Kommentierung des Entwurfs zum Marshallplan mit Afrika – Schwerpunkt Energie und Infrastruktur
Im Entwurf zum Marshallplan mit Afrika wird, wie bereits an anderer Stelle angemerkt, für eine Neuordnung der Beziehungen zwischen der EU und Afrika geworben. Sehr zu begrüßen ist, dass es sich beim skizzierten Ansatz um eine gleichberechtigte Partnerschaft handeln soll (S.4) auf der Basis von Menschenrechten und gegenseitigem Respekt (S.7).
Im Hinblick auf das Thema Energie und Infrastruktur (Kapitel 4.3 im Marshallplan S.29) stellt der Entwurf zum Marshallplan richtig fest, dass Erneuerbare Energien aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten ein hohes, wenn auch z.Z. noch weitestgehend unerschlossenes, Potential auf dem afrikanischen Kontinent besitzen (S.29). Nur Erneuerbare Energien können die doppelte Herausforderung bestehend aus der Bekämpfung des anthropogen verursachten Klimawandels und einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung Afrikas mit Strom, der dringend zur Entwicklung benötig wird, erfolgreich bewerkstelligen. Diese eher offensichtlichen Vorteile von Erneuerbaren Energien werden von einer Reihe von zusätzlichen gesellschaftlichen Vorteilen flankiert: Erneuerbare Energien tragen zu besserer Gesundheit bei (z.B. wenn traditionelle Biomasse zum Kochen, die zu eine hohe Luftverschmutzung in Häusern zur Folge hat, ersetzt wird), schaffen direkt neue Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten (z.B. durch den Bau von Anlagen und Komponenten und deren Wartung), tragen zur Gleichstellung der Geschlechter bei (da Frauen und Mädchen oftmals eine überproportional hohe Last tragen z.B. bei der Beschaffung von Brennholz) und machen Ländern unabhängig von schwankenden Weltmarktpreisen für fossile Energien und deren Importen, was wiederum zu höherer Planungssicherheit auf staatlicher Ebene führt. Außerdem können gerade dezentrale Erneuerbare Energien die sonst gar nicht oder nur schwer erreichbaren ländlichen Regionen erschließen, die sonst auf sehr teure, schmutzige andere Lösungen, wie z.B. Dieselgeneratoren, angewiesen wären. Es ist also leicht ersichtlich, dass Erneuerbare Energien ein hohes Potential besitzen einen Beitrag zur Erfüllung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu leisten. Eine jüngst erschienene wissenschaftliche Publikation sieht bspw. einen gut begründbaren Beitrag von Erneuerbaren Energien zu Erfüllung von mindestens 10 der 17 SDGs (Schwerhoff und Sy, 2016). Ein Zusammendenken von SDGs – sie werden im Marshallplan nur an einer Stelle erwähnt (S.15) – und Erneuerbaren Energien fehlt jedoch im vorliegenden Entwurf des Marshallplans.
Weiterhin wird im vorgestellten Entwurf zum Marshallplan im Kapitel „Frieden, Sicherheit und Stabilität“ (S.20) zwar auf das Konfliktpotential von Rohstoffen verwiesen, es fehlt aber bspw. eine Verknüpfung zu dem an einer anderen Stelle empfohlenen Ausbau von (dezentralen) Erneuerbaren Energien. Ein auf Erneuerbaren Energien beruhendes Energiesystem besitzt ein erheblich kleineres Potential Auslöser von Konflikten zu sein, wie bspw. Mansson (2015) zeigt. Auch können sie über transnationale Netzverbindungen, um die Netzstabilität zu erhöhen, zu gegenseitigen Interdependenzen zwischen Staaten im Gegensatz zu einseitigen Abhängigkeiten führen, die somit Staaten zur engeren Kooperation veranlassen kann und stärker aneinander bindet (Moore, 2017).
In der Summe der oben aufgeführten Vorteile von Erneuerbaren Energien bedeutet dies, dass es um mehr geht als „nur“ die Erzeugung von Strom. Gerade wenn Projekte bzw. Initiativen a) die politischen Ziele und den Kontext der Partnerländer genaue kennen und sie vor allem auch ernst nehmen im Sinne einer Kooperation auf Augenhöhe (was aber kapazitätsbildende Maßnahmen, die oft von afrikanischer Seite erwünscht sind, nicht ausschließt) und b) gezielt kleine und mittelständische Unternehmen unterstützt werden, es zu einem erfolgreichen Transfer von Technologie und Wissen kommt und lokale Wertschöpfung in Afrika einen hohen Stellenwert besitzt, können Erneuerbare Energien ihr volles Potential entfalten (vgl. IASS, 2016). Wie auch das IASS an anderer Stelle anmerkt (IASS, 2016, p.9), ist ein gewisser Widerspruch zwischen den Exportinteressen der deutschen Industrie und dem Ziel der lokalen (afrikanischen) Wertschöpfung zu erkennen. Im vorgestellten Entwurf zum Marshallplan lässt sich dieser Widerspruch ebenfalls erkennen – z.B. wenn auf S.16 von den vielversprechenden Perspektiven, die Afrika als letzter unerschlossener Kontinent, für die deutsche Wirtschaft bedeutet und auf S.18 der Aufbau von lokalen Wertschöpfungsketten gefördert werden soll.
Darüber hinaus scheint es etwas fraglich, warum gerade das Programme for Infrastructure Development in Africa (PIDA) als wichtige Grundlage bezeichnet wird (S.30). Das von der Afrikanischen Entwicklungsbank Gruppe ausgeführte Programm fördert – nicht nur, aber zu einem überwiegenden Teil – große Wasserkraft in Afrika (siehe NEPAD, 2017; PIDA, undatiert). Zu den Projekten im Portfolio gehört bspw. der umstrittene Inga 3 Staudamm in der Demokratischen Republik Kongo, der sich derzeit noch in der Planungsphase befindet. Gerade große Wasserkraftprojekte verletzen aber immer wieder Menschenrechte, haben schwerwiegende ökologische Folgen und bieten selten einen Nutzen für die ländliche Bevölkerung. Zusätzlich sind Konsultationsprozesse mit der lokalen Bevölkerung bei dieser Art von Großprojekten auch oft nicht ausreichend implementiert (International Rivers, 2015; BHRRC, 2016). Daher hätte eventuelle eine andere Initiative im Sinne einer neuen Herangehensweise bezüglich der Umsetzung von Erneuerbaren Energien auf dem afrikanischen Kontinent eher Erwähnung verdient. Unter der Vielzahl von Initiativen sticht die Africa Renewable Energy Initiative (AREI) hervor, da sie, im Gegensatz zu anderen Initiativen und Programmen, von afrikanischen Institutionen geleitet wird und stark in existierenden afrikanischen Entscheidungsprozessen verankert ist. Die junge Initiative, die auf der 21. Klimakonferenz (COP 21) im Jahr 2015 in Paris offiziell lanciert wurde, steht unter dem Mandat der Afrikanischen Union. Die AREI hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, 300 GW an zusätzlichen Erneuerbaren Energien-Kraftwerkskapazitäten bis zum Jahr 2030 errichten zu wollen. Die Initiative mit transformativem Charakter möchte aber explizit nicht einfach fossile Kraftwerke durch Erneuerbare Energien Kraftwerke ersetzen. Vielmehr soll das zukünftige afrikanische Energiesystem gerade auch in seiner Struktur verändert werden. Ähnlich wie auch bspw. in Deutschland, soll die Entwicklung eher in Richtung dezentrale, kleine Kraftwerke gehen, die vor allem in entlegenen ländlichen Gebieten genutzt werden können. Diese sollen dann intelligent mit Großkraftwerken in der Nähe von Verbraucherzentren verknüpft werden. Das alte Top-Down-System der Energieversorgung soll durch ein neues, intelligentes Bottom-Up-System ersetzt werden. Hierfür wurden bisher eine Reihe von Kriterien erarbeitet, die gerade auch die Partizipation von lokalen Stakeholdern und der Zivilgesellschaft als auch die Sozialverträglichkeit der Projekte sicherstellen sollen (AREI, 2016a; 2016b). Da die Initiative also a) stark auf dem Engagement der afrikanischen Seite beruht, b) einen transformativen Charakter besitzt und c) bereits von der deutschen Bundesregierung unterstützt wird, passt sie wesentlich besser zum beschriebenen Ansatz (z.B. weg vom „Giesskannenprinzip“) im Marshallplan und sollte deshalb auch Erwähnung im Dokument finden.
Jegliche von der Bundesregierung geförderte Infrastruktur bzw. Energieprojekte, sollten daher:
- Kompatibel zum 2°C-Ziel sein und einem geeigneten Stresstest unterzogen werden, wie es z.B. Germanwatch bereits vorgeschlagen hat (vgl. Höhne et al., 2015);
o dies wird, wenn auch nur indirekt, vom Entwurf des Marshallplans gefordert, wenn von einer zügigen Umsetzung von internationalen Beschlüssen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes erwähnt wird (S.28) – Investitionen, die nicht 2°C-kompatibel sind und die gerade im Bereich Energieinfrastruktur jahrzehntelange Pfadabhängigkeiten bedeuten könnten, sind also nicht in Einklang mit dieser Forderungen zu bringen;
- Einen umfassenden und konsequenten Menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen, um die Sozialverträglichkeit von geförderten Projekten zu gewährleisten. Die Konsultationsprozesse mit der lokal betroffenen Bevölkerung sollten ggf. über das hinausgehen, was in internationalen Standards gefordert ist und bspw. das Prinzip des „Free, Prior and informed Consent“ zur Richtschnur erklären;
o Dies schließt auch eine Abwendung vom Prinzip möglichst schnell, möglichst viele Kapazitäten in Form von Großprojekten ans Netz zu bringen und hin zu einer sorgfältigen Auswahl von einer höheren Anzahl kleiner, dezentraler Projekte unter Berücksichtigung des jeweiligen sozialen Kontext, mit ein;
o Weiterhin sollten, da die Chance verpasst wurde deutsche Unternehmen gesetzlich zur Wahrnehmung ihrer menschenrechtlichen Verantwortung zu verpflichten (vgl. CORA et al., 2017), verstärkt Sensibilisierungsmaßnehmen für im Ausland tätige deutsche Unternehmen hinsichtlich Menschenrechtsstandards durchgeführt werden.
Formen der Technologie und Energiepartnerschaften sollten, wie im Marshallplan auch aufgeführt (S.30), ausgebaut werden. Hier ist wesentlich dass:
- Geeignete und wirkungsvolle Formen des Technologie- und Wissenstransfers entwickelt werden, wobei eine Möglichkeit z.B. in der gezielten Ausbildung von Fachkräften im Bereich der Erneuerbaren Energien im Sinne eine zirkulären Arbeitsmigration besteht, eine andere in der gezielten Förderung von Joint-Ventures zwischen afrikanischen und deutschen Unternehmen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die gezielte Umsetzung von De-Risking-Maßnahmen für Erneuerbare Energien Projekte, die dann ihrerseits – durch das verminderte Risiko und bessere Renditeaussichten – privates Kapital hebeln können.
o Hier sind sicherlich auch afrikanische Staaten in der Pflicht mögliche Risiken ihrerseits zu verringern. Etwa durch langfristige Pläne zum Ausbau von Erneuerbaren Energien mit realistischen, aber ambitionierten Zielen und ausdifferenzierten Regularien sowie guter Regierungsführung und Transparenz.
Darüber hinaus sollte das Thema „Energie“ im Marshallplan stärker mit anderen Themen verknüpft und strategisch gedacht werden (z.B. Entwicklung, Sicherheit, Ernährung). Wie im obigen Text gezeigt, geht es beim Ausbau von Erneuerbaren Energien um mehr als „nur“ Strom. Dieser zusätzliche Nutzen, welcher sich im Prinzip in einer Verbesserung der Lebensgrundlage der Bevölkerung zeigt, sollte bei allen Investitionen hinreichend bedacht werden.
Insgesamt bietet der Entwurf zum Marshallplan mit Afrika also einige gute Ansatzpunkte, die jedoch im Detail weiter ausformuliert und konkretisiert werden sollten (z.B. Was heißt genau „Technologiepartnerschaft“? Welche Projekte sind nicht 2°C-kompatibel und sollten nicht gefördert werden?) und ebenfalls teilweise etwas widersprüchlich erscheinen.
Germanwatch-Kommentierungen des Entwurfs zum Marshallplan mit Afrika:
- Mit finanzieller Unterstützung von Brot für die Welt. Für den Inhalt trägt Germanwatch die Verantwortung. -
Quellen:
AREI Africa Renewable Energy Initiative (2016a): A framework for transforming Africa towards a renewable energy powered future with access for all. Link: http://www.arei.org/wp-content/uploads/2016/11/AREI-Framework.pdf
AREI Africa Renewable Energy Initiative (2016b): Criteria to be considered for attribution and eligibility/prioritization of funding. Link: http://www.arei.org/wp-content/uploads/2016/11/AREI-Criteria_EN_web.pdf
BHRRC Business and Human Rights Resource Centre (2016): Towards Responsible Renewable Energy. Link: https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/Towards%20Responsible%20Renewable%20Energy%20Briefing%20-%20Final_1.pdf
CORA, Forum Menschenrechte und VENRO (2017): Kein Mut zu mehr Verbindlichkeit. Link: http://venro.org/fileadmin/redaktion/dokumente/2016/NAP_Kommentar.pdf
Höhne, N., Röser, F., Hagemann, M., Weischer, L, Alaoui, A., Bals, C., Eckstein, D., Kreft, S., Thomä, J. und Rossé M. (2015): DEVELOPING 2°C-COMPATIBLE INVESTMENT CRITERIA. Link: https://germanwatch.org/en/download/13444.pdf
IASS Institute for Advanced Sustainability Studies (2016): Die internationale Energiewendepolitik stärken – in Nordafrika und darüber hinaus. Link: http://www.iass-potsdam.de/sites/default/files/files/policy_brief_4_2016_de_internationale_energiewendepolitik_staerken-nordafrika.pdf
International Rivers (2015): Right Priorities for Africa’s Power Sector - AN EVALUATION OF DAMS UNDER THE PROGRAMME FOR INFRASTRUCTURE DEVELOPMENT IN AFRICA. Link: https://www.internationalrivers.org/blogs/337-5
Mansson, A. (2015): A resource curse for renewables? Conflict and cooperation in the renewable energy sector. In: Energy Research & Social Science, 10, 1-9.
Moore, S. (2017): Evaluating the energy security of electricity interdependence: Perspectives from Morocco. In: Energy Research & Social Science, 24, 21-29.
NEPAD (2017): Programme for Infrastructure Development in Africa. Website: http://www.nepad.org/programme/programme-infrastructure-development-africa-pida?qt-programme_page=3#qt-programme_page
PIDA The Programme for Infrastructure Development in Africa (undatiert): THE PIDA ENERGY VISION. Link: https://www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/Documents/Generic-Documents/PIDA%20brief%20Energy.pdf
Schwerthoff, G. and Sy, M. (2016): Financing renewable energy in Africa – Key challenge of the sustainable development goals. Link: https://www.pik-potsdam.de/members/gregors/FinancingRenewableEnergyinAfrica.pdf