Das Großexperiment hat begonnen
Das Großexperiment hat begonnen
1987 habe ich mich entschieden, schwerpunktmäßig zum Thema „Globaler Klimawandel“ zu arbeiten. Maßgeblich für diesen Entschluss war ein Diagramm, das die Temperaturentwicklung der letzten 100.000 Jahre zeigte. In dieser Zeit gab es große Temperaturschwankungen, alle nach unten – die diversen Eiszeiten –, aber keinen Temperatursprung nach oben über das heutige Niveau hinaus.
Das links abgebildete Diagramm zeigt „nur“ die letzten 22.000 Jahre. Denn nach dem Temperaturanstieg aus der letzten Eiszeit (blau) begann dann vor etwa 11.000 Jahren ein ganz besonderes Erdzeitalter mit einem paradiesisch stabilen Klima. Wegen seiner gleichförmigen Temperatur wird es Holozän genannt. Zu Beginn dieses Zeitalters, in der Jungsteinzeit, spielte sich dann eine Revolution im Verhalten des Menschen ab – erste Formen von Ackerbau und Viehzucht wurden neben dem Sammeln und Jagen als Existenzgrundlage etabliert. Alle menschlichen Hochkulturen entstanden in diesem Zeitraum eines stabilen Klimas. Nun aber steigen durch das Nutzen von Kohle, Öl und Gas die Treibhausgaskonzentrationen – und seit dem 20. Jahr- hundert auch die globale Durchschnittstemperatur – massiv an.
Oberhalb des Temperaturschwankungsbereichs des Holozäns beginnt ein Riesenexperiment mit den Menschen und der ökologischen Mitwelt: Hier hat der Mensch keine Erfahrung, was auf ihn zukommt. Was wir aber wissen, ist Anlass zur Besorgnis: Bei einem Temperaturanstieg oberhalb dieses Schwankungsbereiches wird das Überschreiten von Kipp-Punkten immer wahrscheinlicher. Gewaltige Ökosysteme könnten sich (nach menschlichem Zeithorizont) irreversibel ändern. Es könnten sogar Kettenreaktionen einer sich selbst verstärkenden Klimakrise ausgelöst werden.
Eine erste große Studie hat vor wenigen Wochen nun argumentiert: Das Experiment hat begonnen. Ab jetzt bewegen wir uns oberhalb der Temperaturschwankungen des Holozäns (siehe Grafik). Und die Wissenschaftler_innen des jüngsten Sonderberichts des Weltklimarates IPCC drängen massiv darauf, den globalen Temperaturanstieg auf nicht mehr als 1,5°C zu beschränken – und so das Risiko ganz massiver Veränderungen einzuschränken. Ab jetzt gilt es wie nie zuvor, um jedes Zehntelgrad an vermiedener Temperaturerhöhung zu kämpfen. Es wird immer offensichtlicher: Diese Generation entscheidet, ob der Generationsvertrag mit den künftigen Generationen aufgekündigt wird, der diesen ein Leben in Würde sichern soll.
Wir als Team von Germanwatch setzen auf die notwendige Kooperation mit Ihnen allen, mit der Zivilgesellschaft, mit Wissenschaft und Religionen, mit Jurist_innen, mit Gewerkschaften und Unternehmen, mit Techniker_innen und mit Finanzmarktakteuren, um die Chancen der vor uns liegenden Transformation zu nutzen und die Risiken so weit wie möglich zu verringern. Und wir danken allen, die sich im Alltag oder politisch, im Beruf oder im gesellschaftlichen Engagement für die notwendige faire Transformation einsetzen.