Schnelle Reform des Zertifikatehandels unabdingbar
Schnelle Reform des Zertifikatehandels unabdingbar
Nicht nur die europäischen Finanzen, auch der EU-Emissionshandel steckt in einer tiefen Krise. Es bedarf dringend kurz- und langfristiger Lösungen, um das Herzstück der EU-Energie- und Klimapolitik zu retten. Sonst drohen hohe Extrakosten und ein Glaubwürdigkeitsverlust der EU. Germanwatch dokumentiert Auszüge aus einem Artikel von Thomas Spencer und Emmanuel Guérin (beide Institut du Développement durable et des relations internationales, IDDRI; Spencer arbeitete von 2008 bis 2010 als Klima-politikexperte bei Germanwatch).
„Im europäischen Energiesektor existiert weitreichender Konsens, dass der EU-Emissionshandel (Emission Trading System, ETS) schwächelt. Im Schatten der Wirtschaftskrise fielen die Preise im ETS auf neue Rekordtiefs und erreichten im letzten Quartal 2011 durchschnittlich nur 9 € pro Zertifikat. Mehr als 1 Mrd. ungenutzte Emissionserlaubnisse haben sich angehäuft. Es ist nicht zu erwarten, dass die Nachfrage nach den Erlaubnissen das Angebot vor 2020 übersteigt. […]
Das ETS hat zwei wesentliche Ziele. Erstens soll es kurzfristige Emissionsreduktionen profitabel machen und zweitens zu glaubwürdigen langfristigen Erwartungen bzgl. zukünftiger Kohlenstoffknappheit beitragen. […] Analysen zeigen aber, dass das ETS im Hinblick auf Emissionsreduktionen [wegen der niedrigen Preise – Anm. Germanwatch] kaum eine Rolle spielt. Gleichzeitig hat es nur unzureichenden Einfluss auf langfristige Investitionen und Innovationen. […]
Ein Versagen des ETS hätte weitreichende Konsequenzen für den europäischen Energiesektor und die EU als Ganze. Vier entscheidende Dinge stehen auf dem Spiel. Erstens kommt auf den EU-Energiesektor in naher Zukunft ein großer Investitionszyklus zu. […] Wichtig ist, jetzt sicherzustellen, dass die Politik diese den Energiesektor über die nächsten 30 bis 40 Jahre prägenden Investitionsentscheidungen in die richtigen Bahnen lenken kann. […] Zweitens droht aufgrund der aktuellen Schwäche und geringen Glaubwürdigkeit des ETS die Renationalisierung der EU-Klimapolitik. Eine fragmentierte und unkoordinierte Klimapolitik in der EU wäre jedoch teurer und weniger effektiv. […] Drittens macht Europas geschlossenes Auftreten auch seinen internationalen Einfluss in der Klimapolitik aus. Das ETS ist eine wichtige internationale Messlatte für die EU-Klimapolitik und wird sehr aufmerksam in jenen Ländern beobachtet, die eigene Klimaschutzinstrumente aufbauen wollen. […] Viertens wird das ETS [über die Erlöse durch die Auktionierung der Zertifikate – Anm. Germanwatch] für den Zeitraum 2013-2020 eine wichtige Einnahmequelle für die Regierungen sein. […]
Die Schwäche des ETS liegt zum einen im schwachen und volatilen Preissignal durch das derzeitige Überangebot an Zertifikaten. Zweitens fehlt ein klares Konzept für die Zeit nach 2020. Drittens fehlen institutionelle Prozesse und Mechanismen, die in Zukunft auf glaubhafte Art Korrekturen am ETS sicherstellen würden. […]
Die meistdiskutierte kurzfristige Reformoption ist die eines “Set Aside” („Beiseitelegen“), in dessen Rahmen eine Anzahl von Emissionszertifikaten im Zeitraum 2013-2020 zurückgehalten würden. […] Allerdings könnte die Kommission nicht über die endgültige Stilllegung oder Rückholung der Zertifikate nach 2020 entscheiden. […] Der zweite Ansatz wäre, präzise und glaubhafte Preissignale über die Kohlenstoffverknappung nach 2020 auszusenden. Das erfordert den Start eines Prozesses zur Festlegung der EU-Klima- und Energieziele für 2030. […] In Kombination würden beide Maßnahmen den Marktteilnehmern demonstrieren, dass die EU kurz- und langfristige Schwächen im ETS bekämpft.
Schlussendlich muss die EU glaubhafte, langfristige Prozesse entwickeln, um das ETS zu managen. Das britische Klimawandelkomitee sowie die australische Klimawandelbehörde sind Beispiele unabhängiger beratender Institutionen, wie sie möglicherweise auch für die EU in Betracht kommen.“
(Übersetzung durch Germanwatch)
Quelle: www.europeanenergyreview.eu/site/pagina.php?id=3478