Über Wochen war kaum etwas nach außen gedrungen von den Vorschlägen des für „Bürokratieabbau“ zuständigen EU-Kommissars Dombrovskis für die erste der sogenannten Omnibus-Initiativen. Dann, an einem Freitagabend, musste es plötzlich ganz schnell gehen: Der Vorschlag erreichte die mitzuständigen Generaldirektorate mit einer 24-Stunden-Frist. So lange bekamen sie Zeit, um die Entwürfe einer teils weitgehenden Aufweichung wichtiger Leuchtturmgesetze des European Green Deals zu kommentieren.
Jedes dieser Gesetze ist das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen, teilweise sind sie noch gar nicht in Kraft getreten – doch mehr als ein halbes Wochenende wurde den Abteilungen, die diese Gesetze teils über Jahre vorbereitet und mitgeschrieben hatten, nicht gewährt, um die Änderungsvorschläge zu beurteilen. Für die EU-Kommission ist eine schnelle Entlastung europäischer Unternehmen offenbar nur zu erreichen, indem man die Überlastung des eigenen Beamtenstabs provoziert. Die Veröffentlichung des ersten Omnibus-Vorschlags ist der vorläufige Höhepunkt eines chaotisch-disruptiven Prozesses in der EU-Kommission, der nicht zuletzt die Transparenz- und Beteiligungsgrundsätze der „Better Regulation“-Agenda grob missachtete.
Wie aber sind die von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge inhaltlich zu bewerten? In einem zweiteiligen Blogbeitrag analysiert Germanwatch, ob die angekündigten Änderungen der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und Taxonomie-Verordnung das angekündigte Ziel der „Vereinfachung“ erfüllen – und inwiefern sie die Wirksamkeit der Gesetze im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Menschenrechtsschutz beeinflussen könnten. In diesem ersten Teil widmen wir uns der CSDDD.
Änderungsvorschläge zur CSDDD werfen Fragen auf
Die Änderungsvorschläge für die CSDDD sind die wohl weitreichendsten des Omnibus-Pakets. Dies ist aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert. Erstens: Das ursprünglich ausgegebene Ziel des Omnibus war die Reduktion von Berichtspflichten – die CSDDD enthält aber so gut wie keine solcher Berichtspflichten, sondern Sorgfaltspflichten. In anderen Worten: Hier geht es entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses nicht in erster Linie um Transparenz über die Zustände in der eigenen Lieferkette, sondern ums Aktivwerden, um die konkrete Verhinderung oder Abstellung von Menschenrechtsverstößen und Umweltzerstörung. Diese Themen haben sehr viel mehr mit den Entscheidungen zu tun, die Firmenchefs in klimatisierten europäischen Büros treffen, als uns das kampagnenhafte Bürokratie-Bashing dieser Tage glauben machen will. Zweitens: Die CSDDD kommt erst in mehreren Jahren zur Anwendung, es gibt also bislang keinerlei Erfahrungswerte mit ihrer Wirkung. Dass die EU sich das eigentlich vorgesehene Impact Assessment für den Omnibus-Vorschlag sparte, ist also kein Zufall.
Nichts gelernt aus den Konstruktionsfehlern des LkSG
Womit es hingegen erste Erfahrungen gibt, ist die Anwendung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), das seit 2023 gilt. Erfahrungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und Betroffenen aus dem Globalen Süden zeigen: Bereits in dieser vergleichsweise kurzen Zeit hat das Gesetz zu strukturellen Veränderungen geführt und Arbeiter:innen in den Lieferketten deutscher Unternehmen gestärkt. Eine aktuelle Umfrage zeigt zudem, dass sich seit Verabschiedung des LkSG auch bei Unternehmen die Kompetenz für die Umsetzung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten kontinuierlich verbessert hat.
Zugleich hat das LkSG zentrale Konstruktionsfehler. Dazu gehören in erster Linie die Fokussierung der Sorgfaltspflicht auf unmittelbare Zulieferer und das Fehlen einer klar geregelten zivilrechtlichen Haftung, die bei Unternehmen den nötigen Durchsetzungsdruck erzeugen und zugleich den in ihren Rechten verletzten Menschen eine Chance auf Wiedergutmachung bieten würde. Der ursprüngliche Entwurf von BMAS und BMZ erfasste noch die gesamte Lieferkette und sah eine solche zivilrechtliche Haftungsregelung vor. Erst auf Druck des damals CDU-geführten Bundeswirtschaftsministeriums, das seine Rolle bei der Gesetzgebung offenbar weitgehend als Sprachrohr der großen deutschen Wirtschaftsverbände verstand, wurde die Verengung des LkSG vorgenommen.
Obwohl auch der CSDDD-Text viele Abschwächungen in letzter Minute erfuhr, entbehrt er immerhin dieser zentralen Mängel des LkSG. Das Tragische: Ausgerechnet die genannten Elemente aus dem deutschen Gesetz möchte die EU-Kommission nun nachträglich in die CSDDD einfügen.
Der Tier-1-Irrweg
Statt wie bislang vorgesehen den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte folgend konsequent auf einen risikobasierten Ansatz zu setzen, der es Unternehmen erlaubt, je nach Schwere der vermuteten menschenrechtlichen Risiken oder Auswirkungen ihre Maßnahmen zu priorisieren, soll nun der Fokus, ebenso wie beim LkSG, auf den unmittelbaren Zulieferern (der sogenannte tier 1) liegen.
Ein solcher Ansatz geht nicht nur auf Kosten der Betroffenen in den Lieferketten. Denn die schwersten Menschenrechtsverstöße geschehen häufig am Anfang der Kette – etwa beim Abbau von Rohstoffen. Er verleitet auch zu einer Fehlanwendung des Gesetzes: Statt sich auf jene Bereiche zu konzentrieren, in denen tatsächlich menschenrechtliche und Umweltrisiken drohen, überschütten die erfassten Unternehmen derzeit häufig unterschiedslos alle ihre direkten Zulieferer mit undifferenzierten Fragebögen und Vertragsklauseln, die teils wenig mit der Realität ihres jeweiligen Geschäftsfelds zu tun haben.
Dieser compliance-getriebene Ansatz ist im LkSG so nicht vorgesehen, wird aber, getrieben durch schlecht informierte Rechtsberatung, von einigen deutschen Unternehmen so praktiziert. Diese Praxis hat verständlicherweise für einigen Unmut bei den häufig kleinen und mittelständischen Zuliefererunternehmen gesorgt und den Vorwurf unnötiger Bürokratie befördert. Umso absurder ist es, die Regelung des deutschen Gesetzes nun mit dem Ziel des „Bürokratieabbaus“ auf die EU-Ebene zu übertragen.
Zurück zur Freiwilligkeit?
Der vielleicht radikalste Vorschlag der EU-Kommission betrifft die Durchsetzung und Kontrolle der Einhaltung der CSDDD-Pflichten. Er sieht vor, die auf EU-Ebene geregelte zivilrechtliche Haftung gänzlich zu streichen. Zudem sollen die verbindlichen Vorgaben für behördliche Bußgelder bei Verstößen wegfallen.
Würde sich dieser Vorschlag durchsetzen, stünde zu befürchten, dass die verpflichteten Unternehmen zwar formell weiterhin an verbindliche Sorgfaltspflichten gebunden sind, aber de facto kaum Konsequenzen zu befürchten hätten, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Die Auswirkungen für Betroffene wären potenziell drastisch, eine effektive Verhinderung oder Wiedergutmachung von erfolgten Rechtsverletzungen oder Umweltschäden würde deutlich unwahrscheinlicher.
Anlass für die Einführung verbindlicher menschenrechts- und umweltbezogener Sorgfaltspflichten war die Erkenntnis, dass die freiwilligen Selbstverpflichtungen von Unternehmen keine Wirkung zeigen. Nun scheint die EU-Kommission einen Schritt zurück in Richtung Freiwilligkeit machen zu wollen.
Dieser Logik folgt auch ein weiterer fataler Omnibus-Vorschlag: Die vorgesehenen 1,5-Grad-kompatiblen Klima-Transitionspläne sollen künftig nicht mehr explizit verpflichtend umgesetzt werden müssen. Doch ein 1,5-Grad-kompatibler Plan, der nicht umgesetzt werden muss, droht nicht nur zum zahnlosen Papiertiger, sondern sogar zum Greenwashing-Instrument zu werden. Unternehmen könnten so ambitionierte Pläne für Klimaneutralität skizzieren, die anschließend in der Schublade verschwinden, während weiter fossile Geschäftsmodelle befeuert werden. Dies war laut Anwesenden eine Hauptforderung der zahlreichen Vertreter:innen fossiler Energiekonzerne, die bei einem Gespräch der EU-Kommission mit ausgewählten Stakeholdern vor wenigen Wochen erhoben wurde.
Ziel der Entlastung von KMU rückt in den Hintergrund
Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion zu (angeblichen oder tatsächlichen) Belastungen durch das Lieferkettengesetz stehen immer wieder die praktischen Probleme kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Von den vielen von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen an der CSDDD betrifft allerdings nur eine unmittelbar KMU: Informationsabfragen an Geschäftspartner mit weniger als 500 Mitarbeitenden sollen inhaltlich nicht mehr über die eigens für KMU konzipierten, freiwilligen VSME-Standards hinausgehen dürfen.
Dieser Vorschlag ist nicht zuletzt wegen des äußerst beschränkten und nicht zur CSDDD passenden Anwendungsbereichs des VSME-Standards mangelhaft (siehe auch unsere Kommentierung der Omnibus-Vorschläge für die CSRD). Es hätte eine Reihe besser geeigneter Maßnahmen gegeben, um KMU unmittelbar vor Belastungen durch eine missbräuchliche Anwendung des Gesetzes zu schützen: Ein Vorschlag ist etwa, LkSG-erfasste Unternehmen zur Angabe der Rechtsgrundlage zu verpflichten, auf derer sie Informationen von ihren Zulieferern erfragen, um Missbrauch besser vermeiden zu können. Weitere Vorschläge wären die schnelle Entwicklung sektorspezifischer Musterfragebögen oder eine verpflichtende Vorgabe, in welcher Frequenz Informationen höchstens abgefragt werden dürfen.
Das Ergebnis schlecht beratener und aktionistischer Politik
In der Gesamtschau des Omnibus-Vorschlags zur CSDDD ergibt sich ein verheerendes Bild. Statt sich mit den tatsächlich existierenden Inkohärenzen ihrer Nachhaltigkeitsregulatorik auseinanderzusetzen und praxisnahe Regelungen vorzuschlagen, die deren Anwendung erleichtern und zugleich ihre intendierte Wirkung nicht aus dem Blick verlieren, hat sich die Kommission offensichtlich zur Erfüllungsgehilfin der Sprechpunkte einiger weniger Industrieverbände gemacht und deren Forderungen nahezu eins-zu-eins umgesetzt: In einem Brief Ende Januar hatte der BDI gemeinsam mit zwei weiteren Verbänden aus Frankreich und Italien eine Liste mit zehn Wünschen für den Omnibus an die EU-Kommission geschickt. Acht von zehn der dort präsentierten Punkte wurden von der EU-Kommission ganz oder größtenteils in ihren Omnibus-Vorschlag aufgenommen.
Das Paradoxe an den nun vorliegenden Vorschlägen ist, dass sie genau das Gegenteil von dem tun, was unter anderem Wirtschaftsminister Robert Habeck in seiner viel und häufig unvollständig zitierten „Kettensägen“-Äußerung vorschlug. Zwar insinuierte Habeck damals fälschlicherweise, das Lieferkettengesetz bestehe vor allem aus überbordenden Berichtspflichten. Im Kern forderte er aber, Unternehmen müssten statt einer Konzentration auf Berichtspflichten stärker an den Ergebnissen ihres Handelns gemessen werden und im Zweifel mit Sanktionen rechnen müssen, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung beitragen.
Die Kommission schlägt vor, gerade diese Sanktionen weitgehend zu streichen, während zugleich die bürokratieanfälligen Konstruktionsfehler des LkSG auf die EU-Ebene übertragen werden sollen. Das ist das Ergebnis schlecht beratener und aktionistischer Politik. Die Folge ist eine EU-Lieferkettenrichtlinie, die droht, weitgehend wirkungslos zu werden.
Es wird nun darauf ankommen, wie viel Gegenwind die Kommission aus Parlament und Ministerrat entgegenschlägt. Die S&D-Fraktion hat bereits ihren Widerstand angekündigt, zahlreiche SPD- und Grünen-Politiker:innen haben gemeinsam mit Führungskräften aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen Appell gegen die Abschwächung der CSDDD unterzeichnet. Im Ministerrat wiederum würde bereits die Enthaltung einer relativ kleinen Anzahl an EU-Regierungen genügen, um den Omnibus zu stoppen. Der Ausgang des Omnibus-Prozesses wird unter anderem davon abhängen, zu welchem Grad sich Ursula von der Leyen auf die Unterstützung der extrem rechten Kräfte in der EU verlässt.