Die Milchkrise wird global
Die Milchkrise wird global
Illustration: Moritz Stetter
Die Milchmärkte in der Europäischen Union befinden sich in einer schweren Krise. Die Preise sind weit unter die Produktionskosten gesunken (siehe Artikel "Exportorientierte Agrarpolitik ruiniert Milchhöfe"). Mittlerweile leiden aber nicht nur die europäischen Bauern und Bäuerinnen unter dieser Krise. Die Weltmarktpreise für die wichtigsten international gehandelten Milchprodukte Milchpulver und Butter sind auf ein historisch niedriges Niveau gefallen. Selbst die ErzeugerInnen in Neuseeland, einem der kostengünstigsten Milchproduzenten, machen Verluste.
Über die Ursachen der Krise herrscht unter ExpertInnen Einigkeit: Die Milcherzeugung ist in den letzten Jahren weltweit deutlich stärker gestiegen als die Nachfrage. Insbesondere die wichtigsten Exportnationen Neuseeland, EU, USA, Australien und Argentinien haben die Erzeugung seit 2011 um mehr als 20 Millionen Tonnen gesteigert, obwohl der inländische Verbrauch in all diesen Ländern stagniert. Besonders stark stieg die globale Milchproduktion 2014. Die weltweite Nachfrage hielt mit diesem rasanten Produktionsanstieg nicht Schritt. Die Folge: ein drastischer Preisverfall. Der globale Preisindex der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO für Milchprodukte hat sich seit Mitte 2013 fast halbiert.
EU trägt die größte Verantwortung
Die EU ist mit fast 11 Millionen Tonnen für mehr als die Hälfte der zusätzlichen Produktion in den wichtigsten Exportländern verantwortlich. Die Milchquote, die die Produktion 30 Jahre lang begrenzt hatte, lief im April 2015 aus. Doch schon davor steigerten viele EU-Betriebe als Reaktion auf hohe Milchpreise 2013 ihre Erzeugung und produzierten allein 2014 sechs Millionen Tonnen mehr Milch als im Vorjahr. Damit war sie in jenem Jahr für mehr als 60 Prozent des Produktionszuwachses der Hauptexportländer verantwortlich. Ein großer Teil der zusätzlichen Erzeugung in der EU wird in Form von Magermilchpulver exportiert. Die Grafik unten zeigt einen engen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der EU-Magermilchpulverexporte und dem Verfall der Weltmarktpreise.
Anders als in Neuseeland und Australien ist die Milcherzeugung in der EU auch 2015 weiter gewachsen und auch in den ersten Monaten dieses Jahres weiter angestiegen. Die EU ist damit nicht nur hauptverantwortlich für den bisherigen Preisverfall, sondern verhindert auch weiterhin eine Erholung. Die Milchquote ohne flankierende Maßnahmen auslaufen zu lassen, hat sich damit als verheerende Entscheidung erwiesen – sowohl in der EU als auch weltweit. In vielen Entwicklungsländern mit relativ offenen Märkten für Milchprodukte, schlagen die niedrigen Weltmarktpreise auf die lokalen Preise durch und verringern Einkommensperspektiven im ländlichen Raum.
Milch bekämpft Armut
In vielen Ländern Afrikas gehören ViehhalterInnen zu den ärmsten und am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Besonders Frauen haben kaum Möglichkeiten, ein eigenes Einkommen zu erzielen, da den Männern die Tiere gehören und sie durch deren Verkauf Geld verdienen. Traditionell sind Frauen in vielen afrikanischen Ländern aber für die Milchkühe verantwortlich. Milch wurde bislang überwiegend selbst konsumiert oder mit Ackerbäuerinnen und -bauern gegen Getreide und andere Feldfrüchte getauscht. Seit einigen Jahren entstehen Initiativen, Milchprodukte auch gegen Geld zu verkaufen. Frauengruppen gründen dazu Kleinstmolkereien, in denen sie ihre Milch pasteurisieren oder zu Joghurt weiterverarbeiten. Veränderte Konsumgewohnheiten und die zunehmende Verstädterung nicht nur in Metropolen, sondern auch in Klein- und Mittelstädten nahe der Viehhaltungsregionen bieten dafür neue Absatzmärkte (siehe Reisebericht aus Burkina Faso).
Milcherzeugung bietet eine der wenigen wirtschaftlich aussichtsreichen Perspektiven in vielen Regionen Afrikas. Es ist entwicklungspolitisch besonders vorteilhaft, dass davon vor allem Frauen profitieren können, die sich stärker um Ernährung und Ausbildung der Kinder kümmern. Um den Sektor nachhaltig zu entwickeln, sind aber Investitionen und Beratung in Molkereiwesen, Vermarktung, Züchtung, Tiergesundheit und Weidemanagement erforderlich. Diese lohnen sich nur, wenn Milchprodukte angemessene Preise erzielen. Zunehmende Exporte der EU und sinkende Weltmarktpreise gefährden dies. Bundeskanzlerin Angela Merkel betont immer wieder, dass gerade Afrika wirtschaftliche Perspektiven braucht, um Flucht und Migration zu kontrollieren. Dazu sind Einkommen und Beschäftigung im Milchsektor sicher besser geeignet als der Zugang zu billigem Milchpulver.
Die Menge reduzieren – auch aus internationaler Verantwortung
Die EU steht nun intern und international in der Verantwortung, Produktion und Exporte zu begrenzen, um höhere und stabilere Milchpreise zu ermöglichen. Die deutsche und europäische Politik setzt bisher auf kurzfristige Liquiditätshilfen und bringt – da direkte Exportsubventionen verboten sind – staatlich geförderte Exportkredite ins Spiel. Damit verschärft sie das Problem, statt es zu lösen.
Stattdessen wäre es sinnvoll, dass Molkereien den Milcherzeugern, die ihre Produktion reduzieren, einen höheren Preis zahlen. Unterstützt durch finanzielle Anreize der EU, der Bundesregierung und der Länder. Solche kurzfristigen Maßnahmen sind zu einer europaweiten Krisenprävention weiterzuentwickeln. Die EU sollte die Produktion präventiv begrenzen, wenn sie einen Preisverfall durch Überproduktion erwartet.
Die Instrumente zum kurzfristigen Mengenmanagement sind so schnell wie möglich mit einer grundlegend anderen Strategie für die Milcherzeugung zu verknüpfen. Statt auf Niedrigstpreise bei Standardprodukten wie Milchpulver zu setzen, sollten Deutschland und die EU vor allem Qualitätsprodukte mit hoher Wertschöpfung erzeugen. Eine veränderte Fütterung, beginnend mit weniger Kraftfutter, kann der Einstieg dazu sein. Die kurzfristigen Anreize zur Mengenbegrenzung sollte die EU damit verbinden, neben der Biomilch weitere Qualitätsmerkmale wie gentechnikfreie Fütterung, Einsatz überwiegend regionaler Futtermittel, Heumilch oder echte Weidemilch zu fördern. Durch Beratung bei Erzeugung und Vermarktung sowie Herausstellen der besonderen Produktqualität lassen sich kaufkräftige Marktsegmente erschließen und ausbauen. Eine angemessene, transparente und staatlich garantierte Kennzeichnung der Haltung und Fütterung von Milchkühen unterstützt dies zusätzlich.
Tobias Reichert
Bild aus dem Sachcomic "Wie Konzerne unsere bäuerliche Landwirtschaft verpulvern" (Illustration: Moritz Stetter)