sich kreuzende Autobahnen

Klimaschutz im Verkehr: Fahrtziel unklar

Eine Germanwatch-Analyse des Koalitionsvertrags: Mobilität und Verkehr

Im Verkehrssektor sind nicht nur die Infrastrukturen marode: der Klimaschutz steckt fest, Reisende, Logistiker und Beschäftigte sind frustriert. Mit dem Sondervermögen Infrastruktur hat die kommende Bundesregierung eine große Chance und eine besondere Verantwortung. Wie sich Schwarz-Rot mit dem Koalitionsvertrag im Verkehrsbereich aufstellt, analysieren die Germanwatch-Expert:innen für klimaneutrale Mobilität Anja Köhne und Jacob Rohm in diesem Blogbeitrag.

Deutschland größtes Klimaschutzproblem sind die Emissionen im Verkehr. Laut Umweltbundesamt werden dort bis 2030 – im Wesentlichen also während der Amtszeit der neuen Regierung – bei einem Weiter-So 169 Millionen Tonnen CO₂ mehr ausgestoßen als erlaubt. Zugleich müssen wegen der langen Vorlaufzeit für Verkehrsinvestitionen jetzt die Weichen für das Erreichen der Klimaziele für 2040 und 2045 gestellt werden. Ihr Bekenntnis zum Klimaziel muss die Bundesregierung also gerade im Verkehrssektor in konkrete Maßnahmen übersetzen und zeigen, dass der Staat für Wirtschaft, Bevölkerung und Klima funktioniert. Doch eine schlüssige Strategie bietet der Koalitionsvertrag nicht. Insbesondere fehlt ein Kompass für den Einsatz der Schienen- und Straßenmilliarden (1), ein planungssicherer Rahmen für die Automobil- und Flugwirtschaft auf dem Weg in die Klimaneutralität (2) und ein nachfragegerechter Ausbau des Zugverkehrs, auch europaweit (3). 

(1) Effektive Infrastrukturinvestitionen

Mit dem Sondervermögen Infrastruktur wird die Bundesregierung langfristige Weichen für das Verkehrssystem stellen. Sie trägt damit eine besondere Verantwortung für Verkehre, die funktionieren – für Reisende, Pendelnde, Wirtschaft und Klima. Während Union und SPD erklären, „Güterverkehre von der Straße auf die Schiene verlagern“ zu wollen, bewirken zentrale angekündigte Maßnahmen das Gegenteil. Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung am Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aus der vorletzten Wahlperiode festhalten und „die vorbereitenden Arbeiten weiterlaufen“ lassen. Dieser Plan ist vor allem bei der Straße eine Wunschliste von Bauprojekten.* Hier droht im Zusammenspiel mit der vereinbarten Planungsbeschleunigung, dem noch ungezielten Sondervermögen und der ebenfalls neu beschlossenen Kreditfähigkeit der Autobahn GmbH ein maßloser Straßenbau. Der Neu- und Ausbau von Fernstraßen führt nachweislich tiefer in Staus durch zusätzlich induzierten Verkehr. Zudem nimmt die Verkehrsplanung die Verkehrsprognose als Leitstern und folgt damit dem überholten Paradigma „predict and provide“, was eine selbsterfüllende Prophezeiung schafft. Die Infrastruktur, die man sät, diesen Verkehr wird man ernten. Die OECD empfiehlt stattdessen den Grundsatz „decide and provide“, also zu entscheiden, welches Verkehrs- und Mobilitätssystem man in der Zukunft z. B. aus verkehrlichen, gesundheitlichen, ökologischen, haushalterischen Erwägungen möchte. (OECD: ITF Transport Outlook 2023, S. 205, 182, 187).  

Zwei Arbeiter an Bahnschienen
  • Man kann nicht Sparsamkeit predigen und dann bei den Verkehrswegen mit der Gießkanne in der Hand auch unsinnige Strukturen finanzieren. Deutschland braucht jetzt endlich eine moderne und realistische Infrastrukturpolitik, die weiß, wo sie hinwill und entsprechende Prioritäten setzt. Bei Straßen und Brücken geht es um notwendige Sanierungen. Aber auf dem Weg zur Klimaneutralität muss eine funktionierende, sanierte und ausgebaute Bahn mit Deutschlandtakt im Zentrum stehen. Wir brauchen kein Milliardengrab für noch mehr Straßen.

    Porträt Jacob Rohm
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    Jacob Rohm

    Referent für klimaneutrale Mobilität, Germanwatch

    Weiterer Neu- und Ausbau von Fernstraßen würde zudem in zukünftige Haushaltslöcher durch zusätzliche erhebliche Reparaturausgaben führen. Finanzierungslücken im gesamten Verkehrssystem und EU-rechtliche CO2-Strafzahlungen drohen. Sehr schädlich für Haushalt und Klima ist, dass die Koalitionäre die Einnahmen aus der Lkw-Maut ausschließlich für die Straße verwenden wollen und damit die Spielräume des Finanzierungskreislaufs Verkehr aufgeben. Die Digitalisierung der Schiene ist zuallererst eine wichtige verkehrliche Maßnahme und sollte daher aus dem Sondervermögen Infrastruktur und dem Bundeshaushalt und nicht aus dem KTF bezahlt werden, der für Kernaufgaben sozial gerechten Klimaschutzes gebraucht wird. Die Bundesregierung sollte als Teil der Staatsreform auch die Infrastrukturmilliarden nach Stand der Technik zielgerichtet investieren und dafür die Infrastrukturplanung modernisieren. Zarte Pflänzchen einer Modernisierung sind bei den Schieneninvestitionen zu beobachten: Den Infraplan, der die Schienenprojekte steuert, gesetzlich zu verankern und durch einen „Eisenbahninfrastrukturfonds verbindlich – am besten über fünf Jahre – zu finanzieren, vereinfacht und beschleunigt Ausbau und Sanierung der Schiene. Für eine schlüssige Investitionsstrategie müssen jedoch in Zukunft endlich alle Verkehrs- und Investitionspläne an einem Strang ziehen – Richtung Deutschlandtakt und zur Entlastung der Straßen. Wir brauchen eine Verkehrswegeplanung, die bei der Sicherung der Mobilität verkehrswissenschaftliche Erkenntnisse beachtet, physikalischen und gesetzlichen Klimagrenzen ins Auge sieht, weiß wo sie hinwill und über Verkehrsträger hinweg Alternativen prüft. Bis dahin müssen Sanierung und Deutschlandtakt die einzige Investitionspriorität sein. 

    • Die Bundesregierung möchte die Verkehrsinfrastrukturpolitik ‚an Realitäten orientieren‘. Dazu gehört es quantifizierte Ziele zu benennen. Die Verlagerungsziele wurden jedoch gestrichen, statt sie mit Realismus für 2035 weiterzuentwickeln.

      Porträt Jacob Rohm
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      Jacob Rohm

      Referent für klimaneutrale Mobilität, Germanwatch

      Der über Jahrzehnte vernachlässigte Ausbau des Schienennetzes wird nur dann zu einer Erfolgsgeschichte, wenn dessen Finanzierung auch langfristig gesichert ist. Über das einmalige Sondervermögen hinaus muss das Verkehrssystem der 2030er und 40er Jahre nachhaltig und flexibel finanziert werden. Finanzierungskreisläufe auf einzelne Verkehrsträger einzuengen („Schiene finanziert Schiene“) mag logisch klingen, verhindert aber Flexibilität, schafft Haushaltsprobleme und wirkt als Bremse für die nachholende Modernisierung der Schiene. Stattdessen sollte das flexiblere „Verkehr finanziert Verkehr“ beibehalten werden und der Straßen- und Flugverkehr nach dem Verursacherprinzip die Weiterentwicklung zu einem nachhaltigen und energieeffizienten Verkehrssystem mitfinanzieren. Dauerhafte Einnahmen, wie die Lkw-Maut, müssen auf dieses zu schaffende Gesamtverkehrssystem ausgerichtet werden, wie in der Schweiz. Zudem muss ein:e Finanzminister:in dauerhafte Einnahmequellen sichern und neue erschließen: Statt der Rücknahme der letzten Erhöhung der Luftverkehrsabgabe, von der die Wettbewerbsfähigkeit des Flugverkehrs erwiesenermaßen nicht abhängt, sollte ihre willkürliche Deckelung gestrichen werden. 

      (2) Industrielle Standortentwicklung für die Automobil- und Flugwirtschaft auf dem Weg in die Klimaneutralität

      Klimaneutralität ist gesetzlich verankert. Unternehmen und Konsument:innen brauchen einen verlässlichen Rahmen durch die Politik. Für die Automobilindustrie bedeutet das, Ziele, die über Jahre bekannt sind, beizubehalten. Wer heute und zukünftig günstig und energieeffizient mobil sein will, braucht günstige Elektrofahrzeuge und funktionierende Nahverkehre. Die wertvollen Efuels müssen im Flug- und Schiffsverkehr eingesetzt werden. 

      Die Zukunftsfähigkeit des Flugverkehrssektors und dessen Klimaneutralität scheint Schwarz-Rot kein großes Anliegen zu sein. Klimaschutz und wettbewerbsfähiger Luftverkehr sind vereinbar, doch dafür braucht es mehr als ein Stückwerk weniger perspektivloser und zum Teil rückschrittlicher Maßnahmen. 

      Techniker füllt SAF-Kraftstoff in Flugzeugtank
      • Der Koalitionsvertrag strebt lediglich eine ‚Dekarbonisierung‘ des Luftverkehrs an, anstatt sich explizit zur Klimaneutralität zu verpflichten, zu der auch die erheblichen Nicht-CO2-Effekte des Fliegens gehören. Die Bundesregierung sollte die für dieses Jahr angekündigte Strategie für den Luftverkehrsstandort Deutschland auf einen klimaneutralen Flugverkehr 2045 und den Hochlauf von auf Erneuerbaren Energien basiertem Kerosin (eSAF/PtL) ausrichten. Um Zukunftsmärkte und Technologieführerschaft zu sichern, muss die Erreichung von PtL-Quoten unterstützt werden, statt diese planlos zu streichen. Und statt einer Senkung der Luftverkehrssteuer sollte deren Deckelung aufgehoben werden. Der Flugverkehr muss wie andere Sektoren seinen Beitrag leisten – zum Klimaschutz wie zur Haushaltskonsolidierung. 

        Porträt Anja Köhne
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        Anja Köhne

        Referentin für klimaneutralen Flugverkehr, Germanwatch

        Die neue Bundesregierung muss die angekündigte Strategie für den Luftverkehrsstandort Deutschland auf einen klimaneutralen Flugverkehr 2045 ausrichten. Dafür braucht es die Unterstützung von marktreifen und skalierbaren Produktionsanlagen für synthetisches, erneuerbaren-basiertes Kerosin (eSAF/PtL), aber auch die Prüfung und Absicherung der damit verbundenen Energie- und Rohstoffbedarfe sowie Kohlenstoffkreisläufe. Zudem müssen die klimaschädlichen Atmosphäreneffekte durch klimaoptimierte Flugrouten und die Bereinigung von Kerosin reduziert werden. Andernfalls droht die Luftfahrt, den Anschluss im klimaneutralen Wettbewerb zu verlieren. 

        Die von den Koalitionären angedachte Verwendung eines Teils der Mittel aus dem Emissionshandel für den Markthochlauf klimaneutraler Treibstoffe ist sinnvoll, sollte jedoch aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen auf E-Kerosin (eSAF) konzentriert werden, zumal die Quellen für andere sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) nur für einen Bruchteil des Bedarfs ausreichen werden. Gleichzeitig sollte im Übergang zu klimaneutralen Treibstoffen die Klimawirkung fossilen Kerosins reduziert werden, indem sein Schwefel- und Aromatengehalt weitestmöglich gesenkt wird. Da klimaneutrales Kerosin noch lange Zeit begrenzt und teuer sein wird, hilft jeder vermiedene und verlagerte Flug sowie die Nutzung von Flugkorridoren mit deutlich weniger Erwärmungswirkung, um Klimaziele zu erreichen und Kosten zu verringern. Dafür benötigt es vor allem verlässliche und nutzerfreundliche Alternativen auf der Schiene. 

        (3) Eine zuverlässige deutsche und europäische Eisenbahn

        Reisende brauchen eine zukunftsfähige, pünktliche Bahn – und die braucht nachholende Infrastrukturinvestitionen (siehe Punkt 1 oben) und eine bessere Steuerung. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Bahnreform ist eine Chance. Wichtig ist vor allem, das Schienennetz und seine Nutzung vom Zielfahrplan her zu steuern. Dafür sollte auch der Bund als Eigentümer seine Behörden nach Schweizer Vorbild neu aufstellen. Viele Menschen wollen heute schon klimafreundlich ins europäische Ausland reisen, finden aber nicht genug Verbindungen und sind von komplizierten Ticketbuchungen und schwachen Fahrgastrechten abgeschreckt. Die im Koalitionsvertrag erwähnten Europa-Züge müssen beschafft und Verbindungen geplant und gefahren werden, damit Bürger:innen in wenigen Jahren dicht getaktet Züge in unsere Nachbarländer nehmen können. Es müssen mehr europäische Züge auf die Gleise. Hier fehlt ein funktionierendes Konzept, um den Eisenbahnunternehmen die Marktbedingungen so zu setzen, dass sie die deutlich steigende Nachfrage tatsächlich erfüllen. Die angekündigten Reformen bei der Bahnsteuerung müssen zu einer starken Steuerung und mehr grenzüberschreitenden Zügen in Deutschland und Europa führen – damit muss die Bundesregierung noch dieses Jahr beginnen. Das würde übrigens auch den Druck auf die E-Kerosin-Produktion mildern. Die beabsichtigte Beschleunigung des Infrastrukturausbaus zu unseren östlichen Nachbarn ist eine wichtige Einzelmaßnahme – und eine lobenswerte, wenn sie sich auf die Schiene bezieht. Dass das Mammutprojekt Deutschlandtakt in Etappen umgesetzt werden soll, weckt Hoffnungen – wann, wie und vor allem wo mit spürbarem Nutzen für Bürger:innen und Unternehmen, bleibt Aufgabe auch für die nächste Verkehrsministerin. 

        Dieser Text erschien zuerst hier auf LinkedIn.
        * Satz wurde zugunsten besserer Verständlichkeit leicht überarbeitet.

        Daten zum Blogbeitrag

        Veröffentlichung:
        Autor:innen:
        Anja Köhne, Jacob Rohm
        Letzte Änderung:
        Permalink: https://www.germanwatch.org/de/node/93127