„Deutschland hat die größten Hürden genommen“
„Deutschland hat die größten Hürden genommen“
Brot für die Welt hat die internationale Kommunikation der Energiewende in die Hand genommen und Chandra Bhushan vom Centre for Science and Environment (CSE) für eine zweiwöchige Energiewende-Studienreise nach Deutschland eingeladen. Bhushans Fazit zeigt, dass auch in Indien die Kostenfrage die Skepsis um eine eigene Energiewende nährt. Bislang wird gefragt, ob – nicht wie – Indien die Transformation bewältigen kann.
Germanwatch zitiert aus CSEs Umweltmagazin „Down to Earth“ die Bilanz der Reise in Auszügen.
Vor etwa zwei Jahren habe ich erstmals von der Energiewende gehört, als ein deutscher Freund mir von dem ambitionierten Ziel seines Landes in Bezug auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Reduktion von Treibhausgasemissionen erzählte. Es hat mich nicht sonderlich begeistern können, hauptsächlich aufgrund der bis dato mäßigen Ergebnisse. […] Als jedoch die Stimmen um die Energiewende lauter wurden, nahm auch mein Interesse zu. […]
Aber nicht alles läuft gut bei der Energiewende. Die nächsten Jahre bringen große Herausforderungen bezüglich der Aufrecherhaltung und Erweiterung der Erneuerbaren, ohne die Stromversorgung zu unterbrechen. Das derzeitige Marktdesign [...] kreiert große Probleme für die konventionellen Kraftwerke, die entweder schließen oder ihren Strom während der Spitzenzeiten der Stromgewinnung aus Solar- und Windkraft kostenlos abgeben müssen. [...] Der Markt ist über längere Sicht aber auch für Solar- und Windenergie nicht nachhaltig. [...] Die Energiewende leidet außerdem an einem verzerrten Fokus. Die Diskussionen beziehen sich hauptsächlich auf Strom und das Management der Versorgungsseite, nicht auf Heizenergie und Nachfragemanagement. [...] Deutschland sieht sich auch mit Herausforderungen im Verkehrssektor konfrontiert. Der fossile Brennstoffverbrauch von Autos, die die Deutschen liebend gerne fahren, reduziert sich nicht und das deutsche Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos [...] zu haben, ist nach derzeitigen Szenarien kaum erreichbar. [...]
Trotz aller Herausforderungen und Probleme stellt die deutsche Energiewende das ambitionierteste Vorhaben zur Dekarbonisierung einer Wirtschaft dar. Kein anderes Land kommt dem auch nur nahe. Deutschland zeigt der Welt, dass ein komplett neues Energiesystem, weitgehend auf Erneuerbaren aufbauend, möglich ist.
In diesem Energiesystem wird der Großteil der Energienachfrage – Elektrizität, Heizen und Mobilität – aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Die "Grundlastkraftwerke" auf Basis fossiler Energieträger, die unser Leben bestimmen, werden verschwinden. Anstelle dessen werden wir flexible fossile Kraftwerke haben, die nur bei Bedarf in Betrieb genommen werden. Um das Potential der Erneuerbaren in verschiedenen Ländern voll auszuschöpfen, wird es regionale Netze zum Import und Export von erneuerbarem Strom geben. Erneuerbare Energie wird in Pumpspeicherwerken und in Form von Elektrizität und Wasserstoff gespeichert werden. Die gespeicherte Energie wird Spitzennachfragen ausgleichen.
Das deutsche Modell fördert zudem eine neue Dynamik auf dem Energiemarkt, bei der die kleinen Akteure als Gewinner dastehen. Deutschlands Wechsel zu Wind- und Solarkraftanlagen wird nicht von großen Energieversorgern und Unternehmen angetrieben. Es wird von Bürgern, kleinen Energieversorgern und Energiekooperativen geleitet, besessen und betrieben. Dies weißt den Weg in eine dezentralisierte Energiezukunft, in der Millionen Menschen, kleine Unternehmen und Kooperativen Elektrizität produzieren, diese lokal verbrauchen und Überschüsse ins Netz einspeisen. Mit einigen Fortschritten in Netz- und Energiespeichertechnologien, wird auch diese Zukunft möglich sein.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Deutschland deutlich weniger Sonneneinstrahlung hat, verglichen mit Ländern wie den Vereinigten Staaten, Australien, Indien, China sowie den meisten Ländern Lateinamerikas und Afrikas. Wenn Deutschland also mit so wenig Sonneneinstrahlung solch große Mengen an Solarstrom produzieren kann, dann brauchen wir uns um die Zukunft der erneuerbaren Energieerzeugung keine Sorgen zu machen. Aber Deutschland ist in der Lage, all dies zu tun, weil es sich das leisten kann. Für Entwicklungsländer wie Indien wäre es nicht möglich, ein solch umfassendes Unterfangen alleine zu finanzieren. Daher wird ein globaler Mechanismus benötigt, um die Last der Transformation hin zu einer Zukunft der Erneuerbaren Energien zu teilen.
Wird Deutschland in der Lage sein, alle Probleme zu lösen und allen Herausforderungen zu begegnen, die die Energiewende mit sich bringt? Kann es all seine Ziele erreichen?
Ich glaube, es kann und wird. Das Aufregende an der Energiewende ist nicht, wie viel Erneuerbare Energie Deutschland bereits installiert hat, sondern wie die deutsche Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über den Wandel der Energiewirtschaft denken. Ich bin überzeugt davon, dass Deutschland die größte Hürde zur Umsetzung der Energiewende genommen hat.
Quelle: Down to Earth, Edition 1-15 Sep 2013: www.downtoearth.org.in/content/germany-transition?page=0,4