Das brasilianische Schulspeisungsgesetz

Weitblick Artikel

Das brasilianische Schulspeisungsgesetz

– ein Katapult für ökologische, kleinbäuerliche Landwirtschaft, regionale Vermarktung, Klimaschutz und gesunde Ernährung
Schulspeisung in Brasilien

Einmal in der Woche wird diese Kita mit frischen Zutaten von lokalen Bäuerinnen und Bauern beliefert.

Die ländlichen Regionen im Süden Brasiliens sind traditionell und bis heute durch Kleinbauernbetriebe geprägt (ca. 40 % Familienbetriebe mit Parzellengrößen bis zu 25 ha), die für die Ernährung der Bevölkerung bedeutend sind. Zunehmend weitet sich jedoch die agroindustrielle Produktion von Tierfutter, Fleisch und genmanipuliertem Saatgut aus. Dies bedroht nicht nur die kleinbäuerlichen Strukturen. Durch den übermäßigen Gebrauch von Pestiziden, der seit dem Amtsantritt der rechtspopulistischen Regierung Bolsonaro 2019 zusätzlich anstieg, treten vermehrt Umwelt- und Gesundheitsprobleme bei der ländlichen Bevölkerung auf. Brasilien ist laut den Vereinten Nationen führend im Verbrauch von Pestiziden. Seit einer neuen Gesetzesinitiative sind im Jahr 2019 bereits 290 neue Agrotoxide zugelassen und insgesamt 2.123 lizensiert worden.

Doch es regt sich Widerstand: Ganz im Süden des Landes hat das Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor (CAPA), eine Partnerorganisation von Brot für die Welt, ein Netzwerk von Öko-Betrieben aufgebaut. Das Besondere an diesem Netzwerk: Die Öko-Betriebe versorgen städtische (Hoch-)Schulen und Kindergärten mit ihren biologisch und regional angebauten gesunden Lebensmitteln. Diese Kooperation in den drei Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná wurde bereits 2009 im Schulspeisungsgesetz festgelegt und katapultierte die Biolandwirtschaft aus der Nische heraus mitten in die Gesellschaft. Das nationale Schulspeiseprogramm (PNAE) muss seitdem zu mindestens 30 % aus der familiären Kleinbauernproduktion bedient werden. Das Gesetz ist Ergebnis langjähriger Advocacy-Arbeit und konnte nur durch enge Kooperation der Zivilgesellschaft mit der Politik – beispielsweise in den Ernährungsbeiräten CONSEA – eingeführt und umgesetzt werden.

Das Gesetz und die dahinterstehende Initiative bringen nachhaltige Entwicklung gleich auf drei Ebenen voran: Es profitieren kleinbäuerliche Betriebe durch die sichere Abnahme ihrer ökologisch angebauten Produkte, in Bildungsstätten wird gesunde Ernährung angeboten und die regionale nachhaltige Landwirtschaft schont Klima und Böden. Des Weiteren berät CAPA kleinbäuerliche Betriebe beim Anbau von traditionellem Saatgut zur Einführung von Saatgutbanken, um die Artenvielfalt zu erhalten. Der ganzheitliche Ansatz wurde zuletzt sogar mit dem „Future Policy Award“ des World Future Councils ausgezeichnet.

Derzeit befürchten viele Partnerorganisationen, dass der verhandelte, aber noch nicht von den Regierungen in Kraft gesetzte neue Frei- handelsvertrag der EU mit Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern (Mercosur) die Macht der exportorientierten Privatunternehmer* innen stärken und den Flächenraub weiter anheizen würde. Die bereits bislang entstandenen Konflikte betreffen weite Teile Brasiliens, auch solche, die meist weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen und in denen Großgrundbesitzer stärker denn je gegen marginalisierte Kleinbauernfamilien, indigene oder Afrobrasilianer*innen vorgehen.

Bei dem Schulspeisungsgesetz aus ökologischem Anbau geht es um einen Ansatz, über dessen Umsetzung auch Kommunen in anderen Ländern nachdenken könnten. In Deutschland wurde eine ähnliche Forderung erst vor wenigen Wochen von Renate Künast von den Grünen in die politische Diskussion gebracht. Sie fordert, in allen öffentlichen Kantinen auf regionale Bio-Produkte umzustellen: „Wenn alle Schulen, Kitas und Krankenhäuser bei der Verpflegung auf Bio-Lebensmittel setzen, ist das eine Botschaft an die Bauernfamilien auf dem Land, die Umstellung zu wagen.“
 

Mathias Fernsebner, Brot für die Welt


Zwei Frauen pflanzen Salat auf einem Acker.

Iasmin Roloff (links) hat von Tabak auf Bio-Gemüse umgestellt und beliefert Kitas und Schulen.

CAPA – Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor
(dt.: Zentrum für Support und Förderung von Agrarökologie)

Die Organisation CAPA wurde 1978 von der Evangelischen Kirche in Brasilien gegründet. Sie setzt sich für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und den ökologischen Landbau ein. CAPA ist in drei Bundesstaaten im Süden des Landes tätig. Mit ihren Fortbildungen erreicht die Organisation rund 20.000 Kleinbauern und -bäuerinnen. Von der erfolgreichen Lobbyarbeit der Organisation profitieren zudem rund 170.000 Menschen, die durch Schulspeisungen und andere staatlich geförderte Programme mit gesunden Lebensmitteln versorgt werden.

In der Lobbyarbeit ist CAPA überregional vernetzt und hat in den letzten drei Jahren in 70 Gremien der drei Bundesstaaten politische Vorschläge zur Stärkung der Agrarökologie eingebracht. Die Förderung dieses Projekts hat bei Brot für die Welt in Brasilien einen besonderen Stellenwert, da durch CAPA wichtige Errungenschaften für die Ernährungssouveränität von benachteiligten Gruppen (z. B. Kleinbäuerinnen und -bauern, traditionelle Gemeinschaften, indigene Gruppen) erreicht wurden.