Blogpost | 29.01.2025

Klare Bedingungen statt regulatorischem Rückschritt

Warum Germanwatch die Vorschläge der Regierung zur Omnibus-Verordnung kritisiert
Europäische und deutsche Flagge vor dem Bundestag

shutterstock / Golub Oleksii

Die Herausforderungen der Klimakrise und die Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit müssen keine Gegensätze sein. Mit großer Sorge beobachtet Germanwatch daher die Debatte zur Omnibus-Verordnung, die drei regulatorische Leuchttürme des European Green Deals überarbeiten soll: die Rechtsvorschriften zu Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen (CSDDD) und zur EU-Taxonomie.

Germanwatch kritisiert insbesondere die Vorschläge, die verschiedene Bundesminister:innen sowie Kanzler Scholz dazu in den letzten Wochen an die EU-Kommission übermittelten. Unter hohem Zeitdruck wurden vermeintliche „Entlastungsversuche“ erarbeitet, die langfristig mehr schaden als nutzen könnten. Das allgegenwärtige Narrativ vom angeblichen „Kampf gegen überbordende Bürokratie“ sollte nicht überdecken, dass wir dringend widerstandsfähige Geschäftsmodelle für die Herausforderungen unserer Zeit entwickeln müssen. Dazu leisten die besagten Verordnungen einen wichtigen Beitrag, den die Omnibus-Verordnung gefährdet.

Nachhaltigkeitsberichterstattung: Förderung statt Verzögerung

Die Vorschläge der Bundesregierung zur Überarbeitung der gesetzlichen Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind problematisch. Klar ist: Bei der Umsetzung der drei Regularien gibt es noch Verbesserungsbedarf. Diesen sehen wir allerdings überwiegend auf untergesetzlicher Ebene und bei der Anwendung durch die Unternehmen. Regulativ sehen wir derzeit allenfalls einen Nutzen in vereinfachenden Maßnahmen wie etwa der Reduktion der ESEF-Tagging-Anforderungen.

Die betroffenen Regelungen wurden über Jahre in einem mehrstufigen Prozess beschlossen. Für grundlegende regulatorische Rückschritte ist daher auch jetzt nicht der richtige Moment. Stattdessen plädieren wir für Anpassungen auf der Umsetzungsebene (Level 2 und 3). Das soll Unternehmen in der Anwendung der Standards unterstützen, die Anforderungen an den richtigen Stellen vereinfachen und gleichzeitig die nötige Rechtssicherheit gewährleisten. In der EU-Gesetzgebung definiert Level 1 den grundlegenden Rechtsrahmen, während Level 2 und 3 diese durch technische Standards und Leitlinien konkretisieren und ihre praktische Umsetzung in den Mitgliedstaaten harmonisieren. Diese Ebenen dienen dazu, Regulierungen flexibler, detaillierter und praxisnäher zu gestalten, ohne die Kernziele der Gesetzgebung zu verändern.

Deutschlands Sonderweg der „Over-Implementation“

Viel der Kritik an der Nachhaltigkeitsberichterstattung gilt dem „deutschen Sonderweg“. Diesen Weg bestimmt nämlich vor allem die Angst von Unternehmen und Wirtschaftsprüfungen. Sie scheuen davor zurück, das Prinzip der Wesentlichkeit ernst zu nehmen und dementsprechend ihre Berichte auf Auswirkungen, Risiken und Chancen zu beschränken, die für ihre Geschäftsfelder einschlägig sind. Dadurch fehlt die nötige Priorisierung und es kommt zu einer „Over-Implementation“ der Regeln, die im Übrigen Vertreter:innen der Kommission bereits mehrfach bemängelten. Auffällig ist, dass in den meisten anderen EU-Staaten die Umsetzung der neuen Regeln aus Brüssel weniger Unmut hervorzurufen scheint.

Wirtschaftsakteure aus verschiedenen EU-Staaten haben sich zudem Mitte Januar für die Beibehaltung der Regeln ausgesprochen und fordern von der EU, dass bereits verabschiedete Gesetze nicht zur Neuverhandlung geöffnet werden. Das zeigt: Die Regeln sind nicht per se unzumutbar, sondern werden zunehmend politisch instrumentalisiert.

Beispielsweise wird immer wieder auf die über 1.000 potentiellen Datenpunkte der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verwiesen, so auch im Schreiben der Bundesregierung. Die Gesamtzahl der Datenpunkte ist zwar hoch, doch bleibt häufig unbeachtet, dass es sich dabei um potentiell zu berichtende – nicht um verpflichtend anzugebende – Datenpunkte handelt. Entscheidend ist also eine angemessene Anwendung des Wesentlichkeitsfilters. Etwa 80 % der Datenpunkte unterliegen dieser Wesentlichkeitsprüfung. Würden Unternehmen diese anwenden und hätten hierzu bessere Guidelines zur Hand, würde sich die unmittelbare Belastung für Unternehmen erheblich verringern. Hier sollte die Bundesregierung ansetzen.

Die Sogkraft des Bürokratieabbau-Narrativs

Oberflächlich betrachtet erscheinen Maßnahmen des Bürokratieabbaus aktuell als Wundermittel zur Entlastung der Wirtschaft, denkt man an die Konjunkturschwäche und Herausforderungen des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Im Sinne einer sachlichen Bürokratie-Debatte müssen wir jedoch Zweck und Kontext der jeweiligen Regelungen genau verstehen (siehe hierzu auch: „Sog der Bürokratieretorik“,Verfassungsblog). Das gilt auch für Regelungen, die der Omnibus anvisiert.

Den Maßnahmen des European Green Deals, darunter auch CSRD, Taxonomie und CSDDD, liegt folgende Idee zugrunde: Mit einem kleinen Teil ihrer Finanzen stellen Unternehmen sicher, dass ihre Produkte und Dienstleistungen weder Menschenrechte verletzen noch die Umwelt zerstören. Häufig werden Berichts- und Sorgfaltspflichten als zu aufwendig kritisiert. Dabei wird jedoch übersehen, dass diese Instrumente bewusst gewählt worden sind, weil sie für Unternehmen relativ kostengünstig und weniger einschneidend sind als direkte, ordnungsrechtliche Vorschriften zum Umwelt- und Menschenrechtsschutz.

Daher halten wir es für wichtig, die oft zu kurz gedachten Vorschläge hinter der Bürokratie-Rhetorik zu entlarven. Nur so kann eine sachliche Debatte über die tatsächlichen Vor- und Nachteile von Regulierung entstehen.

Sorgfaltspflichten bewahren, Umweltstandards sichern

Ein anschauliches Beispiel ist die aktuelle Debatte um die europäische Lieferkettenrichtlinie CSDDD. Die CSDDD wird häufig mit dem Thema Berichterstattung assoziiert, obwohl sie keine über die CSRD hinausgehenden Berichtspflichten enthält. Sie verweist lediglich CSRD-pflichtige Unternehmen direkt auf die ohnehin geltenden Berichtspflichten. Denn die europäischen Gesetzgeber haben explizit beim Gesetzgebungsprozess bereits darauf hingewirkt, doppelte Berichtspflichten zu vermeiden. Was hier darüber mit dem Omnibus-Verfahren „vereinheitlicht“ werden soll, ist unklar. Nicht ohne Grund wird daher nun vielfach befürchtet, die scheinbare „Vereinfachung“ verfolge in Wirklichkeit das Ziel einer radikalen Schleifung der Schutzstandards in der CSDDD.

Der European Green Deal vereint Nachhaltigkeit und Wachstum als kohärente Strategie. Er schafft einen klaren Rahmen, der sich in den nächsten Jahren durch praxisorientierte Lösungen stärken und effektiver gestalten lässt. In dem am 27. Januar 2025 öffentlich gewordenen Entwurf für einen „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ macht die EU-Kommission den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel zu Eckpfeilern der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Engagement muss nun den Praxistest bestehen. Germanwatch fordert die EU-Kommission auf, in ihrem Omnibus-Vorschlag sachlich zu bleiben und die Glaubwürdigkeit Europas als globaler Vorreiter für nachhaltiges Wirtschaften zu bewahren.

Autor:innen

Christoph Hoffmann, Paul Healy, Eva Kleemann, David Ryfisch

Zitiervorschlag

Hoffmann, C., et al., 2025, Klare Bedingungen statt regulatorischem Rückschritt: Warum Germanwatch die Vorschläge der Regierung zur Omnibus-Verordnung kritisiert, www.germanwatch.org/de/92013.

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