Juristische Beschleunigung für Klima-Schnecken?

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Juristische Beschleunigung für Klima-Schnecken?

 

Die internationale Politik kommt ihrer Verantwortung für die Begrenzung des Klimawandels nicht angemessen nach. Obwohl immer mehr Menschen von Wetterkatastrophen betroffen sind, gibt es Klimafortschritt nur im Schneckentempo. Ein Beispiel dafür sind die USA, die aus dem weltweiten Klimschutzabkommen, dem sogenannten Kyoto-Protokoll, ausgebrochen sind. Doch "Klimakillern" könnte demnächst der Wind scharf ins Gesicht wehen: Es zeichnet sich ab, dass die wachsende Kluft zwischen Untätigkeit auf der einen und Klimaschäden auf der anderen Seite neue Akteure auf den Plan ruft: die Juristen.

 

Es mehren sich die Stimmen von Rechtsexperten, die warnen, dass Schadensersatzklagen wegen des globalen Klimawandels in Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnten. "Wir werden in den nächsten zehn Jahren eine ganze Menge Klima-Klagen sehen", meint der britische Umweltjurist Peter Roderick. Auch Andrew Strauss, Professor für internationales Recht in Philadelphia, argumentiert: "Es gibt wenige Grundprinzipien im internationalen Recht. Aber wenn jemand Dir Schaden zufügt, dann sollten zwei Dinge passieren. Erstens sollten diese Personen mit der Schädigung aufhören. Zweitens sollten sie Dich für den angerichteten Schaden kompensieren." Strauss hält es prinzipiell für möglich, dass in Zukunft jedes Land, dass mehr als seinen "fairen Anteil" an Treibhausgasemissionen emittiert, angeklagt werden könnte. Insbesondere die USA seien ein besonders überzeugendes Ziel. Nicht nur, weil hier knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung etwa 25 Prozent der Klimagase freisetzen - die USA sind, gefolgt von Australien, der größte Emittent von Kohlenstoffen - sondern auch, weil die Bush-Regierung aus dem Kyoto-Abkommen ausgestiegen ist. So ist Strauss auch nicht verwundert, dass der Ministerpräsident des Inselstaates Tuvalu die Prüfung entsprechender Klagen bereits angekündigt hat.

Aber nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen, die große Mengen an Treibhausgasen freisetzen oder fossile Rohstoffe in den Handel bringen, könnten sich Risiken ausgesetzt sehen. Damit beschäftigt sich auch der Jurist David Grossmann. In einem kürzlich im Columbia Journal of Environmental Law veröffentlichten Artikel zeigt er auf, dass Schadensersatzklagen gegen Öl-Gesellschaften, Energieversorgungsunternehmen oder Autohersteller erfolgversprechend sein könnten. Andere Juristen argumentieren, Unternehmen, denen nachgewiesen werden könne, dass sie wider besseres Wissen die Risiken des globalen Klimawandels öffentlich geleugnet hätten, könnten am ehesten angeklagt werden. Es sei wahrscheinlich, dass solche Klagen vor US-amerikanischen oder australischen Gerichten eingereicht würden.

Doch können solche Klagen erfolgreich sein? Als wichtigstes Gegenargument führen viele Juristen immer wieder an, dass die Kausalität nicht nachgewiesen werden könne. Hat tatsächlich der Angeklagte dem Opfer Schaden zugefügt? Ist etwa Exxon für eine bestimmte Flutkatastrophe verantwortlich zu machen? Der Physiker Myles Allen von der Oxford Universität argumentiert in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature vom 27.2.03, dass dieses Problem - die Kalkulation des Haftungsanteils - in absehbarer Zeit überwunden werden könne. Zwar würde man nie in der Lage sein, zu kalkulieren, welchen Anteil menschgemachter Klimawandel an einer Flut oder einem Sturm habe. Aber es sei möglich, eine "wahrscheinlichkeitsgewichtete Haftung" nach dem jeweiligen Stand des Wissens zu kalkulieren. Noch seien wir nicht dazu imstande, aber das sei nur eine Frage der Zeit. Die Wissenschaft sei prinzipiell dazu in der Lage.

Allen Myles antwortet auch auf ein anderes Gegenargument. Können Akteure verantwortlich gemacht werden für Treibhausgasemissionen, von denen sie noch gar nicht wussten, dass sie zum globalen Klimawandel beitragen?

Das Jahr 1990 wird normalerweise als Schwelle bezeichnet, an der jeder Verantwortliche über das Risiko Bescheid wissen konnte. Allen weist darauf hin, dass in den frühen 2020ern schon fast zwei Drittel der menschgemachten Treibhausgase nach 1990 in die Atmosphäre entlassen sein werden. Dann sei eine Amnestie der Klima"täter" vor diesem Stichdatum denkbar.

Es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis sich die Reichweite möglicher Klagen wirklich einschätzen lässt. Selbst wenn sie vor Gericht Erfolg hätten, würden keineswegs alle Klimaopfer entschädigt werden. Jedoch: Auf diesem Weg kann der notwendige Druck entstehen, damit sich Regierungen und Unternehmen mit mehr Schwung an politischen Lösungen für Klimaschutz und Klimaopfer beteiligen.

Christoph Bals
 

 

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