Welthandelspolitik ohne Orientierung
Welthandelspolitik ohne Orientierung
Eine Welthandelspolitik, die die Existenz vieler Menschen oder der ökologischen Mitwelt zum ungezügelten Spielball der Märkte macht, stößt bei betroffenen Menschen und Ländern auf Widerstand. In entsprechend schwerem Gewässer befinden sich viele laufende Verhandlungen. Zwar konnte die Welthandelsorganisation WTO im Dezember 2013 im indonesischen Bali ein symbolisch wichtiges, neues Abkommen zum Abbau bürokratischer Hemmnisse und für eine verbesserte Infrastruktur bei der Zollabwicklung verabschieden. Aber es ging nur um einen kleinen Baustein der 2001 in Katar gestarteten Doha-Runde, der bislang erst von wenigen Staaten ratifiziert wurde. Und drei Monate vor der nächsten WTO-Konferenz in Nairobi gibt es kaum noch Chancen, dass der gewünschte Fahrplan vereinbart wird, mit dem die in Bali ausgeklammerten kontroversen Punkte der Doha-Agenda gelöst werden sollen.
WTO zurück in der Sackgasse
Ohne die in Bali versprochenen Vereinfachungen für diejenigen Entwicklungsländer, die Programme zur Ernährungssicherheit ausbauen wollen, ist ein WTO-Durchbruch nicht zu erwarten. Das aber wird noch nicht einmal ernsthaft diskutiert. Auch sehen Länder wie Indien, Indonesien und China große Risiken für ihre Landbevölkerung und deren Recht auf Nahrung, wenn sie ihre Agrarmärkte schnell und weit öffnen. Insbesondere aber die USA stellen sich hier stur und machen dies zur Bedingung dafür, ihre eigenen Agrarsubventionen zu verringern. Auch ist völlig offen, ob es noch einmal gelingen könnte, zumindest Beschlüsse zu einzelnen, weniger kontroversen Themen zu fassen.
Zähe Verhandlungen zu den großen regionalen Abkommen
Angesichts der jahrelangen Stagnation der Doha-Runde setzen die USA und die EU zunehmend auf regionale Verhandlungen mit großen Volkswirtschaften. Die Ziele sind: weniger Zölle, vereinheitlichte Standards und der Schutz der Wirtschaft vor „diskriminierenden“ staatlichen Auflagen. Die USA wollten eigentlich diesen Sommer ein Handels- und Partnerschaftsabkommen mit Ländern des pazifischen Raums schließen. Beim entscheidenden Ministertreffen aber gab es keine Einigung über den Marktzugang für Reis, Milch und Autos sowie über den Schutz geistiger Eigentumsrechte für Medikamente. Trotz offiziell verkündetem Optimismus ist bislang unklar, wann ein neuer Anlauf gewagt wird.
Das TTIP-Abkommen zwischen USA und EU soll handelsbeschränkende Wirkungen von Regeln und Standards abbauen. Das Spektrum reicht dabei von Vorschriften für die Farbe von Auto-Blinklichtern bis zur Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Es ist das erklärte Ziel der neuen EU-Kommission, auf diesem Weg EU-Regeln wirtschaftsfreundlicher zu gestalten. Ein neuer transatlantischer Regulierungsrat soll Wirtschaftsinteressen systematisch stärken.
TTIP als Instrument der Deregulierung
Zivilgesellschaftliche Gruppen vor allem in der EU befürchten, dass das Abkommen Umwelt- und Verbraucherstandards aushöhlt oder für die notwendige Transformation erforderliche Rahmensetzungen und Regulierungen verhindert. Beispiel gentechnisch veränderte Organismen: Regierung und Lobbygruppen in den USA wollen einem TTIP nur zustimmen, wenn die EU deren Anbau und Vermarktung erleichtert. Zugleich ist das Thema in der EU hoch umstritten. Unter anderem deshalb will die Kommission den Mitgliedstaaten mehr Kompetenzen bei der Zulassung von GVO einräumen (siehe Artikel Gentechnik (frei) in Europa?). Nach den Regeln des EU-Binnenmarkts kann es Probleme aufwerfen, wenn nur einige Mitgliedstaaten Saatgut zulassen. Wenn es deshalb zu Neuregelungen kommen muss, dann säßen im geplanten TTIP-Regulierungsrat US-Regierung und Saatgutindustrie mit am Tisch. Dem Versprechen der Regierungen, im Rahmen von TTIP für die besseren Standards für Umwelt und Soziales einzutreten, steht der bisherige Verhandlungsverlauf entgegen. Solange sie keinen grundlegend anderen Ansatz verfolgen, werden sich die europäischen Regierungen auf wachsende Proteste gegen TTIP einstellen müssen (siehe Aufruf zur TTIP-Demo am 10. Oktober).
Tobias Reichert