Am 26. Februar 2025 hat die Europäische Kommission den Clean Industrial Deal vorgestellt. Dieser soll die wirtschaftliche Grundlage für umfangreiche Investitionen in klimaneutrale energieintensive Industrien und saubere Technologien schaffen.
Mit dem Bekenntnis zu einer 90-prozentigen Emissionsminderung bis 2040 und dem starken Fokus auf den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien sowie auf die Kreislaufwirtschaft setzt die EU-Kommission wichtige Signale für eine nachhaltige industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Positiv ist auch, dass die Kommission klar zwischen den Herausforderungen für energieintensive Industrien, die dringend dekarbonisiert werden müssen, und der Förderung von Cleantech-Sektoren unterscheidet, die gerade nur schwer an Finanzmittel für eine Skalierung kommen. Zu kurz springt der Deal aber bei den Anstrengungen, die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen zu durchbrechen und zusätzliche EU-Mittel für einen sauberen und gerechten industriellen Wandel zu mobilisieren. Zudem untergraben die so genannten „Omnibus-Vorschläge“ wesentliche Gesetze zur Umwelt- und Unternehmensverantwortung.
Bezahlbare Energie
Einer der zentralen Schwerpunkte des Clean Industrial Deals ist das Sicherstellen wettbewerbsfähiger Energiepreise in Europa. Im „Aktionsplan für bezahlbare Energie“ identifiziert die Kommission zu Recht die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und strukturelle Ineffizienzen im Stromsystem als Hauptursachen für hohe und volatile Energiepreise. Der Aktionsplan betont die Rolle erneuerbarer Energien, der Elektrifizierung, des Ausbaus der Netze und der Flexibilisierung bei der Senkung der Energiepreise. Positiv hervorzuheben sind dabei die angekündigten Gesetzesvorschläge, die die Genehmigungen für Netze, Speicher und Investitionen in saubere Energie beschleunigen sollen. Ebenso begrüßenswert ist das angekündigte Paket „Bürger und Energie“, das Maßnahmen zur Verringerung der Energiearmut durch Energieeffizienz und dezentrale Teilhabemodelle vorsieht. Auch die Absicht der Kommission, Vorschläge für eine flexibilitätsfördernde Reform der Netzentgelte zur Senkung der Systemkosten zu unterbreiten, ist zu begrüßen. Was hingegen fehlt, ist die Skalierung von Energieeinsparungen und Effizienzmaßnahmen als effektivste Methoden, um Energiekosten zu senken.
Völlig kontraproduktiv sind die Erwägungen, gemeinsam Langfristverträge für Gaslieferungen abzuschließen und LNG-Exportinfrastrukturen zu fördern, wodurch die Abhängigkeit der EU von fossilem Gas bestehen bleiben würde.
Leitmärkte: Förderung von Angebot und Nachfrage im Bereich der sauberen Technologien
Die von der Kommission vorgeschlagenen Leitmärkte können ein starker Hebel sein, um die Nachfrage nach CO₂-armen Materialien und Produkten anzukurbeln. Es ist gut, dass die Kommission Vorgaben für die öffentliche Beschaffung CO₂-armer Materialien mit gezielter Nachfrage nach Produkten europäischer Hersteller verbinden möchte. Ebenso zu begrüßen ist das Ziel, bei einzelnen Produktgruppen wie Autos auch für private Märkte die Nutzung CO₂-armer Materialien verbindlich zu machen. Die Kommission sollte dabei den eigenen Anspruch beherzigen, Kreislaufwirtschaft ins Zentrum von industrieller Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung zu stellen. Dafür sollte sie sich bei der angestrebten schnellen Entwicklung eines Labels für die CO₂-Intensität von Industrieprodukten an bestehenden Systemen wie LESS für Stahl orientieren, die sowohl Emissionswerte als auch Schrottanteile berücksichtigen.
Die Vorschläge zur Einführung von Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien für die öffentliche sowie private Beschaffung sind ein entscheidender erster Schritt zum Aufbau Grüner Leitmärkte. Es bleibt aber noch ein Stück weit unklar, wie diese gezielt und verbindlich umgesetzt werden könnnen. Freiwillige Labels sind ein Anfang, aber verbindlichere Maßnahmen wie Quoten wären notwendig, um die Nachfrage nach klimafreundlichen Materialien in der heimischen Industrie langfristig zu sichern. Ein erstes Beispiel für die konkrete Umsetzung, könnte schon der im Mai erwartete Steel Action Plan liefern mit Maßnahmen wie Recyclingquoten und verbindliche Vorgaben für den Einsatz von grünem Stahl. Ein solches Modell – etwa mit Quoten für grünen Stahl für Automobilhersteller, die ab 2030 einen steigenden Anteil an grünem und recyceltem Stahl in neuen Fahrzeugen vorschreiben – könnte als Blaupause für weitere Branchen dienen.
Bei der Förderung von Wasserstoff gibt es Licht und Schatten. Positiv ist, dass der Clean Industrial Deal eine weitere, finanziell gut ausgestattete Ausschreibungsrunde der Europäischen Wasserstoffbank vorsieht und hiermit die Produktion von grünem Wasserstoff in Europa fördert. Im Rahmen eines immer stärker Erneuerbaren-basierten Energiesystems können so auch wichtige systemische Vorteile genutzt und an anderer Stelle Kosten eingespart werden. Die angekündigte zeitnahe Veröffentlichung des delegierten Rechtsaktes zur Definition von kohlenstoffarmem Wasserstoff ist ebenso positiv, da sie regulatorische Klarheit verschafft. Problematisch ist dabei aber, dass die Emissionen aus der Erdgas-Förderung unzureichend berücksichtigt werden. Zudem sollte schon jetzt ein ambitionierter Verschärfungspfad bis 2050 für die zu erreichenden Emissionsminderungen bei kohlenstoffarmem Wasserstoff festgeschrieben werden, damit Produzenten und Investoren sich rechtzeitig darauf einstellen können.
Öffentliche und private Investitionen
Mit dem Clean Industrial Deal erkennt die EU-Kommission den erheblichen Investitionsbedarf von zusätzlich 480 Milliarden Euro pro Jahr für Energie-, Industrie- und Verkehrssysteme an, um die Ziele des europäischen Green Deals zu erreichen. Jedoch liefert der Deal keinen ausreichend klaren Plan, wie diese Lücke geschlossen werden sollte.
Mit der „Industriellen Dekarbonisierungsbank“, die mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll, möchte die Kommission saubere Produktion in der EU unterstützen. Diese Mittel speisen sich jedoch aus der Umverteilung bestehender Töpfe (Innovationsfonds, InvestEU, freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten, Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelsystems), ohne neue Einnahmequellen zu erschließen. Das ist problematisch, denn ab 2026, wenn das Programm NextGenerationEU ausläuft und die Rückzahlung der dafür aufgenommen Schulden beginnt, wird die EU vor einer wachsenden Finanzierungslücke stehen. Mario Draghis Vorschlag, neue gemeinsame Schuldeninstrumente zu schaffen, bleibt unbeachtet, und es gibt auch keine neuen Vorschläge für Eigenmittel. Damit droht, dass vor allem Mitgliedstaaten mit ausreichend finanziellen Ressourcen in die Industrie-Dekarbonisierung und Cleantech investieren, und somit Chancen für eine resiliente und wettbewerbsfähige EU ungenutzt bleiben – was angesichts der schwierigen geopolitischen Zeiten ein großes Versäumnis wäre.
Zur Mobilisierung privater Investitionen sieht der Deal richtigerweise vor, den Zugang zu Gegengarantien der Europäischen Investitionsbank und zu den IPCEIs zu erweitern. Diese konzentrieren sich jedoch auf den Energiesektor und lassen Technologien mit hohem Potenzial für Klimaneutralität in anderen Sektoren, wie z. B. Batterie-Gigafabriken, auf der Strecke. Die Omnibus-Initiative, die zusammen mit dem Clean Industrial Deal vorgestellt wurde und unter anderem den Geltungsbereich der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) massiv reduzieren will, steht im diametralen Widerspruch zu den Bemühungen der Kommission, privates Kapital für den klimapolitischen Wandel der EU zu mobilisieren.
Für den aktuellen Beihilferahmen („Temporary Crisis and Transition Framework“), der Ende dieses Jahres ausläuft, wird laut Clean Industrial Deal eine Anschlussregelung geschaffen werden, die das Beihilferecht weiterhin vereinfacht, um schnellere Genehmigungen und mehr Unterstützung unter anderem für Cleantech-Produkte zu ermöglichen. Diese neuen Rahmen müssen klare Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasen und Energieeinsparungen priorisieren und das „Do no significant harm“-Prinzip verankern.
Kreislaufwirtschaft
Auch bei der Kreislaufwirtschaft stimmen Ambition und Richtung, aber es fehlt der klare politische Fahrplan. Um das lobenswerte Ziel zu erreichen, bis 2030 Weltmarktführer der Kreislaufwirtschaft zu werden, setzt die Kommission zu einseitig auf Recycling und lässt große Potenziale für Ressourcen- und Klimaschutz in Industrie und Mittelstand links liegen. Hier gibt es wichtigen Korrekturbedarf, bevor 2026 (und besser früher) der angekündigte Circular Economy Act vorgelegt wird. So werden innovative zirkuläre Strategien wie Remanufacturing erwähnt, finden sich in den vorgeschlagenen Maßnahmen aber nicht wieder. Zudem reichen die Vorschläge selbst nicht, um das von der EU gesetzte Ziel zu erreichen, 25 % der strategischen Rohstoffe aus dem Recycling zu beziehen. Statt auf Protektionismus zu setzen, sollte die Kommission z. B. mehr Kapazitäten für die zügige Implementierung von richtungsweisenden EU-Verordnungen wie der Ökodesign-Richtlinie schaffen, die erweiterte Herstellerverantwortung im Sinne der Abfallhierarchie reformieren und harmonisieren, regulatorische Barrieren für innovative zirkuläre Strategien abbauen und zirkuläre Geschäftsmodelle steuerlich weitgehender begünstigen.
Globale Märkte und internationale Partnerschaften
Der Clean Industrial Deal betont, dass die EU ihre Ziele für eine nachhaltige Industrialisierung ohne Partnerschaften auf globaler Ebene nicht erreichen kann. Mit den angekündigten neuen „Clean Trade and Investment Partnerships“ (CTIPs) möchte die EU-Kommission die Dekarbonisierung vorantreiben, strategische Abhängigkeiten verringern und zielgerichtete Investitionen in saubere Technologien fördern. Doch während die EU vor allem ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit und Rohstoffsicherheit in den Fokus rückt, bleibt unklar, wie die Interessen der Partnerländer ausreichend berücksichtigt werden. Zum Beispiel sollten diese Partnerschaften auch lokale Wertschöpfungsketten fördern und nicht nur europäische Wirtschaftsinteressen bedienen. Angesichts der aktuellen geopolitischen Herausforderungen ist es für die EU entscheidend, gleichberechtigte Partnerschaften aufzubauen und zu stärken.
Besonders kritisch ist, dass verbindliche Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards nicht erwähnt werden. Nur mit solchen Standards und unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Partnerländer können die CTIPs zu einem glaubwürdigen und wirksamen Instrument der europäischen Klimaaußenpolitik werden. Zudem fehlt eine klare Strategie, wie die CTIPs mit bestehenden Partnerschaften und der Global Gateway Initiative verzahnt werden sollen, um Synergien zu schaffen und Doppelstrukturen zu vermeiden.
Beim europäischen CO₂-Grenzausgleichssystem (CBAM) ist der Ansatz sinnvoll: Den Fokus auf die großen Importeure zu setzen, bei gleichzeitiger Ausweitung auf weitere Bereiche und indirekte Emissionen. Entscheidend ist, dass der CBAM das doppelte Ziel von Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung optimal unterstützt und so Klimaschutzimpulse auch in andere Staaten sendet: Dazu muss er den Zielpfad des EU-ETS absichern und mit einem Teil der Einnahmen internationale Kooperationen unterstützen. Außerdem sollte die Kommission bei der weiteren Ausgestaltung auf internationale Anschlussfähigkeit achten.
Qualifizierte und hochwertige Arbeitsplätze für soziale Gerechtigkeit und einen gerechten Übergang
Der Clean Industrial Deal kündigt eine „Union of Skills"-Strategie für ein resilientes Bildungssystem und die Ausbildung von Fachkräften und eine „Quality Jobs Roadmap“ mit Unterstützungsangeboten für Arbeiternehmer:innen in Kohle- und Industriegebieten an. Diese sind wichtige Schritte, da bisher ein gemeinsames EU-Konzept für den Strukturwandel und bessere Arbeitsplätze fehlte. Ein „Europäisches Observatorium für einen gerechten Übergang” sollte den Dialog mit sozialen Akteuren, regionalen und lokalen Behörden sowie der Zivilgesellschaft in Zukunft verbessern. Das ist für die regionale Kohäsion von entscheidender Bedeutung. Um das Observatorium handlungsorientierter zu gestalten, sollte die Kommission es durch lokale Beratungsstellen erweitern, beispielsweise für einen besseren Zugang zum Fonds für einen gerechten Übergang.
Der Vorschlag zum sozialen Leasing für saubere Produkte im Clean Industrial Deal ist besonders positiv hervorzuheben. Dies könnte die Nachfrage nach sauberen Produkten fördern, wenn es schnell umgesetzt wird, und gleichzeitig als unterstützende Maßnahme für den Übergang zum zweiten Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude dienen, wenn damit erschwingliche Preise u. a. von Wärmepumpen für schutzbedürftige Haushalte sicherstellt werden. Es ist jedoch noch unklar, wann das Konzept konkret vorgestellt wird. Bisher fehlt ein systematischer Ansatz für einen EU-weiten gerechten Übergang, was die Umsetzung des Versprechens der Kommission für mehr soziale Gerechtigkeit auf dem Weg zur Klimaneutralität infrage stellt.