Demokratie schützen, Gemeinwohl fördern: Offener Brief fordert wirksame Kontrolle digitaler Plattformen

Mehr als 75 Organisationen wenden sich zu Sondierungsgesprächen an Spitzen von Union und SPD

Berlin (4. März 2025). Mehr als 75 Organisationen und Bündnisse mit über 1.000 Mitgliedsorganisationen fordern die Verhandlungsführenden von CDU/CSU und SPD in einem heute veröffentlichten Brief auf, die Kontrolle von Online-Plattformen und eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung in die Agenda der Sondierungsgespräche aufzunehmen. Die jüngsten Entwicklungen nach der US-Wahl unterstreichen die Gefahren für Demokratien, die von großen Online-Plattformen ausgehen. Die Unterzeichnenden des Briefs fordern eine konsequente Durchsetzung der bestehenden Regeln für Digitalplattformen, das Schließen regulatorischer Lücken und die gezielte Stärkung von gemeinwohlorientierten Plattform-Alternativen.

„Digitale Plattformen sollten nicht länger so programmiert sein, dass sie massiv Diskurse beeinflussen und Gesellschaften spalten. Derzeit stärken sie antidemokratische Kräfte. Sie tragen zur Ausgrenzung von Minderheiten bei. Diese Tendenzen erschweren es auch, große Herausforderungen für Gesellschaften - wie die Klimakrise - zu lösen“, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

Aus Sicht der Unterzeichnenden ist das kein unglücklicher Zufall, sondern steht in direktem Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell der Plattformen. „Die großen Online-Plattformen sind nur scheinbar kostenfrei. Finanziert werden sie durch Preisgabe persönlicher Daten, die für immer stärker individualisierte Werbung genutzt werden. Die Algorithmen der Plattformen sind intransparent und wirken oft tendenziös. So gefährden sie auch unabhängigen Qualitätsjournalismus und damit freie Meinungs- und Willensbildung. Es braucht einen Neustart, die Monopolanbieter haben versagt“, erklärt Frank Werneke, ver.di Vorsitzender.

Die Konzentration von Macht und Daten in der Hand weniger Tech-Konzerne aus den USA und China ist ein Risiko für die digitale Souveränität sowohl Europas als auch der Länder des Globalen Südens. „Diese Monopole bedrohen weltweit das gesellschaftliche Gemeinwohl und den demokratischen Diskurs. Ohne wirkungsvolle Regulierung der Plattformökonomie kann es keine faire Digitalisierung geben“, betont Sven Hilbig, Digitalexperte bei Brot für die Welt.

Die Allianz aus Vetreter:innen der Zivilgesellschaft, Kirchen, Gewerkschaften, Verbraucherschutz und Digitalwirtschaft fordert daher von Union und SPD, Plattformen wirksam zu regulieren und gemeinwohlorientierte Alternativen zu fördern. „Die Marktkonzentration zu begrenzen und die ökonomische und politische Macht von Tech-Plattformen einzuhegen, ist eine zentrale demokratische und wirtschaftliche Herausforderung für die nächsten Jahre. Die Bundesregierung und die EU müssen hier klare Kante zeigen und die europäischen Regeln gegen Tech-Monopolmacht wirkungsvoll durchsetzen“, fordert Ulrich Müller, Vorstand von Rebalance Now.

Die Unterzeichnenden fordern von der Bundesregierung klare Schritte in diese Richtung und zeigen dafür drei Handlungsfelder auf. Bestehende Digitalregeln sowie das Wettbewerbsrecht müssen erstens konsequent angewendet werden. Zweitens müssen regulatorische Lücken geschlossen werden. „Verbraucherinnen und Verbraucher müssen im Netz vor manipulativen Praktiken wie Tracking, Profilbildung und suchtfördernden Designs geschützt werden. Die Durchsetzung bestehender EU-Regulierungen wie des Digital Services Acts oder des Digital Markets Acts ist dafür wichtig, reicht aber nicht aus. Viele grundlegende Probleme digitaler Geschäftsmodelle sind weiter offen und müssen dringend im Digital Fairness Act gelöst werden. Eine neue Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Demokratie und Fairness in der digitalen Welt gewahrt werden“, sagt Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Drittens muss sich die Bundesregierung für den Aufbau und die Stärkung demokratisch kontrollierter, gemeinwohlorientierter und souveräner digitaler Infrastrukturen einsetzen – das kann auch wirtschaftliche Chancen für europäische Digitalunternehmen eröffnen. „Wir können vom Weg in die digitale Plattform-Oligarchie noch abbiegen. Projekte wie die Wikipedia, Open Street Map und das Fediverse zeigen, dass das Internet auch anders funktionieren kann. Im Interesse von gesellschaftlichem Zusammenhalt und demokratischer Kultur sollte die Bundesregierung diese und weitere gemeinwohlorientierte Alternativen aktiv fördern“, so Franziska Heine, Geschäftsführende Vorständin von Wikimedia Deutschland.

„Digitale Medien und Plattformen ermöglichen eine offene, gleichberechtigte Kommunikation von Menschen, die sich nicht direkt begegnen können. Dafür sind Wertschätzung und Anerkennung zentral. Freiheit, die den Namen verdient, ist auch im Netz nicht Willkür. Sie braucht Regeln, die sich an der Menschenwürde und den Menschenrechten orientieren. Die konsequente Durchsetzung bestehenden EU-Rechts, das Schließen regulatorischer Lücken und die gezielte Stärkung gemeinwohlorientierter Plattform-Alternativen sind hierfür wichtige Schritte“, erklärt Landeskirchenrat Dr. Jan-Dirk Döhling vom Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen abschließend.