Blogpost | 17.10.2024

Blaupause für einen Europatakt?

Vier Jahre nach der Vorstellung des „TransEuropExpress“-Konzepts – eine Auswertung

Vier Jahre nach Vorstellung des TEE 2.0-Konzeptes, das als Quantensprung zur Ausweitung des grenzüberschreitenden Schienenpersonenfernverkehrs in Europa gedacht war, ist keine einzige der vorgeschlagenen langen Linien auf die Schiene gebracht worden. Kleinere Lichtblicke gibt es aber mit der Einrichtung einiger verkürzter Strecken seit Dezember 2020. Germanwatch-Bahnexperte Dr. Manfred Treber zieht Bilanz und skizziert, wie ein „Europatakt“ für den grenzüberschreitenden Schienenfernverkehr einen Beitrag zur Senkung der Emissionen im Verkehrssektor leisten könnte.

Im September 2020 stellte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft das TEE 2.0-Konzept als Quantensprung für den grenzüberschreitenden Schienenpersonenfernverkehr vor. Seine Ministerkollegen begrüßten es einhellig. Der Name TEE (TransEuropExpress) erinnert an Züge, die von 1957 bis 1988 in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Österreich und der Schweiz verkehrten. Diese Züge boten ausschließlich 1. Klasse-Wagen, ein Zugsekretariat, eine Bordküche und einen Barwagen.

Das Konzept aus dem Jahr 2020 sah acht lange Strecken für Tag-Züge vor, die mindestens drei Staaten berühren. Vier davon sollten vor 2025 in Betrieb gehen, die anderen vier bis 2030, sobald die Neubaustrecken fertiggestellt sind. Jede Strecke sollte täglich einmal pro Richtung (also mit zwei Linien: eine hin, eine zurück) bedient werden.

 

Gutes Konzept, mangelnde Umsetzung

Allerdings war beim Entwurf dieses Konzeptes der europäische Schienen-Musterknabe Schweiz, da kein EU-Mitgliedsstaat, nicht einbezogen worden. Dies wurde bei der Überarbeitung des TEE 2.0-Konzeptes im Mai 2021 korrigiert, als es auf 60 Linien erweitert wurde.

Doch das Konzept hatte einen Geburtsfehler: Die langen Strecken stießen bei Eisenbahnunternehmen auf wenig Begeisterung. Daher wurde keine einzige der geplanten langen Linien umgesetzt. Wenn aus dem TEE 2.0-Konzept ein Europatakt (ET) (mit mehrfacher täglicher Bedienung der Linien) abgeleitet wird, sollte die Länge der ET-Linien halbiert werden.

Tatsächlich zeigt ein genauer Blick auf die Umsetzung des TEE 2.0-Konzeptes , dass nach vier Jahren selbst in Ansätzen kaum etwas von den Vorschlägen umgesetzt wurde. Lediglich bei den folgenden Linien fiel Nennenswertes auf:

  1. TEE 17/ 18 München – Zürich – Mailand: Obwohl die Schweizer SBB anfangs gar nicht einbezogen war, zählte sie zu den ersten, die eine Teilstrecke umsetzte, und zwar das Zugpaar München – Zürich in einem Zwei-Stundentakt seit Dezember 2020. Dies wurde durch die Fertigstellung der Elektrifizierung der Strecke München – Lindau möglich und war demnach unabhängig vom TEE 2.0-Konzept. Allerdings ist diese Verbindung wegen der teilweise eingleisigen Strecke in Deutschland sehr verspätungsanfällig.
  2. TEE 35/ 36 Barcelona – Marseille – Venedig
    Nachdem SNCF die Kooperation mit renfe im Februar 2022 gekündigt hat, betreibt renfe die gegenüber TEE 35 ähnlich lange Verbindung Madrid – Barcelona – Marseille einmal täglich (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Ein AVE der renfe aus Marseille kommend bei der Ankunft in Madrid Puerta de Atocha. Bild: Manfred Treber.

  1. TEE 45/ 46 Prag – Gdynia
    Auf Initiative von PKP Intercity soll in Zusammenarbeit mit der tschechischen Bahngesellschaft České dráhy ab nächstem Jahr das Zugpaar Prag – Gdynia bis zu viermal täglich verkehren, allerdings nicht über Warschau, sondern über Wroclaw und Poznan.
  2. TEE 47/ 48 Hamburg - Frankfurt/M – Mailand
    SBB und trenitalia bedienen gemeinsam täglich Frankfurt/M – Mailand mit einem Direktzug bei acht Stunden Fahrtzeit.
  3. TEE 55/ 56 Hamburg – Frankfurt/M – Bordeaux – Madrid
    Züge auf dieser Linie werden in Spanien erst verkehren können, wenn dort die notwendigen Neubaustrecken in Normalspur fertiggestellt sind, was vermutlich noch Jahre dauern wird. Allerdings wurde im Jahr 2023 einmal wöchentlich ein TGV Frankfurt/M – Bordeaux (und zurück, vgl. Abb. 2) für den Sommer angeboten (er fällt 2024 wegen der Sperrung der Riedbahn aus).

Abb. 2: TGV 9599 Bordeaux – Frankfurt/M am 29. Juli 2023 beim Halt im Bahnhof Champagne-Ardenne TGV. Bild: Manfred Treber. 

  1. TEE 59/ 60 Amsterdam – London
    Eurostar betreibt diese mit vier Stunden Fahrtzeit vergleichsweise kurze Verbindung – bis zu dreimal täglich pro Richtung.

Für die nahe Zukunft drängt sich eine gekürzte Version der Linie TEE 6, die von Malaga bis Berlin fahren soll, förmlich auf und zwar von Malaga über Madrid und Barcelona bis Lyon. Ab Dezember 2024 will das Eisenbahnverkehrsunternehmen iryo, welches die Strecke Malaga – Madrid mehrfach täglich mit dem Hochgeschwindigkeitszug zefiro von Hitachi-Bombardier betreibt, einen dieser Züge täglich bis nach Barcelona verlängern. Ankunft dort ist für 17.37 Uhr geplant. Da der Hersteller Hitachi angibt, sein Produkt zefiro könne auf allen  kontinentaleuropäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken verkehren, sollte es nach einer Vorbereitungszeit leicht möglich sein, in einem ersten Schritt den Zuglauf Malaga – Barcelona einmal pro Woche (etwa samstags) bis nach Lyon weiterzuführen. Am Sonntag könnte dieser Zug dann als TEE 5 Lyon – Barcelona – Madrid – Malaga von Südfrankreich bis kurz vor Marokko zurückfahren.

Der für Dezember 2024 angekündigte ICE zwischen Berlin und Paris ist kein (verkürzter) TEE 2 (als Gegenzug des TEE 1). Denn der Zuglauf von TEE 1 führt von Paris nach Norden über Brüssel und durch das Ruhrgebiet; der neue ICE fährt nach Osten über Straßburg, Karlsruhe, Frankfurt/Süd und Erfurt. Auf jeden Fall ist er als Direktverbindung mit ca. acht Stunden Fahrzeit und Ticketpreisen ab 59 Euro eine willkommene Erweiterung des europäischen Zugangebots.

 

Woran die Einrichtung grenzüberschreitender Strecken hakt …

Ein wichtiger Grund für die ausbleibende Umsetzung des TEE 2.0-Konzeptes liegt in der geringen Wirtschaftlichkeit grenzüberschreitender Fernverkehrszüge. Sie sind unprofitabel, da teure Mehrsystemzüge notwendig sind, deren Betriebskosten, anders als beim Wettbewerber Flugverkehr, wegen der Trassenpreise linear mit der Entfernung steigen.

Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen – insbesondere ohne Paris-kompatible Reduktionsziele für die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs und deren vollständige Bepreisung, mit hohen Trassenpreisen und teils aufwändigen Netzzugängen und Zulassungsverfahren –  ist es für private und staatliche Verkehrsunternehmen sehr schwierig, entsprechende Strecken zu realisieren. Dabei ist die Nachfrage schon heute – bei vergleichsweise langen Zugverbindungen und niedrigen Flugpreisen – groß. In Konsequenz gibt es nur wenige grenzüberschreitende Fernverkehrszüge als Alternative für den noch auf Jahrzehnte klimaschädlichen Flugverkehr. Damit wird im Subsektor „Personenverkehr bei Entfernungen über 400 km in der EU“ das Pariser Klimaschutzziel völlig verfehlt – ein offensichtlicher Fall von Marktversagen. 
Ein Beispiel dafür ist die Strecke zwischen Frankreich und Spanien auf der östlichen Seite der Pyrenäen. Trotz einer milliardenschweren Neubaustrecke verkehren nur vier Zugpaare täglich zwischen dem französischen Perpignan und dem spanischen Barcelona, während ca. 20.000 Passagiere die Grenze in eine Richtung mit dem Flugzeug überqueren.

Demgegenüber bieten SNCF und renfe mit den vier grenzüberschreitenden Fernzügen am Tag bisher weniger als 2.000 Sitzplätze an. Interessierte Umsteiger aus dem Flugzeug hätten also in keiner Weise hinreichend freie Plätze. Dabei sind Transitreisende aus anderen europäischen Staaten noch nicht berücksichtigt. Die bestehende Schieneninfrastruktur würde allerdings die Durchfahrt von weit über 100 Fernverkehrszügen pro Richtung und Tag über die französisch-spanische Grenze ermöglichen.

 

… und wie ein Europatakt doch noch Wirklichkeit werden könnte

Schienenpersonenverkehr ist traditionell ein Top-Down-System. Das heißt, eine zentrale Stelle steuert das System oder konzipiert es zumindest. In Europa war das für viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg meistens eine Staatsbahn als Monopolist.

Die Eisenbahnverkehrsunternehmen bzw. die politischen Entscheidungsträger:innen in den jeweiligen Ländern könnten also die Entscheidung treffen, entsprechende Strecken entwickeln und anbieten zu wollen. Eine Überschlagsberechnung zeigt: Mit wenigen Milliarden Euro jährlichen Bestellerentgelten (also 3 bis 5 Euro pro Einwohner:in in der EU) wäre es möglich, einen Europatakt (vgl. Abb. 3) mit täglich drei bis vier Zügen pro Linie und Richtung zu finanzieren, der ganz Europa abdeckt.

Für die Einführung des skizzierten Europataktes sprechen zahlreiche Gründe.

Er würde in Europa spürbar die Konnektivität erhöhen und gute grenzüberschreitende Schienenverbindungen zwischen verschiedenen europäischen Regionen herstellen.

Auch wenn die Mehrzahl der Fahrgäste unterwegs ein- und aussteigt und daher zeitlich nicht die volle Strecke nutzt, würde das Angebot für andere den Reiz bieten, ohne Umstieg weit entfernte Ziele zu erreichen. Als Beispiel sei der TEE 5 Berlin – Malaga genannt, mit dem man an einem Tag von Mitteleuropa nach Südspanien – fast gegenüber von Marokko – gelangen kann.

Und schließlich soll noch auf den Klimaschutz eingegangen werden. Solange es keinen festen verbindlichen Paris-kompatiblen Deckel für die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs gibt, würden die unter dem Europatakt verkehrenden Züge Fahrgästen – trotz längerer Fahrzeiten, aber bei meist hohem Komfort – eine Möglichkeit bieten, sich in Europa auch auf langen Strecken quasi klimaneutral fortbewegen zu können.  

Um diese Vorteile zu realisieren, müssen EU und Bundesregierung ambitionierte Reformen vorantreiben. Die Europäische Kommission sollte bis Ende 2026 einen Masterplan für ein grenzüberschreitendes europäisches Zugnetz 2030 entwickeln. Dieser Plan sollte ab 2027 gemeinsam dem Schienensektor umgesetzt und über 2030 hinaus sukzessive zu einem Europatakt weiterentwickelt werden. Das fordert zum Start in die neue europäische Legislatur ein breites Bündnis als Teil einer „Legislatur der Schiene“ 2024-2029. Am schnellsten – und Zeit ist hier angesichts der Emissionsprojektionen für den Flugverkehr ein kritischer Faktor – könnte ein europäischer Aufgabenträger die nötigen Züge aufs Gleis bringen. Auch die Vorschläge des Europaparlaments für die Vereinfachungen im Kapazitätsmanagement, die im Herbst zwischen Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten verhandelt werden, könnten Verbesserungen für den grenzüberschreitenden Zugverkehr bringen. Insbesondere soll die Zuverlässigkeit erhöht werden, indem die Verantwortung für grenzüberschreitende Strecken von den Zug- auf die Schienennetzbetreiber übergeht, Fahrpläne europaweit laufend im Voraus abgestimmt werden und die mit einem Leistungsüberprüfungsgremium und einer "Europäischen Eisenbahnplattform" sichergestellt wird, dass Schienennetzbetreiber und Eisenbahnverkehrsunternehmen an einem Strang ziehen. Die Vorschläge werden im Herbst zwischen Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten verhandelt. Hier sollte die Bundesregierung im Rat die Vorschläge des Parlaments für bessere Checks and Balances unterstützen.

Autor:innen

Manfred Treber

Ansprechpersonen

Echter Name

Klima- und
Verkehrsreferent