Viel Kritik und Unverständnis
Viel Kritik und Unverständnis
In vielen Ländern werden derzeit vor allem die Kosten der deutschen Energiewende für Haushalte und Industrie wahrgenommen. Diese Sicht verdeckt jedoch den Blick auf mit der Energiewende verbundene Chancen. Für eine ausgewogene Debatte sind die relevanten Informationen immer noch nicht ausreichend bekannt. Polen ist dafür ein Beispiel.
Germanwatch bat Dr. Andrzej Ancygier um seine Einschätzung. Ancygier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hertie School of Governance Berlin.
Nur wenige Industrieländer unterscheiden sich in ihren Energiestrategien derart stark wie Polen und Deutschland. Das hat Einfluss auf die Wahrnehmung der deutschen Energiewende östlich von Oder und Neiße. Die polnische Einstellung zum deutschen Experiment ist bis jetzt vor allem geprägt durch Skepsis. Einer Skepsis, die sich über die letzten zweieinhalb Jahre zudem eher vergrößert denn verringert hat.
„Kehren die Deutschen zurück zu Atom und Kohle?“ fragte das populäre polnische Wirtschaftsportal (www.wnp.pl) schon im Mai 2012 und berichtete, dass bei deutschen Politikern Zweifel zunehmen, ob die Energiewende zum Erfolg geführt werden kann. Längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke und mehr Kohlestrom sei die notwendige Antwort auf den Zubau der Erneuerbaren Energien, folgerte der Artikel.
Zu einem der am meisten diskutierten Aspekte der deutschen Energiewende sind in Polen inzwischen die Kosten des Erneuerbaren-Ausbaus avanciert. Insbesondere nach Umweltminister Peter Altmaiers Prognose vom Februar 2013, dass die Energiewende die Deutschen bis Ende der 2030er Jahre eine Billion Euro kosten könnte, war in verschiedenen polnischen Medien nachzulesen, dass sich Polen solch ein Experiment nicht leisten könne.
Inzwischen sind die angeblich hohen Kosten der Erneuerbaren Energien im Vergleich zur Kohle der kleinste gemeinsame Nenner fast jeder polnischen Debatte über die Energiestrategie des Landes. Die deutsche Kostendebatte hat zusammen mit der selektiv auf die VerbraucherInnen umgelegten EEG-Umlage dafür gesorgt, dass die Energiewende der Deutschen bei vielen Akteuren in Polen als Paradebeispiel fungiert, warum dieser Weg im eigenen Land auf absehbare Zeit nicht gangbar ist.
Kurz vor der Bundestagswahl veröffentlichte die polnische Newsweek einen Artikel mit dem Titel „Die Deutschen planen wie im Dritten Reich“. Genauso wie der Bau der Autobahnen in den 1930er Jahren würde jetzt die Entwicklung Erneuerbarer Energien als großes politisches Projekt zielgerichtet vorangetrieben. Die Förderung von grünen Energien sei zu einer Ideologie geworden, die egal zu welchen Kosten fortgesetzt würde.
Während des UN-Klimagipfels in Warschau im November 2013 wurde der Misserfolg der deutschen Energiewende sogar zum Dauerthema in Polen. Polnische Akteure reagierten dabei mit Gegenangriffen auf die ausländische Kritik an der nationalen Energiepolitik.
Hauptursache für die einseitige polnische Wahrnehmung der Risiken und Probleme der deutschen Energiewende ist ihre hohe Komplexität, gepaart mit dem Mangel an gut aufbereiteter Information. Journalisten und Lobbyisten fällt es in dieser Situation leicht, sich diejenigen Aspekte der Energiewende herauszusuchen, die ihnen am besten passen, um eigene Sichtweisen und Interessen zu untermauern.