„Wir finanzieren den Molkereien ihre Weltmarkteroberungen“

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„Wir finanzieren den Molkereien ihre Weltmarkteroberungen“

Interview mit Ottmar Ilchmann, Milchbauer in Niedersachsen und stellvertretender Bundesvorsitzender der Arbeits- gemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
Weitblick-Bild 2/16: Ottmar Ilchmann

Foto: Landesnetzwerk Niedersachsen - Bauernhöfe statt Agrarfabriken

 
Sie haben bereits mehrfach Aktionen vor der größten deutschen Molkerei „Deutsches Milchkontor“ (DMK) mitorganisiert und einmal sogar die Einfahrt für mehrere Stunden blockiert. Wieso demonstrieren Bauern und Bäuerinnen vor ihren Molkereien?

Wir befinden uns in einer existenzbedrohenden Krise, seit über anderthalb Jahren sind die Milchpreise nicht mehr kostendeckend. Die Genossenschaftsmolkereien, die eigentlich den Bauern gehören, sind aber als Unternehmen kaum von der Krise betroffen, denn sie geben die geringeren Erlöse einfach eins zu eins an ihre Lieferanten weiter. Sie weigern sich, die von der Politik geschaffenen Möglichkeiten zur Reduzierung der Menge zu nutzen, um dadurch den Preis wieder steigen zu lassen. Ihnen ist das Überleben ihrer eigenen Mitglieder und Lieferanten völlig egal. Deshalb ist es nur zu berechtigt, wenn Bäuerinnen und Bauern auf diesen Missstand hinweisen und vor den Molkereien demonstrieren. Eine besondere Verantwortung kommt hier dem DMK mit seiner marktbeherrschenden Größe zu, deshalb nehmen wir diese Molkerei besonders in die Pflicht.

Die Molkereien beklagen aber, dass der Export eingebrochen ist. Ist das nicht höhere Gewalt?

Durch das Russland-Embargo und den Nachfragerückgang in China sind tatsächlich wichtige Märkte verloren gegangen. Aber gleichzeitig haben die Molkereien ihre Exporte in andere Regionen gesteigert, sodass die exportierte Menge im Krisenjahr 2015 sogar gestiegen ist. Kein Wunder, denn mit den extrem niedrigen Rohmilchpreisen ermöglichen wir Milcherzeuger den Molkereien ihre Exporterfolge! Wir finanzieren den Molkereien die Eroberung von Weltmarktanteilen, und wenn es uns den Hof kostet!

Der Deutsche Bauernverband gibt dem Lebensmitteleinzelhandel die Schuld. Immerhin hat Aldi vor einigen Wochen die Trinkmilchpreise auf 49 Cent heruntergeschraubt.

Ein Milchpreis von unter 50 Cent, die billigsten Angebote gibt es mittlerweile für 42 Cent, ist unmoralisch und entwürdigend. Natürlich nutzen die großen Handelsketten ihre Marktmacht und die Übermengen an Milch knallhart aus, um die Molkereien im Preis zu drücken. Andererseits hätten sie ohne den Mengendruck gar nicht diese Verhandlungsposition. In den Boom-Jahren 2013 und 2014 haben sie ja auch anstandslos die wesentlich höheren Preise gezahlt. Es sind doch auch hier wieder die Molkereien, die die Menge gepuscht haben und sie jetzt nicht senken wollen und die dem Lebensmitteleinzelhandel die unmoralisch niedrigen Angebote machen!

Warum ist diese Milchkrise so außergewöhnlich?

Die Krise ist die längste in der neueren Geschichte der Milcherzeugung. 2009 war auch schlimm, aber da ging es nach neun Monaten schon wieder bergauf. Das ist sicher auch eine Folge des Ausstiegs aus der Milchquotierung. Wenn bei den niedrigen Preisen Milcherzeugern die Luft ausgeht und sie ihren Hof aufgeben, übernehmen Wachstumsbetriebe die Flächen und die Kühe und liefern die Milch weiter. Das hatte die Quote 2009 verhindert. Ungewöhnlich ist auch die Deutlichkeit, mit der Politiker, Agrar-„ Ökonomen“, Bauernverbandsvertreter und Molkereivertreter jetzt die „Marktbereinigung“ infolge der Krise gutheißen und sich zum Strukturwandel bekennen. Es wird inzwischen offen ein Übergang von einer bäuerlichen in eine industrialisierte Milchwirtschaft propagiert. Damit werden die Interessen der Bäuerinnen und Bauern und weiterer Teile der Gesellschaft denen der Ernährungsindustrie untergeordnet.

Vielen Dank für das Gespräch!
 

Interview: Berit Thomsen,
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)

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