Klimapolitische Schachzüge beim Gipfel in Katowice
Klimapolitische Schachzüge beim Gipfel in Katowice
Illustration: Michael Hüter
Nach dem Hitzesommer tagt der 24. Klimagipfel der Klimarahmenkonvention (COP 24) vom 2. bis 14. Dezember 2018 im polnischen Katowice. Möglicherweise schon kurz vor Erscheinen dieser Zeitung will die Kohleund Strukturwandelkommission Vorschläge für Pfad und Datum des deutschen Kohleausstiegs vorlegen. Das Ergebnis wird also direkten Einzug in die klimapolitischen Gespräche der COP 24 erhalten. Nachdem die Bundesregierung angekündigt hat, das Klimaziel für 2020 zu verfehlen, schaut die internationale Gemeinschaft besonders aufmerksam auf unsere Klima- und Energiepolitik. Kriegt Deutschland noch die Kurve und katapultiert sich aus dem klimapolitischen Abseits heraus?
Ein zeitnaher Kohleausstieg, die Unterstützung für nachgebesserte EU-Klimaziele und ausreichend finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer sind die Prüfsteine dafür. Unmöglich scheint dies zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht. Und genau das wäre notwendig. Denn der im Oktober dieses Jahres verabschiedete Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) zu 1,5 Grad globaler Erwärmung hat sich mit einer deutlichen Botschaft an die Welt gewandt: Zwar sind wir bislang längst nicht auf dem Pfad, aber bei sofortigem und drastischem Klimaschutz ist das 1,5 °C-Limit noch einzuhalten! Der IPCC stellt in seinem Bericht fest, dass die weltweiten CO2-Emissionen dazu bis zum Jahr 2030 gegenüber 2010 um 45 Prozent sinken und bis 2050 netto Null erreichen müssen.
Am Scheideweg: gelingt die Transformation?
Aber nicht nur Deutschland, sondern alle Länder mit hohen Emissionen stehen vor einem Scheideweg zwischen fossiler Energienutzung und Klimaschutz. So weiter wie bisher geht es auf jeden Fall nicht. Die heutige junge Generation wird entweder bis Mitte des Jahrhunderts den Abschied von Kohle, Öl und fossilem Gas erleben, auf denen das Industriezeitalter aufgebaut war. Dies würde dann für etwa zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten ein völlig anderes Energie-, Verkehrs-, Gebäude-, Industrie- und Landwirtschaftssystem bedeuten. Es lässt sich, wie die internationale Energieagentur gerade gezeigt hat, bestens mit der Umsetzung der sozialen und ökologischen globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verbinden.
Oder aber die Menschheit schafft die notwendige Transformation nicht. Dies kommt einer Aufkündigung des Gesellschaftsvertrages mit den kommenden Generationen gleich. Das Klima entwickelt sich weiter rasend schnell aus dem klimatisch paradiesisch stabilen Erdzeitalter Holozän heraus, in dem alle menschlichen Hochkulturen entstanden: Ein Großexperiment mit Mensch und ökologischer Mitwelt – mit ungewissem Ausgang (siehe Kommentar).
Fossile Energien: ein letztes Aufbäumen
Angesichts der zukunftsweisenden Entscheidung der Staatengemeinschaft für die notwendige Transformation im Pariser Klimaabkommen organisiert sich wirkmächtig Widerstand: das letzte Aufbäumen der fossilen Lobby. Der 2016 gewählte US-Präsident Donald Trump, dessen Wahlkampf maßgeblich von Akteuren der fossilen Industrie finanziert worden war, setzt darauf: kurzfristige Profite der Kohle-, Frackingund Autoindustrie. Ein weiterer Anstieg der globalen Emissionen würde die Aufkündigung des Generationenvertrages der Moderne bedeuten – die gemeinsame Orientierung am Ziel eines Lebens in Würde für alle.
Für hunderte Millionen Menschen weltweit würde dieses Szenario den Verlust der Lebensmöglichkeiten an den Küsten und in den warmen Regionen weltweit noch in diesem Jahrhundert zumindest billigend in Kauf nehmen. Und die US-Regierung versucht, Allianzen für diesen Kurs zu schmieden. Saudi-Arabien ist trotz der großen Vorhaben zum Ausbau der Solarenergie im eigenen Land aus geopolitischen Gründen im Rahmen der Staatengruppe G 20 schon dabei einzusteigen. Russland, das maßgeblich von Gas- und Ölexporten lebt, wackelt. Und in Brasilien ist gerade ein rechtsextremer Präsident gewählt worden, der große Teile des Amazonas- Regenwaldes zur Ausbeutung freigeben will.
In Australien und Kanada toben heftige Konflikte um die Zukunft der fossilen Energien. In Deutschland markieren das Ringen um den Hambacher Wald, um den Kohleausstieg in der Kohle- und Strukturwandelkommission, um die bislang vertrödelte Organisation des Ausstiegs aus Benzin- und Dieselautos sowie des Umstiegs zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft diesen Konflikt.
Allianzen und Initiativen: handeln und Druck aufbauen
Wer mit wachem Verstand die notwendige Transformation vorantreiben will, sieht, dass jetzt die Zeit von kritisch-gemütlich vorbei ist. Ernsthaftes Engagement ist notwendig. Die technisch-ökonomische Dynamik für Erneuerbare Energien, für wichtige Effizienztechnologien wie LEDs oder Passivhausfenster und Elektromobilität ermöglicht schnelles Handeln – aber Technik alleine reicht nicht. Wir sehen eine Gruppe der verletzlichsten Staaten (Climate Vulnerable Forum), die mit eigenen Klimaschutz- und Anpassungsankündigungen sowie mit politischen Forderungen an die anderen Staaten politisch Druck machen. Eine wachsende Zahl von Staaten verkünden in der „Powering Past Coal Alliance“ einen Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2030. Initiativen wie die „International Solar Alliance“ bahnen den Weg zu einem erneuerbaren Zeitalter. Immer mehr Staaten in Europa, Asien, Lateinamerika kündigen konkrete Zeitpläne für den Abschied vom fossilen Verbrennungsmotor für Autos, immer mehr Städte weltweit – gerade auch in den USA – ambitionierte Klimaziele und -programme an. Auch gibt es in immer mehr Staaten der Welt einen CO2-Preis, wenn auch noch nicht auf dem erforderlichen Niveau. Ein investitionsrelevanter CO2-Preis wird zum Gradmesser für die Ernsthaftigkeit der Transformationsziele.
Finanzströme: klimakompatibles Umlenken hat begonnen
Wichtige Emittenten wie China (allerdings bisher nur bei Investitionen im eigenen Land), Indien und eine Reihe von EU-Ländern zeigen zumindest ansatzweise, dass sie Ernst machen wollen mit der Transformation. Und auch bei einem weiteren Ziel des Pariser Abkommens gibt es Fortschritte: die Finanzströme sollen so umgeleitet werden, dass dies mit den Klimaund Anpassungszielen von Paris vereinbar ist. China hat entsprechende Gesetze umgesetzt, Frankreich ebenso. Die EU will dies bis Mitte nächsten Jahres vorantreiben. Auch die Weltbank und andere multilaterale Entwicklungsbanken zeigen ernsthaftere Bemühungen als bisher, ihre Investitionen umzulenken. Eine Investitionsagenda vereint bereits 400 GroßinvestorInnen weltweit, die zunehmend Konsequenzen aus der Tragödie des kurzfristigen Horizontes ziehen wollen und ihre Investitionen umschichten. Katowice ist eine wichtige Station für die notwendigen Entscheidungen und Dynamiken am Scheideweg. Die Länder müssen Schritte gehen, um die beschlossenen Ziele zu ermöglichen: Klimaschutzziele und Finanzierung nachbessern, Kooperation ermöglichen und robuste Regeln für die Umsetzung des Paris-Abkommens festlegen.
Rixa Schwarz & Christoph Bals