Eine Frage der Haltung
Eine Frage der Haltung
Diese Hühner können sich glücklich schätzen: Ihre Schnäbel wurden nicht gekürzt und sie werden auch entsprechend artgerecht gehalten. (Foto: Manin Schäfer, SoLawi Bonn)
Bisher orientiert sich die Strategie Deutschlands in Bezug auf Nutztierhaltung vor allem am Ziel von mehr Wachstum. Während in Deutschland die Nachfrage nach Fleisch leicht zurückgeht, setzt die Agrarpolitik immer stärker auf Exporte in Schwellen- und Entwicklungsländer. Doch die industrielle Tierhaltung führt zu vielen Problemen: Nitratüberschüsse im Grundwasser, gegen Antibiotika resistente Keime, prekäre Arbeitsverhältnisse, viel Leid für die Tiere, viele Treibhausgase und den Verlust gewachsener Kulturlandschaften. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen ist bemerkenswert, dass sich die von Bundesagrarminister Christian Schmidt im September 2014 gestartete Initiative „Eine Frage der Haltung“ ganz auf das Tierwohl konzentriert. Was hat sich seitdem geändert?
Was bringt die freiwillige Selbstverpflichtung?
Schmidt setzt zumindest zunächst auf freiwillige Vereinbarungen. So sollen bei Legehennen ab August 2016 keine Schnäbel mehr gekürzt werden. Für Mastputen soll dagegen bis 2017 lediglich eine Studie erstellt werden, ob der Verzicht auf das Schnabelkürzen „machbar“ sei.
Der entscheidende Schritt müsste sein, die Haltungsbedingungen tatsächlich dem Tierwohl anzupassen. Denn die Tiere verletzen sich vor allem dann gegenseitig – Grund für die bislang gängige Praxis des Schnabelkürzens – , wenn ihnen zu wenig Platz und Beschäftigungsmaterial zur Verfügung stehen. Landwirtschaftsminister Schmidt plant ein Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen, das zu wesentlichen Verbesserungen führen könnte. Dazu müssten durch die geprüften Stalleinrichtungen verschiedene Funktionsbereiche mit verschiedenen Bodenbelägen, verschiedenen Klimazonen (vorzugsweise Außenklima), ausreichend Platz, artgemäße Beschäftigung, Nahrungsaufnahme und Körperpflege gesichert werden. Jedoch sind ein Jahr nach dem Start der Tierwohlinitiative noch keine Prüfkriterien bekannt.
Mehr als doppelt so viele Betriebe, wie durch das geplante Budget gefördert werden können, haben sich für die Brancheninitiative Tierwohl angemeldet. Das zeigt, wie viele Bäuerinnen und Bauern ihre Tiere gerne artgerechter halten würden, wenn sie es sich finanziell leisten könnten. Das Konzept sieht eine Umlagefinanzierung vor, bei der LandwirtInnen vom Lebensmitteleinzelhandel bereitgestellte Gelder erhalten, wenn sie bestimmte Mindestkriterien umsetzen. Umfragen zeigen, dass auch für 70 Prozent der VerbraucherInnen artgerechte Tierhaltung so wichtig ist, dass sie dafür zumindest moderat höhere Preise zahlen würden. Hier ist die Politik gefragt, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die LandwirtInnen, die viele Probleme für Mensch und Tier erzeugen, nicht länger Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen haben.
Trendwende statt punktueller Lösungen
Die Initiative geht die Probleme in der Nutztierhaltung nur punktuell an. Grundlegende Schritte, um das systemische Tierleiden zu stoppen, sind bisher nicht erfolgt. Dazu wäre es notwendig, die Exportorientierung in Fleisch- und Milchproduktion zu überdenken. Denn um global konkurrenzfähige Produkte zu liefern, reduzieren die LandwirtInnen die Kosten so stark, dass echte Verbesserungen kaum zu erreichen sind. Immer mehr Schäden werden auf Mensch, Tier und ökologische Mitwelt abgewälzt. Durch Überzüchtung und Kraftfutter werden Tiere zu Höchstleistungen angetrieben. Betriebe, die diesen Pfad für unverantwortlich halten, geraten finanziell massiv unter Druck. Freiwillige Selbstverpflichtungen werden nicht ausreichen – es bedarf einer echten Trendwende, weg von der Quantität hin zur Qualität. Es gilt gemeinsame Strategien mit den vielen LandwirtInnen zu entwickeln, die ein anderes Leitbild von Landwirtschaft haben.
Elisa Kollenda