Die Zukunft des Schienenverkehrs

 

 

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Zusammenfassung

Der Anteil der Bahn am weltweiten Verkehrsmarkt nahm seit Beginn des 20. Jahrhunderts kontinuierlich ab und ist heute deutlich geringer als der des Straßenverkehrs. Durch geeignete strukturelle Veränderungen könnte die Bahn jedoch sowohl im Personennah- und -fernverkehr als auch im Gütertransport ihre Leistung deutlich steigern.

Beim Personennahverkehr würden hierfür politische und planungstechnische Weichenstellungen (z.B. verstärkte Einführung des Bestellerprinzips, Vorrangregelungen für Straßen- und Stadtbahnen), intelligentere Fahrzeugtechnik (z.B. Zwei-System-Stadtbahn) und eine bessere Integration mit dem übrigen Personennahverkehr benötigt.

Im Personenfernverkehr ließe sich ein Teil der Fahrgäste vom Flugzeug auf Hochgeschwindigkeitszüge verlagern, wofür jedoch umfangreiche Investitionen getätigt werden müßten.

Entscheidende Veränderungen zur Stärkung des Gütertransports in Europa wären eine bessere Zusammenarbeit zwischen Schiene und Straße, das Ermöglichen eines stärkeren Wettbewerbs in diesem Markt sowie die Internalisierung externer Kosten bei allen Verkehrsträgern.

Die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene kann einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, da die Bahn in fast allen Fällen um ein mehrfaches klimafreundlicher als der Straßen- und Flugverkehr ist.

Die Situation in den 1990er Jahren

Nach seiner Einführung in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts hat der Schienenverkehr den motorisierten Landtransport für fast ein Jahrhundert dominiert. Dann verlagerten die meisten Regierungen ihre Investitionen in Richtung Straße, womit sich die Bedeutung der Bahn verringerte. Heute hat letztere nur in manchen Ländern hohe Marktanteile (z.B. Personenverkehr in Japan, China und Indien, Gütertransport in Nordamerika, Rußland und China). Der Weltgütertransport per Eisenbahn nahm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlagartig ab. Am Ende des 20. Jahrhunderts betrug die jährliche Transportleistung auf dem 900.000 km langen Weltschienennetz 1800 Milliarden Personenkilometer und 5700 Milliarden Tonnenkilometer. Im Personenverkehr hat die Schiene einen Anteil von 8 Prozent am globalen Markt.

Die Kostenstruktur des Schienensystems unterscheidet sich deutlich vom Straßenverkehr. Bei letzterem sind die Infrastrukturkosten 20 Prozent oder weniger der gesamten Systemkosten (d.h. für Straßen, Fahrzeuge, Fahrtkosten, Versicherung; externe Kosten sind hier nicht berücksichtigt), während bei der Bahn die Infrastrukturkosten oft mehr als die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen. Das bedeutet, daß die Entwicklung des Schienenverkehrs in Zeiten knapper öffentlicher Kassen schwierig ist.

Die Bahn spielt eine bedeutende Rolle im Personennah- und -fernverkehr sowie im Gütertransport. In allen drei Bereichen kann sie ihre Leistung noch deutlich steigern.

Personennahverkehr

Die Bahn hat die meisten ihrer Kunden im Nahverkehr. Für große Passagierströme ist sie das vorteilhafteste, oft das einzig mögliche Transportmittel (beispielsweise in Tokio, wo sie 60 Prozent Anteil am Modal Split hat). Da sie außerdem schnell und bequem sein kann, versorgt der Schienenverkehr in manchen Ländern (z.B. Schweiz und in manchen Teilen Deutschlands) auch ländliche Gegenden mit hohen Qualitätsstandards (d.h. täglich von 6 bis 21 Uhr mindestens eine Zugverbindung pro Stunde).

Der Einführung des "Bestellerprinzips" (örtliche Behörden bekamen Mittel, um regelmäßig verkehrende Züge zu bestellen, da diese selten profitabel betrieben werden können) folgten Wettbewerb und in der Folge höhere Qualität und niedrigere Preise.

Es gibt einen Unterschied zwischen "schweren" Schienen (in Deutschland: EBO-Zulassung, für die Eisenbahn) und "leichten" Schienen (in Deutschland: BOStrab-Zulassung, für Straßen-, Stadt- und U-Bahnen). Das "schwere" Schienennetz kann auch mit Güterzügen benutzt werden, hat anspruchsvolle Bestimmungen (bezüglich Signalausstattung und sonstigen Sicherheitsbestimmungen) und ist folglich relativ teuer im Vergleich zum BOStrab-Betrieb, der für die Transporterfordernisse in Städten ausgelegt ist. Nachdem man die meisten ihrer Schienen von Autospuren trennte und ihr Vorrang an Kreuzungen gab, erlebte die Straßen- bzw. Stadtbahn seit Mitte der 1980er Jahre weltweit eine Renaissance (z.B. wurden im Jahr 2000 in Frankreich drei vollständig neue Systeme in Montpellier, Orléans und Lyon eingeweiht).

Ein innovativer und sehr erfolgreicher Ansatz ist die sogenannte "Zwei-System-Stadtbahn" (erstmals 1992 in Karlsruhe eingeführt). Es handelt sich um ein Stadtbahnfahrzeug, das im Stadtkern auf den Straßenbahnschienen verkehrt. Nachdem es die Stadt verlassen hat, fährt es auf dem konventionellen Schienennetz (das seit über einem Jahrhundert vorhanden ist) weiter und verbindet so ländliche Gegenden mit dem Stadtkern, ohne daß die Fahrgäste umsteigen müssen. Ein weiterer Vorteil ist, daß praktisch keine neue Infrastruktur errichtet werden muß (was Jahrzehnte dauern würde und sehr teuer ist).

Eine wichtige Voraussetzung für eine zunehmende Nachfrage nach Schienenverkehrsmitteln ist die Integration von Busverbindungen (z.B. Zubringerbusse) in der Planung des Schienenverkehrs sowie in das Tarifsystem (gleiche Fahrkarte für Bus, Zug und U-Bahn bzw. Straßenbahn wie in Deutschland in Verkehrsverbünden üblich).

Personenfernverkehr

Die Einführung des Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszugs in Japan 1964 und des französischen "Train à Grande Vitesse" (TGV) 1981 brachte eine neue Qualität des Schienenfernverkehrs, der die Reisegeschwindigkeit im Vergleich zu älteren Zügen und zum Auto verdoppelte. In der Folge wurden Hochgeschwindigkeitsverbindungen in Italien, Deutschland, Spanien, Belgien, Großbritannien und Schweden errichtet. In Südkorea, Taiwan und China sind sie im Bau. Mit solchen Zügen (und der entsprechenden Infrastruktur) kann die Bahn bei Entfernungen von bis zu 600 km der stärkste Wettbewerber sein. Zum Beispiel ist der Marktanteil der Schiene zwischen Paris und Brüssel (310 km Entfernung) zehnmal größer als der Anteil des Luftverkehrs.

Das europäische Hochgeschwindigkeits-Schienennetz wird derzeit weiter ausgebaut, kann wegen der hohen Investitionskosten aber nur eine Ergänzung zu konventionellen Strecken sein.

Die weltweite Nachfrage nach Schienenpersonenverkehr weist gegen Ende der 90er Jahre ein hohes Wachtum auf, das vor allem durch die bevölkerungsreichen Länder Indien und China getragen wird. So stieg die Verkehrsleistung (gemessen in Personenkilometern) im Jahr 1999 global um knapp 5 Prozent.

Gütertransport

Die Schiene ist - zusammen mit der Binnenschiffahrt - für den Ferntransport von großen (homogenen) Gütermengen sehr gut geeignet. Dies erklärt, warum große Länder mit hohem Transportaufkommen wie die USA, Rußland oder China auch verhältnismäßig hohe Transportleistung im Schienengüterverkehr haben (beispielsweise wurden Ende der 1980er Jahre in der Sowjetunion 4000 Mrd. tkm Güterverkehr pro Jahr abgewickelt).

Auch der Weltschienengüterverkehr verzeichnete im Jahr 1999 mit fünf Prozent ein hohes Wachstum der Verkehrsleistung (in Tonnenkilometern).

In post-industriellen Gesellschaften, in denen der Dienstleistungssektor immer wichtiger wird (und die Größe der transportierten Güter sinkt), muß die Struktur der Gütertransportanbieter allerdings verändert werden. Die Zusammenarbeit mit dem Konkurrenten Straße ist in diesen wachsenden Märkten notwendig. Der Wettbewerb verschiedener Bahngesellschaften auf dem Schienennetz könnte die Qualität des Gütertransports verbessern. Dafür müssen auch neue technische Lösungen eingeführt werden.

Der Güterverkehr auf der Schiene wird allerdings keinen großen Erfolg haben, solange es an politischen Entscheidungen fehlt, die angemessene Rahmenbedingungen (z.B. Internalisierung externer Kosten) zur Unterstützung klimafreundlicher Technologien schaffen.

Ein allgemeines politisches Ziel könnte es z.B. sein, daß ein bestimmter Prozentsatz des zukünftigen Güterverkehrs-Wachstums auf der Schiene stattfinden muß. Falls dieses Ziel verfehlt wird, würde dies ein Signal an die Entscheidungsträger sein, um weitere Maßnahmen zur Stärkung des Schienentransports einzuführen.

Die Bundesregierung formulierte Ende des Jahres 2000 das Ziel, die Güterverkehrsleistung auf der Schiene bis zum Jahr 2015 zu verdoppeln.

Auswirkungen des Schienenverkehrs auf das Klima

Für die Klimapolitik ist der Verkehr vermutlich der Sektor, in dem die Begrenzung und Verringerung von Treibhausgasemissionen am schwierigsten zu erreichen sein wird.

Der Schienenverkehr ist ein relativ klimafreundliches Transportmittel. In Europa werden die meisten Züge mit Elektromotoren angetrieben, wobei der Strom aus der Oberleitung kommt. In Ländern wie der Schweiz, Schweden oder Frankreich führt dies wegen der Art ihrer Stromerzeugung zu praktisch keinen CO2-Emissionen (mit Erneuerbaren Energien und Kernenergie als Primärenergieträger; die Nachteile der letzteren können hier nicht diskutiert werden). Bahnen in anderen Ländern könnten ihren Strombezug ändern, wenn Klimaschutz eine höhere Priorität erhält (wie z.B. in Schweden, wo die Bahn nunmehr ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien verwendet).

Aber selbst in ländlichen Gegenden mit niedrigerem Passagieraufkommen und Dieseltraktion ist die Umweltverträglichkeit von Zügen meist besser als die des Individualverkehrs: Wenn die Züge z.B. 18mal pro Tag und Richtung verkehren und dies mit Pkw mit durchschnittlichem Besetzungsgrad verglichen wird, dann reichen 200 Fahrgäste pro Tag und Fahrtrichtung aus (was nicht viel ist), damit die Bahn, sofern angemessene Fahrzeuge verwendet werden, besser abschneidet.

Obwohl hier wegen der unterschiedlichen lokalen und regionalen Verhältnisse keine allgemeingültigen Daten angegeben werden können, ist festzustellen, daß die Bahn in fast allen Fällen (sowohl beim Personen- als auch beim Güterverkehr) um ein mehrfaches klimafreundlicher ist als der Straßenverkehr (und, selbstverständlich, als der Flugverkehr).
 

Manfred Treber
Februar 2001

(auch als englische Version erhältlich, siehe 01-2-02)

Autor:innen
Manfred Treber
Publikationsdatum
Seitenanzahl
65
Bestellnummer
01-2-01
ISBN
3-9806280-8-6

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