Wandel in Bewegung setzen
Wandel in Bewegung setzen
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) handelt von uns, betrifft die Gesellschaft und dreht sich um die Welt. Möchten wir die Welt zu einem nachhaltigen Ort verwandeln, so müssen wir uns auch selbst wandeln. Die Weltgemeinschaft hat 2014 auf der UNESCOWeltkonferenz für BNE in Aichi-Nagoya (Japan) Bildung für nachhaltige Entwicklung das Potenzial zugeschrieben, „alle Lernenden zu ermächtigen, sich selbst und die Gesellschaft, in der sie leben, zu transformieren“. Und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit den 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) kann nur umgesetzt werden, wenn Bildung in die umfassende Transformation einbezogen wird.
Lernende, das sind wir alle: Wir lernen ein Leben lang dazu, auch wenn wir formale Bildungsstrukturen wie das Schulsystem bereits verlassen haben. Wir treffen ständig komplexe Entscheidungen und entwickeln uns weiter. Die Ermächtigung zur Transformation jedoch erfahren wir nur selten in der Schule oder im stressigen Hamsterrad der Alltags- und Arbeitsbewältigung.
Transformation ist das Gegenteil von „Weiter so“. Es kommt aus dem Lateinischen transformatio, von transformare, was unter anderem für umformen steht. Manche Synonyme von umformen klingen nach viel Arbeit, andere nach Freude, aber alle zeugen von einer regen Aktivität, wie z. B. neugestalten, umarbeiten, ummodeln, umstellen, modifizieren oder umkrempeln. Auf den ersten Blick passen sie gut zu Knetmasse oder zur Einrichtung einer Wohnung – aber zur Gesellschaft als Ganzes? Klar doch! Nur haben wir es nicht richtig gelernt und selten Freiräume gehabt, das Mitgestalten der Gesellschaft selbst anzupacken. Auf den UN-Klimaverhandlungen im Dezember 2017 in Bonn (COP 23) formulierte es ein Schüler in einem Statement an die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks so: „Wir lernen viel über Nachhaltigkeitsziele, aber nicht, wie wir diese wirklich erreichen können“. Bildung, Bildungspolitik und Bildungsakteure werden deshalb dem Anspruch zur Transformation nur gerecht werden können, wenn sie diese Lücke füllen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Es gibt Bildungsinhalte, die Zusammenhänge zwischen Billigprodukten und Menschenrechtsverletzungen aufzeigen. Wir wissen dann, wie wichtig es wäre, Konsummuster und Lebensstile zu verändern, um heutiges und zukünftiges Leben nicht zu bedrohen. Wir wissen aber oft nicht, was wir selbst tun können, um das zu ändern. Wenn ich anders konsumiere, dann ändert dies noch lange nichts am Kaufverhalten anderer, so eine häufige Schlussfolgerung. „Der Weg ist das Ziel“ wäre eine andere. Beide klingen logisch, aber motivieren nur selten zu weiterem Engagement. Bildung für nachhaltige Entwicklung stellt darüberhinausgehende hartnäckige Fragen, die beispielsweise so lauten können: Wer hat entschieden, dass auf Treibstoff im internationalen Flugverkehr keine Steuern erhoben werden? Warum dürfen in Deutschland Produkte verkauft werden, hinter denen Landraub und Ausbeutung stehen, obwohl diese Praktiken in unserem Land verboten sind? Weshalb werden Waffen in Krisenregionen exportiert, obwohl wir Frieden als Grundlage nachhaltiger Entwicklung erkannt haben?
In unserer Motivation, die Gesellschaft zu einer besseren zu machen, steigen wir an diesem Punkt der Erkenntnis manchmal aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus schon aus. Oder wir entscheiden uns, aktiv zu werden. Wir informieren uns, organisieren Infostände, nehmen an Demos, Petitionen und an gesellschaftlichen Debatten teil.
Transformative Bildung
Eine transformative BNE eröffnet an dieser Stelle weitere Handlungsoptionen und zeigt uns wirksame Zugänge zu jenen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen und Strukturen, die unser tägliches und zukünftiges Handeln stark beeinflussen. Was möchten wir in 20 Jahren verändert haben, um die Welt zukunftsfähiger zu machen? Welche Hürden gibt es heute dafür? Welche Rahmenbedingungen können einen Trend hin zu nachhaltiger Entwicklung bereits heute verankern? An welchen Stellschrauben muss dafür auf welcher Ebene gedreht werden?
Eine transformative BNE ist immer auch eine politische, handelnde und in die Gesellschaft hineinwirkende Bildung. Sie zeigt uns beispielsweise, wie wir auf kommunaler Ebene nachhaltige Lösungen einfordern können, und macht uns Mut, eigene Konzepte zu entwickeln. Sie zeigt uns Wege, wie wir Rechte und Partizipationsmöglichkeiten nutzen können, um demokratisch legitimierte Ziele der Nachhaltigkeit umzusetzen. Das bedeutet konkret, dass wir uns in der Schule, Uni, bei Vorträgen und Tagungen nicht nur theoretisch mit sozialer Gerechtigkeit und dem globalen Umweltwandel auseinandersetzen sollten. Das bedeutet zudem, dass wir als Bildungsakteure die praktische Umsetzung der Handlungsoptionen für Nachhaltigkeit in einem offenen Lernprozess begleiten und dabei entsprechende Kompetenzen vermitteln müssen.
Bewege was Dich bewegt!
Insbesondere in Zeiten, in denen gesellschaftspolitische Teilhabe rückläufig und extrem ungleich verteilt ist, gilt es, die Begeisterung für die gesellschaftliche Mitgestaltung wieder zu wecken. Bildung, die politische Handlungsoptionen, wie z. B. einen Brief an eine Abgeordnete zu schreiben, außer Acht lässt, nimmt den Lernenden die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe. Dabei geht es vor allem darum, Menschen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen möchten, entsprechende Lern- und Erfahrungsräume zu ermöglichen und diese kompetenzorientiert zu begleiten. Selbstwirksamkeitserfahrungen, gemeinschaftliches Handeln, Befähigung und wirkungsvolle Handlungsoptionen können den angesichts der Größe der Herausforderung aufkommenden Ohnmachtsgefühlen entgegenwirken.
Transformative Ansätze greifen dabei besonders strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen von globaler Ungleichheit und planetarer Ausbeutung auf. Schließlich nimmt eine transformative BNE alle Zielgruppen in den Blick und bietet handlungsorientierte Lernräume für Nachhaltigkeit nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern in gleichem Maße auch für politische EntscheidungsträgerInnen, UnternehmerInnen, ArbeitnehmerInnen oder Bildungsakteure an.
Germanwatch setzt auf eine transformative BNE, die Hand und Fuß hat: den eigenen Handabdruck des gesellschaftlichen und politischen Handelns zu vergrößern und zugleich nicht nur den eigenen ökologischen und sozialen Fußabdruck zu verringern, sondern diese Möglichkeit auch anderen Menschen anzubieten (siehe auch Hand Print Aktion). Es ist eine große Chance, sich aktiv für Nachhaltigkeitsthemen einzusetzen, die einen selbst bewegen, und dadurch die Transformation der Welt, in der wir leben (wollen), mitzugestalten.
Alexander Reif