Afrikanische ExpertInnen fordern einen Neustart für die Handelsbeziehungen mit der EU
Kanzlerin Angela Merkel stellt Gespräche über die Zukunft der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen in Aussicht
Seit den 1970er Jahren versucht die EU durch spezielle Handelsbeziehungen die Entwicklung südlich der Sahara zu unterstützen und gleichzeitig eigene wirtschaftliche Interessen, wie den Zugang zu Rohstoffen, zu verfolgen. Seit dem Jahr 2000 soll dies durch Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit regionalen Zusammenschlüssen afrikanischer Länder geschehen. Wichtigstes Element ist, dass die EU ihre Märkte nicht mehr einseitig für afrikanische Märkte offen hält, sondern die Regionen auch ihre Zölle gegenüber der EU abbauen müssen; wobei sie eine Reihe von Gütern ausnehmen können. Zudem forderte die EU, dass ihre afrikanischen Partner bestehende Beschränkungen und Abgaben auf den Export von Rohstoffen weitgehend abbauen und keine neuen einführen. Die EU begründete den neuen Ansatz damit, dass die einseitige Marktöffnung gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstieße und zudem nur begrenzte Entwicklungserfolge gehabt habe.
Mit den EPAs sollte die regionale Integration Afrikas und die Orientierung an internationalen Märkten gestärkt werden, indem die Regionen sich auf eine gemeinsame Handelspolitik einigen und zugleich den internen Handel liberalisieren. Die ursprüngliche Forderung der EU, im Rahmen der EPAs auch den Handel mit Dienstleistungen zu liberalisieren und die Rechte von Investoren zu schützen, wurde wegen des Widerstands der afrikanischen Regierung fallen gelassen. Obwohl die EPAs bereits 2007 hätten abgeschlossen werden sollen, wurde bis heute erst ein regionales EPA in Afrika unterzeichnet. In anderen Regionen haben einzelne Länder bilaterale Abkommen mit der EU geschlossen, die sich teilweise widersprechen und andere Länder sind faktisch aus den Verhandlungen ausgestiegen.
Gemeinsam mit attac, Brot für die Welt, der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) und Misereor veranstaltete Germanwatch hierzu am 7. Juni am Berliner Sitz von Brot für die Welt eine Tagung zum Stand der handelspolitischen Beziehungen zwischen der EU und den Ländern in Afrika südlich der Sahara.
EPAs verfehlen ihre Ziele
Im Verlauf der Tagung stellte Kenneth Ukaoha von der National Association of Nigerian Traders fest: „Die für die EPAs formulierten Ziele – regionale Integration, Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung – schlagen sich nicht in den bislang verhandelten Texten für die Abkommen nieder.“ Stattdessen zementierten die Verträge die Kontrolle afrikanischer Märkte und Ressourcen durch europäische Konzerne. „Wir in Nigeria wollen unser Land transformieren, wegkommen von der einseitigen Abhängigkeit vom Öl und unsere Rohstoffe selbst kontrollieren“ – die EPAs stünden dem im Wege. Dr. Cheikh Tidiane Dieye, der als Berater für die senegalesische Regierung an den Verhandlungen beteiligt war, ergänzte: „Wir wollen gute Beziehungen und Handel zwischen der EU und Afrika. Aber eine Analyse der derzeit in den EPAs enthaltenen Bestimmungen zur Öffnung der Märkte, dem weitgehenden Verbot der Kontrolle von Rohstoffexporten und die Berücksichtigung neuer Entwicklungen, wie dem Vorhaben der Afrikanischen Union, eine kontinentale Freihandelszone aufzubauen, lässt uns zu dem Schluss kommen, dass die EPAs nachteilig für uns sind.“ Die meisten afrikanischen Länder waren mit der Aufgabe überfordert, binnen weniger Jahre die Märkte innerhalb ihrer jeweiligen Region zu öffnen, gleichzeitig eine gemeinsame Strategie im Handel mit der EU zu entwickeln und Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards zu verbessern. In der EU selbst dauerte die Entwicklung eines gemeinsamen Markts mit einer gemeinsamen Außenhandelspolitik mehrere Jahrzehnte.
Kanzlerin Angela Merkel stellt Neuverhandlung in Aussicht
Obwohl die Bundesregierung die Verhandlungen der Europäischen Kommission in den letzten Jahren unterstützt hat, scheint Kanzlerin Merkel die kritische Sicht auf die EPAs mittlerweile zu teilen. Im Rahmen einer Diskussion mit zivilgesellschaftlichen Gruppen aus G20-Ländern nannte sie die bestehenden Verträge der EU mit afrikanischen Staaten “nicht richtig”. Beim EU-Afrika-Gipfel im Herbst sollten Gespräche darüber geführt werden, wie Handelsverträge mit Afrika neu verhandelt werden könnten. Germanwatch und andere zivilgesellschaftliche Organisationen begrüßen dieses Vorhaben ausdrücklich. Die Bundesregierung erkennt damit die Risiken der EPAs an, welche die afrikanischen Expertinnen und Experten auf der Tagung am 7. Juni identifiziert hatten. In einem ersten Schritt müssen die schon unterzeichneten EPAs ausgesetzt werden und es darf kein Druck mehr ausgeübt werden, weitere EPAs auf Basis des derzeitigen schlechten Verhandlungsstands zu unterzeichnen.
Ein Neustart in den Handelsbeziehungen, der die Interessen und Pläne der afrikanischen Länder in den Vordergrund stellt, kann ein wichtiger Beitrag zur dringend nötigen Partnerschaft auf Augenhöhe mit der Europäischen Union sein. Für den in den EPA-Verhandlungen für die Bundes-regierung federführenden Entwicklungsminister Gerd Müller bietet dies die Chance, seine Forderung “Fairhandel statt Freihandel” mit Afrika wirksam in die Tat umzusetzen.