Blogpost | 03.06.2024

Umfragen zeigen klare deutsche Mehrheit für ambitionierte Klimapolitik auch nach der EU-Wahl

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Wie steht die Bevölkerung zur Klimapolitik in Deutschland und Europa? Ein Blick auf aktuelle Umfragen zeigt: Eine breite Mehrheit wünscht sich, dass die Politik ihrer Verantwortung gerecht wird und angemessen auf die Klimakrise reagiert. Die Zustimmung zu ehrgeizigen Maßnahmen ist hoch. Die Parteien sollten das berücksichtigen – und den Klimaschutz in der nächsten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments nicht vernachlässigen. Andernfalls drohen ihnen Stimmenverluste.

Verschiedene Krisen dominieren zurzeit die öffentliche Debatte und teils auch die Sorgen der Bevölkerung in den EU-Staaten. Europa diskutiert momentan vor allem über Verteidigung und Außenpolitik, die Zukunft der Wirtschaft und Lebenshaltungskosten sowie teilweise Migration. Das zeigt unter anderem die Eurobarometer-Umfrage von April1 (Grafik auf S. 7 des Berichts). 

Eurobarometer results 2024
European Union April 2024

Im Gegensatz dazu beherrschte vor der letzten Europawahl in vielen Staaten die Sorge vor der Klimakrise die öffentliche Debatte. Da andere Krisen als akuter wahrgenommen werden, nimmt sie aktuell allerdings etwas weniger Raum ein. Das heißt vor allem, dass weitere wichtige Themen dazugekommen sind – nicht aber, dass die Bekämpfung der Klimakrise für die Bevölkerung in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten wesentlich an Bedeutung verloren hätte. Je nach politischer Konjunktur der übrigen Themen könnte die Klimakrise daher schnell wieder eines der dominierenden Themen werden. Auch deshalb sollten Parteien den Wähler:innen überzeugende Angebote machen, wie sie sie bewältigen wollen. Das bestätigen auch einige ausgewählte Umfragen der vergangenen Monate.

Das Sonder-Eurobarometer Klima2 hat Mitte 2023 gezeigt: EU-weite Klimaneutralität 2050, wie vom Europäischen Klimagesetz vorgesehen, wird in allen Mitgliedstaaten von mindestens 70% der Bevölkerung unterstützt, in 23 Mitgliedstaaten sogar von mindestens 80% (Grafik auf S. 79 des Berichts).

Special Eurobarometer Climate Change 2023
European Union 2023

Die Mehrheit der Europäer:innen und auch der Deutschen wünscht sich nach wie vor entschlossene politische Antworten, um die globale Erwärmung schnell einzudämmen. Das zeigt das jüngste Eurobarometer3 kurz vor der Europawahl: Europaweit (und auch in Deutschland) liegt der Themenkomplex „Klima und Umwelt“ auf Platz 2 der Wunschliste für die kommende Legislatur (Grafik S. 51 Bericht). Dieses Bild fügt sich ein in eine Reihe von Studien der vergangenen Monate.

Standard Eurobarometer 2024
European Union 2024

Bevölkerung wünscht sich wirkungsvolle Klimapolitik

Aus der Studie „Debunking the Backlash – Uncovering European Voters’ Climate Preferences“4 (Hertie School/Jacques Delors Centre) zu Einstellungen in Polen, Frankreich und Deutschland geht hervor, dass eine Mehrheit in allen drei Ländern für mehr Ambition in der Klimapolitik ist (53% in Deutschland). Gegen eine ehrgeizigere Klimapolitik sprechen sich in Deutschland stabil über die vergangenen Jahre ungefähr 30% der Befragten aus, mit ähnlichen Werten in Polen und 23% in Frankreich (S. 2fff). Ein gemeinsamer EU-Klima-Investitionsfonds findet bei Befragten in Deutschland (ebenso in Frankreich und Polen) beachtliche Unterstützung, vorausgesetzt er folgt den Prioritäten, die sie jeweils befürworten. Dies gilt sowohl bei Anhänger:innen der Grünen (72%), SPD (61%) und Linken (57%), aber auch der CDU/CSU (51%) und FDP (49%) (S. 11). Ungefähr 60% der Befragten in Deutschland sehen sich persönlich bereits negativ vom Klimawandel betroffen oder erwarten negative Auswirkungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Was auch deutlich wird: Die verbreitete Skepsis gegenüber der von den meisten Parteien befürworteten CO2-Bepreisung verringert sich deutlich mit einer zielgerichteten Kompensation; vor allem Zahlungen an einkommensschwache Haushalte werden befürwortet. Diese Erkenntnis ist besonders relevant vor dem für 2027 beschlossenen Start des Europäischen Emissionshandels für Gebäude und Verkehr, der schnell deutlich höhere Preise zur Folge haben kann als die aktuellen festen CO2-Preise. 

Deutsche unterschätzen die Veränderungsbereitschaft der Mitmenschen 

Eine überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa wünscht sich eine wirkungsvolle Klimapolitik und auch einzelne Maßnahmen haben oft breite Unterstützung. Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer5 wirft ein Schlaglicht darauf, dass diese breite Unterstützung jedoch von vielen Menschen unterschätzt wird. Beispielsweise glaubten die Befragten, „dass die Befürwortung für den Windausbau vor Ort in Gesamtdeutschland durchschnittlich bei einem Drittel (32 Prozent) liegt, es [ist] tatsächlich mehr als die Hälfte (59 Prozent). Ebenso wenn es um die Frage nach der Bereitschaft zum Energiesparen geht, meinen sie, dass nur knapp über die Hälfte der Mitmenschen bereit sei, weniger Strom und Gas zu verbrauchen – dabei liegen die Zustimmungswerte bei 77 Prozent.“ Beim Tempolimit liegen die tatsächlichen vs. angenommenen Werte bei 60% vs. 43%; bei Freiflächen-Photovoltaik bei 73% vs. 48%. Die Befragten unterschätzen – unabhängig von ihrer eigenen Parteipräferenz – über alle Maßnahmen hinweg am stärksten die Befürwortung durch die Anhänger:innen der FDP (unterschätzt um 19 Prozentpunkte), CDU/CSU (17 Prozentpunkte) und SPD (14 Prozentpunkte). Die Parteien sollten diesen Fehler nicht machen und die Bereitschaft ihrer eigenen Wählerschaft für klimapolitische Maßnahmen nicht unterschätzen.  

Ergebnis unserer Umfrage: Parteien verschenken Teile ihres Wähler:innen-Potenzials, wenn sie keine Klimapolitik anbieten 

In einer vom Deutschen Naturschutzring (DNR), Germanwatch und WWF beauftragten Umfrage hat Allensbach6 Klima-Einstellungen in Korrelation mit den Wahlpotenzialen der einzelnen Parteien erhoben. Hieraus können diese also auch Rückschlüsse darüber ziehen, mit welchen Positionen sie zusätzliche Wähler:innen mobilisieren könnten. Die Erkenntnisse fügen sich in das oben ausgeführte Bild ein: 

  • EU soll mehr Verantwortung übernehmen: 40% der Menschen sind der Auffassung, die EU müsse mehr Verantwortung für den Klimaschutz in der Welt übernehmen, während nur 15% der Auffassung sind, sie mache zu viel (bei 21% Zufriedenen). Relative Mehrheiten für mehr EU-Verantwortung im Klimaschutz zeigen sich sowohl bei den Wahlberechtigten, die sich vorstellen können die Union zu wählen (33% vs. 14%, die finden, dass die EU schon zu viel mache), als auch bei potenziellen Wähler:innen von SPD (54% vs. 4%), FDP (47% vs. 14%), Grünen (72% vs. 1%) sowie Linken (57% vs. 8%), aber auch BSW (33% vs. 22%). 

Allensbach Studie
IfD-Allensbach 2024

  • Klimaschutz wird als Vorteil angesehen: 28% der Menschen glauben, dass stärkerer Klimaschutz durch die EU überwiegend Vorteile mit sich bringt, gegenüber 12%, die überwiegend Nachteile sehen (bei 36%, die das ausgewogen sehen). Diese Tendenz zeigt sich im Potenzial von Union (28%, die überwiegend Vorteile sehen, gegenüber 11%, die überwiegend Nachteile sehen), SPD (45% Vorteile vs. 3% Nachteile), Linken (42% vs. 3%), FDP (30% vs. 13%) und Grünen (52% vs. 2%), aber auch BSW (21% vs. 17%).
  • Mehr Kooperation in der EU gewünscht: Eine Mehrheit der Menschen ist dafür, dass die Mitgliedsländer der EU in der Energiepolitik (61%) und beim Umwelt- und Klimaschutz (51%) stärker zusammenarbeiten.
  • Klimapolitische Maßnahmen mit Mehrheiten: Bei verschiedenen Klimapolitikansätzen zeigen sich klare Mehrheiten u.a. für:7
    • Schutz natürlicher CO2-Speicher wie Wälder, Moore, Meere (62%),
    • finanzielle Unterstützung einkommensschwächerer Haushalte bei Klimaschutzmaßnahmen (58%),
    • klimafreundlichere Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur (55%), den Ausbau des europäischen Fernzugnetzes (53%) und das Streichen von Flugsubventionen (54%).
  • Hoffnung auf Energieunabhängigkeit und stabile Energiepreise: Zur Frage, welche Vorteile der Klimaschutz für die EU mit sich bringen würde, zeigt sich, dass deutliche Mehrheiten sich stärkere Energieunabhängigkeit (62%) und eine Stabilisierung der Energiepreise (54%) erwarten. Nur 11% der Menschen glauben, dass der Klimaschutz keinerlei Vorteile mit sich bringt.

Klimaschutz ist nach wie vor ein wichtiges Thema für potentielle Wähler:innen fast aller im Bundestag vertretenen Parteien. Für die Parteien heißt das, dass sie Konzepte für den sozial gerechten Weg zur Klimaneutralität anbieten müssen, um wählbar zu sein. Für das kommende Europäische Parlament und die nächste Europäische Kommission heißt das, dass sie diese Konzepte voranbringen müssen, unabhängig vom Wahlergebnis. 


1 April 2024, Befragungszeitraum Februar/März 2024, Face-to-Face-Befragung. Das Eurobarometer ist eine regelmäßig seit 1974 in allen EU-Staaten durchgeführte repräsentative Umfrage. 

2 Juli 2023, Befragungszeitraum Mai–Juni 2023, Face-to-Face-Befragung. 

3 Mai 2024, Befragungszeitraum April 2024, Face-to-Face-Befragung.

4 März 2024, Befragungszeitraum November/Dezember 2023, repräsentative online-Befragung von je 5000 Menschen.

5 Juli 2023, Befragungszeitraum Frühjahr 2023, repräsentative Online-Befragung von 6.500 Menschen nach Zufallsauswahl per Telefon (forsa.omninet). 

6 Die Untersuchung stützt sich auf insgesamt 1.053 Face-to-Face-Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahre. Die Interviews wurden zwischen dem 3. und 15. Februar 2024 mündlich-persönlich durchgeführt.

7 Frage: „Welche Klimaschutzmaßnahmen von dieser Liste sollte die EU in den kommenden fünf Jahren vor allem angehen? Was halten Sie da für besonders wichtig?“

 

Germanwatch und DNR Logo

Autor:innen

Charly Heberer

Zitiervorschlag

Heberer, C., 2024, Umfragen zeigen deutlich: Klare Mehrheit der deutschen Bevölkerung wünscht sich ambitionierte Klimapolitik auch nach den Europawahlen.

Ansprechpersonen

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Referent für EU-Klimapolitik

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Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik