Meldung | 19.09.2024

Zukunftsklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht

Gemeinsam mit 54.584 Mitkläger:innen haben Germanwatch und Greenpeace am 16. September eine neue Verfassungsbeschwerde für eine klimagerechte Zukunft eingereicht. Sie richtet sich gegen die Architektur und Umsetzung des reformierten Klimaschutzgesetzes, die gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 2021 verstoßen.
Klagende vor dem Bundesverfassungsgericht

Die Verfassungsbeschwerde – wir nennen sie Zukunftsklage – wurde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Zustellung erfolgte digital, doch rund zwanzig Mitkläger:innen kamen vor dem Bundesverfassungsgericht mit Kolleg:innen von Greenpeace und Germanwatch zusammen, um auf diesen wichtigen Schritt aufmerksam zu machen. Sie hatten Klimaschutz-Banner dabei und zeigten auf großen Holzziffern die Gesamtzahl der Zukunftskläger:innen: über 54.000 Menschen haben sich im Zeitraum von Ende Juni bis August der Zukunftsklage angeschlossen.

Mit der Zukunftsklage fordern wir ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz und eine Verpflichtung zu CO2-Reduktionen im Verkehr, wo die Ziele krachend zu scheitern drohen. Insbesondere das Verkehrsministerium unter Volker Wissing (FDP) verfehlt seine Klimaziele deutlich und ergreift nicht die notwendigen Maßnahmen zur Kurskorrektur. Nicht einmal schnell wirksame Maßnahmen, wie ein Tempolimit, werden umgesetzt. Schiebt die Bundesregierung Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr weiterhin auf, lassen sich ab 2030 die Klimaziele nur noch durch harte Einschnitte bis hin zu Fahrverboten für Verbrenner erreichen. Dies zeigt eine von Greenpeace und Germanwatch veröffentlichte Studie des New Climate Institute. Besonders betroffen wären vor allem Menschen mit geringem Einkommen, die in ländlichen Gebieten ohne öffentliche Verkehrsanbindung leben oder körperliche Einschränkungen haben. 

 „Die Bundesregierung verschleppt wirksame und sozial gerechte Klimaschutz-Maßnahmen und verletzt damit Freiheits- und Gleichheitsrechte”, sagt die Rechtsanwältin der Beschwerdeführenden, Roda Verheyen. „Um unsere Grundrechte zu wahren, müssen Emissionsreduktionen rechtzeitig eingeleitet und umgesetzt werden – die Novelle des Klimaschutzgesetzes erreicht genau das Gegenteil.” 

Historischer Klimabeschluss – aber eine vollständige Umsetzung blieb aus

Bereits 2020 hatte Germanwatch zusammen mit der renommierten Rechtsanwältin Roda Verheyen, Greenpeace, Protect the Planet und neun jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 32 Jahren Verfassungsbeschwerde eingereicht. Unsere Kritik? Die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes waren nicht mit dem Klimaziel von Paris vereinbar, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aus unserer Sicht verletzte das Klimaschutzgesetz damit wichtige Grundrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder die Berufsfreiheit. Unter den Kläger:innen war auch Lüke Recktenwald von der Insel Langeoog. Die Insel ist dem Anstieg des Meerespiegels, Sturmfluten und der daraus resultierenden Erosion der Dünen besonders ausgesetzt. Der damals 18-jährige Abiturient begründete seine Beschwerde so: 

„Ich möchte auch in Zukunft die Möglichkeit haben, auf Langeoog zu leben und zu arbeiten. Doch durch die Klimakrise ist das nicht sicher. Das Klimaschutzgesetz reicht nicht aus, um mir meine Grundrechte zu garantieren.“

Lüke Recktenwald, Kläger

Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht machte im Frühjahr 2021 in seinem historischen Klimabeschluss deutlich: Klimaschutz ist Menschenrecht. Das damalige Klimaschutzgesetz musste daraufhin massiv nachgebessert werden. Mit seinem Beschluss setzte das Gericht neue Maßstäbe für den Klima- und Grundrechtsschutz – wie weltweit noch kein Gericht zuvor. Für uns alle, aber insbesondere für junge Menschen, war dies ein großer Erfolg, denn endlich wurde Klimaschutz generationengerecht ausgelegt: Klimaschutz darf nicht zulasten heute junger zukünftiger Generationen aufgeschoben werden. Die ausreichende Verringerung von Treibhausgasemissionen ist damit verfassungsrechtlich notwendig und darf nicht länger hinausgezögert werden. 

Die Entscheidung löste auf der politischen Bühne große Dynamik aus. Im Juni 2021 überarbeiteten Bundesregierung und Bundestag das Klimaschutzgesetz in einem vorher unvorstellbaren Tempo. Die Ziele wurden massiv, wenn auch immer noch nicht ganz ausreichend, verschärft. Den Beschluss der Umsetzungsmaßnahmen überließ das Kabinett Merkel allerdings der Nachfolgeregierung. Dieser gelang es, den Klimaschutz etwa im Energie- und Industriesektor erheblich zu beschleunigen. Im Verkehrs- und Gebäudesektor wurde der notwendige Klimaschutz jedoch fast völlig ausgebremst.

Über 54.000 Menschen klagen mit 

Lüke Recktenwald aus Langeoog ist inzwischen 22 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann in einem Biogroßhandel. Ihm ist es nach wie vor wichtig, seine Heimat Langeoog vor dem Klimawandel zu schützen Deswegen zieht er erneut mit Germanwatch und Greenpeace vor das Bundesverfassungsgericht und setzt sich für sein Recht auf Zukunft ein – diesmal gemeinsam mit vielen anderen Menschen.

„Gemeinsam haben wir 2021 den historischen Klimabeschluss erstritten. Drei Jahre später stehen wir vor einem neuen Klimaschutzgesetz, dass wichtige Errungenschaften sogar wieder rückgängig macht. Das darf nicht sein.“ 

Lüke Recktenwald, Kläger

Die Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts haben 2021 einstimmig anerkannt, dass es im Kontext der Klimakrise um die Freiheit jedes einzelnen Menschen geht. Deshalb sollte auch jede:r die Möglichkeit bekommen, sich an einem Verfahren zur Durchsetzung dieses Rechts zu beteiligen. 

In der Zeit von Juni bis Ende August konnten alle, die älter als 14 Jahre und wohnhaft in Deutschland sind, auf unserer Website eine Vollmacht anfordern, um sich an der Klage zu beteiligen. Auch bei Greenpeace gab es diese Möglichkeit. 54.584 Menschen nahmen dieses Angebot wahr und sind nun Mitkläger:innen. 

Wie geht es weiter?

Die Einreichung der Verfassungsbeschwerde am 16. September war der erste Schritt. Nun heißt es Abwarten. Bevor es zu einem Urteil kommt, passieren noch einige Zwischenschritte. Die Richter:innen müssen zunächst entscheiden, ob der Beschwerde grundsätzlich eine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Passiert die Beschwerde diesen Schritt, stellt das Verfassungsgericht sie der Bundesregierung und dem Bundestag zu, die dann Stellung beziehen können. Es kann auch weitere Akteure anfragen, wie z. B. Sozialverbände oder Gewerkschaften. Anschließend kommt es regelmäßig (aber nicht immer) zu einer mündlichen Verhandlung, in der Argumente ausgetauscht und manchmal Sachverständige gehört werden. 

Schließlich fällen die Verfassungsrichter:innen ihr Urteil: Entweder sie weisen die Verfassungsbeschwerde ab oder sie erklären Gesetze für verfassungswidrig und verpflichten Bundesregierung und Bundestag innerhalb einer bestimmten Frist neue verfassungskonforme Gesetze zu erlassen. Unsere Daumen sind gedrückt!

 

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Mehr über die Zukunftsklage: 
www.germanwatch.org/zukunftsklage