozeß. Die hohe Zahl regelmäßiger Treffen, die permanente Weiterentwicklung der Vertragsergebnisse und die sehr hohe Zahl von Treffen mit informellem Charakter verhindern, daß alle Mitglieder tatsächlich gleichberechtigt in den Verhandlungen involviert werden. Über 20 WTO-Mitglieder haben keine Vertretung in Genf, sechs Mitglieder überhaupt keine in Europa. Zur Frequenz der Treffen kommt die Komplexität der Verhandlungsmaterien. Viele Entwicklungsländer haben inzwischen offiziell erklärt, daß sie große Teile der Ergebnisse der Uruguay-Runde weder in nationales Recht überführt, noch in ihrer ganzen Reichweite verstanden haben. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Initiativen zur Verbesserung der Verhandlungspositionen von EL im WTO-System. Die WTO hat ein eigenes technisches Informations- und Unterstützungssekretariat für EL eröffnet. Auf die Initiative der Niederlande geht die Gründung eines außerhalb der WTO angesiedelten Rechts-hilfezentrums für Entwicklungsländer zurück, das sie darin unterstützen soll, die Möglichkeiten der WTO-Prozeduren, z.B. das Streitschlichtungsverfahren, effektiv zu nutzen.
Michael Windfuhr