Meldung | 03.06.2024

Für die uneingeschränkte Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte aller im Nahostkonflikt

Der Nahostkonflikt berührt auf verschiedene Weise die Kernziele und die Arbeit von Germanwatch, auch wenn wir dazu nicht direkt arbeiten. Unsere tiefe Bestürzung über die bisher ungebremste Eskalation des Nahostkonflikts sowie die damit einhergehende humanitäre Katastrophe veranlassen uns dazu, uns nach Oktober und November 2023 erneut zu diesem Konflikt zu äußern. Mit diesem Text wollen wir beantworten, wie wir zu dem Konflikt stehen und was wir von den Verantwortlichen in Deutschland außen- wie innenpolitisch erwarten und einfordern.

Unsere Grundlinie

Als Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisation verurteilen wir jegliche Verstöße gegen Menschenrechte und gegen das Völkerrecht, unabhängig davon, wer sie wann und wo begeht. Menschenrechte gelten universell.

Wir haben Empathie mit allen Opfern von Konflikten und Terror, und drängen auf die Einhaltung von Menschenrechten und Völkerrecht sowie darauf aufbauenden Wegen, die zum Frieden führen. Wir bemühen uns, die Bürger:innen auf beiden Seiten eines Konfliktes zu stärken, die sich für eine friedliche und faire Lösung des Konfliktes stark machen.

Anwendung dieser Grundlinie auf den Konflikt im Nahen Osten

Die Kriegshandlungen und Entwicklungen sind sehr dynamisch, wir können diese nicht tagesaktuell kommentieren. Wir sehen jedoch mit Entsetzen, dass sich seit dem Massaker an weit mehr als 1.000 Personen und der hundertfachen Geiselnahme durch die Hamas und weitere bewaffnete Gruppen vom 07.10.23 eine Gewaltspirale beschleunigt hat, in deren Verlauf inzwischen über 30.000 Menschen durch die israelische Militäroffensive im Gazastreifen getötet wurden, darunter sehr viele Kinder. Über 80.000 weitere Menschen wurden schwer verletzt (zu den Opferzahlen, vgl. Anhang).

Mit Blick auf diese Situation sprechen wir unsere Solidarität allen Menschen – insbesondere Zivilist:innen – gleichermaßen aus, die von Terror und Krieg betroffen sind. Wir fordern die Achtung des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts, und den Schutz und die Einhaltung der Menschenrechte, sowie die Gewährung von Zugang und Unterstützung für humanitäre Organisationen. 

Während und nach dem Konflikt ist es zentral, dass die Menschenrechts- und Kriegsverbrechen beider Seiten unparteiisch aufgearbeitet werden. Dafür sind im internationalen Recht Institutionen und Verfahren vorgesehen, etwa beim Internationalen Gerichtshof und Internationalen Strafgerichtshof. Wir setzen uns dafür ein, die Unabhängigkeit dieser juristischen Instanzen zu wahren und ihre Entscheidungen zu respektieren und zu befolgen.

Konkrete Kritik auf dieser Basis

Als Menschenrechtsorganisation, die auch zum Recht eines:r Jeden auf ausreichende Ernährung arbeitet, steht die Hungerkatastrophe ganz besonders im Zentrum unserer Besorgnis als eine der zentralen Menschenrechtsverletzungen. Die Situation im Gaza-Streifen muss auch mit Blick auf andere Menschenrechte, wie dem Recht auf Wasser, Wohnen und Gesundheit als humanitäre Katastrophe bewertet werden (vgl. Anhang).

Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober hatte Israel das Recht sich zu verteidigen. Allerdings wird dieses Recht durch das humanitäre Völkerrecht und die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte begrenzt. Wie jede Konfliktpartei ist auch Israel dazu verpflichtet, alle Reaktionen auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen, die Zivilbevölkerung zu schützen und humanitäre Grundbedürfnisse jederzeit sicherzustellen. Anhand dieses Maßstabs verurteilen wir die Kriegsführung der israelischen Regierung, so wie wir auch die massiven Menschenrechts- und Völkerrechtsverstöße der Hamas verurteilen.

Insbesondere besorgen uns folgende Aspekte, basierend vor allem auf diversen Recherchen der Vereinten Nationen, im Anhang dokumentiert:

Auf Seiten der Hamas:

  • UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk benennt als Menschenrechtsverletzungen der Hamas den Terrorangriff auf Israel, „das wahllose Abfeuern von Geschossen auf Israel und das militärische Agieren aus zivilen Einrichtungen heraus“ (Quelle).
  • Der brutale Terror der Hamas am 7. Oktobers war ein bewusst in Szene gesetztes Massaker. Noch immer sind rund 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas, ein schwerer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Im Kontext des Terrorangriffs und der Geiselnahmen hat laut der UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten massive sexuelle Gewalt stattgefunden, „inklusive Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen“. Sie geht davon aus, dass „derartige Gewalt weiter andauert gegen diejenigen, die noch festgehalten werden" (Quelle).
  • Die Hamas ist mitverantwortlich dafür, dass die dringend notwendige Versorgung der Menschen im Gazastreifen erschwert wird. Beispielsweise haben bereits mehrfach Raketenangriffe der Hamas auf den Grenzübergang Kerem Shalom dazu geführt, dass dieser von Israel geschlossen wurde und Hilfslieferungen nicht mehr passieren konnten (Quelle).

Auf Seiten der israelischen Regierung:

  • UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk sah bereits im Januar 2024 im Vorgehen Israels in Gaza „Anzeichen für Kriegsverbrechen und womöglich auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Quelle) und hat im Februar die anhaltenden Angriffe im Gaza-Streifen als ein „Blutbad“ bezeichnet (Quelle). Er weist insbesondere darauf hin, dass die kollektive Bestrafung einer ganzen Bevölkerung sowie die gezielte Tötung von Zivilisten Kriegsverbrechen sind (Quelle).
  • Der UN-Hochkommissar hat weiterhin darauf verwiesen, dass es als unmenschlich bewertet werden müsse, Hunderttausende zwangsweise in Gebiete umzusiedeln, die schon dem Erdboden gleichgemacht worden seien und in denen es am Nötigsten fehle. Die Evakuierung und eine Großoffensive auf Rafah mache die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern und Medikamenten unmöglich. Dies wäre ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht (siehe Link und Link). Betroffen ist davon insbesondere auch die Versorgung mit sauberem Wasser (siehe Anhang). 
  • Seit Monaten kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht durch die israelische Armee. Dies bezieht sich vor allem auf wiederholte Angriffe auf zivile und medizinische Einrichtungen, unpräzise Bombardements, den unzureichenden Schutz der Einwohner:innen des Gaza-Streifens, Mitarbeiter:innen von Hilfsorganisationen und Journalist:innen, und die Zerstörung ziviler Infrastruktur (siehe Anhang). Es gibt auch Berichte von UN-Experten über sexualisierte Übergriffe, Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen und mindestens zwei Vergewaltigungen sowie über außergerichtliche Hinrichtungen.
  • Über zwei Millionen Menschen im Gazastreifen leiden unter akuter Ernährungsunsicherheit (Quelle), in den kommenden Monaten droht die schwere Hungersnot (Quelle) weiter zu eskalieren (siehe auch Anhang). Seit Oktober blockiert Israel große Teile der Grundversorgung und der dringend notwendigen Hilfslieferungen. Diese Blockade hat sich mit der Eroberung des Grenzübergangs in Rafah durch Israel nochmals verschärft (Quelle). Besorgniserregend ist auch, dass rechtsradikale Teile der israelischen Gesellschaft sich an solchen Blockaden beteiligen (Quelle, siehe auch Anhang).
  • Die gewaltsamen Übergriffe militanter Siedler:innen in der Westbank haben in den letzten Monaten drastisch zugenommen. Im Windschatten des derzeitigen Konfliktes versuchen radikale Israelis, die illegale Landnahme dort zu beschleunigen und nutzen auch Gewalt, dabei wurden hunderte Bewohner:innen des Westjordanlands getötet. Die rechtsradikale Regierung Benjamin Netanjahus lässt sie gewähren, teilweise werden sie sogar durch israelische Sicherheitskräfte unterstützt (Quelle).

Menschenwürde und Menschenrechte als Grundlage und Begrenzung der Solidarität

Angesichts der systematischen Vernichtung von jüdischen Menschen im Holocaust und des immer noch weltweit, auch in Deutschland und Europa, existierenden Antisemitismus, ist es zentral, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und zu unterstützen. In unserem Statement vom 28.11.2023 haben wir darauf hingewiesen, dass „der Schutz der Menschenwürde Grundlage der unverbrüchlichen Solidarität Deutschlands mit dem Staat Israel und (…) gerade deshalb auch der Maßstab möglicher Kritik am konkreten Handeln der israelischen Regierung“ ist. 

Wer von „deutscher Staatsraison“ spricht, sollte zugleich klarstellen: Solidarität mit den Menschen in Israel darf nicht verwechselt werden mit Solidarität mit der Regierung in Israel, zumal wenn diese gegen Menschenrechte und Völkerrecht verstößt.

Der Schutz von Menschenwürde, der Menschenrechte und des Völkerrechts begründen und begrenzen ebenso unsere Solidarität mit den Palästinenser:innen. Auch sie haben ein Recht auf ein friedliches und selbstbestimmtes Leben auf der Basis der Menschenrechte in einem demokratischen Staat mit sicheren Grenzen.

Für ein Ende der Spirale aus Gewalt und Gegengewalt

Der brutale Terror der Hamas hat Frieden und Sicherheit für die Palästinenser:innen nicht befördert, sondern weiter erschwert.

Es ist zudem sehr fraglich, ob die Brutalität der israelischen Militäroffensive tatsächlich – wie von der Regierung Netanjahu als Begründung genannt – der Sicherheit der Menschen in Israel dient. Kann eine Strategie Sicherheit und Frieden voranbringen, wenn die unangemessene Härte des Vorgehens zehntausende Menschenleben kostet, die Lebensgrundlagen für die Zukunft zerstört und unzählige Menschen traumatisiert?

Es ist höchste Zeit, Wege aus dieser Gewaltspirale mittels eines Waffenstillstands zu bahnen, und Gespräche zur Suche eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten wiederaufzunehmen. Eine Friedenslösung muss den Schutz, die Sicherheit und das Wohl aller Menschen in der Region fördern. Das Völkerrecht und die Menschenrechtsnormen sollten dabei die Grundlage bilden. Alle Menschen der Region haben das Recht, friedlich und in gesicherten Grenzen zu leben.

Bereits am 25. März hat der Weltsicherheitsrat als ersten Schritt eine sofortige Freilassung aller Geiseln und eine sofortige Waffenruhe verlangt (Quelle).

Auswirkungen des Konflikts auf die deutsche Gesellschaft

Wir sehen mit Erschrecken als Konsequenz des Konflikts den Anstieg von antisemitischen, antimuslimischen, anti-israelischen, anti-palästinensischen und rassistischen Vorfällen in Deutschland.

Wir möchten Menschen Palästinensischer Herkunft in Deutschland, über die wir uns als unsere Mitbürger:innen freuen, sagen, wie schmerzlich wir den Leidensweg ihres Volkes der letzten Jahrzehnte wahrnehmen, wie entsetzt wir von immer neuen Bildern und Berichten über zivile Opfer sind; und dass es höchste Zeit ist, dass es endlich wieder offen ein Abkommen zwischen Israel und Vertreter:innen der Palästinenser:innen gesucht wird, um den Weg für eine gerechte Lösung zu bahnen, die auch die Existenz des palästinensischen Volkes in sicheren Grenzen sichert.

Wir möchten den Jüd:innen und Israelis in Deutschland sagen, wie geschockt wir sind über das Massaker am 07. Oktober und wie tief wir Anteil nehmen an dem unfassbaren Leid der betroffenen Menschen und ihrer Familien. Und dass wir ohne Wenn und Aber das Existenzrecht Israels in den völkerrechtlich akzeptierten Grenzen unterstützen. Wir freuen uns, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich geworden ist – dies darf nicht in Frage stehen. Es muss selbstverständlich und ohne Angst möglich sein, aber wenn nötig auch geschützt werden.

Für uns ist selbstverständlich, dass in Deutschland die verfassungsgemäßen Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung gelten. Solidarität mit dem Leid der Palästinenser:innen und Kritik an Israels Kriegsführung – genauso wie Solidarität mit den Opfern und Geiseln der Hamas und Kritik an ihrem Terror – müssen ohne Angst vor Repression möglich sein. Ganz besonderen Respekt haben wir für die, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nutzen, um auch den Perspektivwechsel zu wagen und das Leid auch der anderen Seite erkennen, statt nur der oft allzu verständlichen Wut zu folgen. Auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit finden ihre Grundlage, aber auch ihre immer auf Verhältnismäßigkeit zu überprüfende Begrenzung, in der Menschenwürde und den Menschenrechten. Gewaltverherrlichende oder menschenverachtende Slogans und Symbole sind nicht akzeptabel. Wo die Grenzen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit genau verlaufen, müssen im Zweifel unabhängige Gerichte auf Basis des Grundgesetzes bestimmen. 

Wir möchten allen Menschen in Deutschland, die im Kontext dieses Konflikts wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Religion Angriffe, Diskriminierungen oder Hassbotschaften erfahren, unser Mitgefühl und unsere Solidarität ausdrücken und werden uns weiterhin für ihren Schutz und eine Gesellschaft, in der ein solcher Schutz nicht länger notwendig ist, einsetzen.

Forderungen an die Bundesregierung und die EU

Humanitäre Hilfe

Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel hat zu einer humanitären Katastrophe geführt. 2,2 Millionen Menschen im Gaza-Streifen sind aktuell in größter Not. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von akutem Hunger bedroht, 1,9 Millionen Kinder, Frauen und Männer wurden aus ihren Häusern vertrieben – alle benötigen dringend Unterstützung – ganz besonders angesichts der eskalierten Hungersituation. Die Infrastruktur für Trinkwasser und Gesundheitsversorgung ist weitgehend zerstört. Wir drängen die Bundesregierung und die EU, alles ihnen Mögliche zu unternehmen für die Eindämmung und Bewältigung der humanitären Situation und sich weiter dafür einzusetzen, dass die Hilfe möglichst schnell tatsächlich bei den Betroffenen landet.

Einsatz für Völkerrecht und Menschenrechte

Wir fordern die Bundesregierung auf, den Schutz der Menschenwürde und -rechte aller Betroffenen und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts ins Zentrum ihrer Bemühungen zu stellen und in diesem Sinne auf das Beenden der menschengemachten, erzwungenen Hungersnot, auf einen unverzüglichen Waffenstillstand, auf die Freilassung aller Geiseln und auf eine dauerhafte, gerechte Friedenslösung hinzuarbeiten. 

Waffenlieferungen

Israel wird seit seiner Gründung militärisch bedroht. Ohne internationale – auch militärische – Hilfe gäbe es Israel heute wohl nicht mehr. Angesichts der akuten Bedrohung Israels, insbesondere durch den Iran, bleibt die Unterstützung Israels bei seiner Verteidigung essentiell, um seine Existenz zu sichern. Gleichzeitig besteht die klare völkerrechtliche Verpflichtung, keine Rüstungsgüter an eine Regierung zu liefern, wenn damit schwerwiegende Menschen- und Völkerrechtsbrüche begangen werden. 

Wir sehen, dass es in Deutschland Regelungen für Kriegswaffen gibt, die diese Rüstungsexporte strengen Beschränkungen unterwerfen und dass nach einem massiven Anstieg der Rüstungsexporte diese zuletzt wieder stark rückläufig waren und nur einen geringen Anteil an Kriegswaffen beinhalten (siehe Anhang). Wir erwarten, dass die Bundesregierung den entstandenen Konflikt mit der eigenen völkerrechtlichen Verpflichtung – und die damit verbundene Option der völligen Einstellung der Lieferung von Kriegswaffen gemeinsam mit anderen Exportnationen – auch für diplomatischen Druck für einen Waffenstillstand nutzt.

Terrorunterstützung sanktionieren

Mehrere Staaten in der Region sind maßgebliche Finanziers des islamistischen Terrors der Hamas und der Hisbollah. Nur die Unterstützung des Terrors ermöglicht die immer weitergehenden Bomben, die aus dem Gaza-Streifen und aus dem Libanon auf die Zivilbevölkerung Israels fliegen. Wir fordern, dass die Bundesregierung dazu beiträgt, den internationalen Druck zu erhöhen, um diese Unterstützung des Terrors zu beenden.


Anhang

Zu den Opfern des Krieges

  • Die UN gibt Stand 01.06.24 an, dass über 36.000 Menschen im Gazastreifen getötet, sowie über 81.000 verletzt wurden (Quelle
  • Die UN verwendet hier zum großen Teil Angaben der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können. Es gibt ernsthafte Zweifel an der Datenqualität – die Größenordnung der Opferzahlen und ein vergleichsweise hoher Anteil von Frauen und Kindern sind aber plausibel, siehe etwa Quelle.

Zu mögliche Menschenrechts-/Völkerrechtsverletzungen Israels

  • Angriffe auf zivile Einrichtungen, unter anderem Krankenhäuser, die im humanitären Völkerrecht besonderen Schutz genießen. Im nördlichen Gaza-Streifen, wurden innerhalb der ersten zwei Kriegsmonate – wie eine Satellitenbild- und Video-Analyse von CNN zeigt – bereits 20 von 22 Krankenhäusern in der Region beschädigt oder zerstört. 14 Krankenhäuser wurden demnach direkt getroffen, die anderen indirekt. (Quelle) Im April 2024 zeigten sich UN-Vertreter:innen über den Fund hunderter Leichen im Umfeld zerstörter Kliniken im Gaza-Streifen alarmiert und haben internationale Ermittlungen eingefordert. (Quelle) Israel bestreitet für die Massengräber verantwortlich zu sein. 
  • Unpräzise Bombardements und die Berichte über Familien, die beim so ausgelösten Einsturz von Wohnblocks getötet oder verletzt wurden. Dabei nutzte Israel bereits im ersten Monat des Konflikts hunderte sogenannte 2000-Pfund-Bomben mit einem enormen Verletzungspotenzial im Umfeld. Dass knapp die Hälfte der israelischen Bomben auf Gaza ohne Lenkzusatz abgeworfen wurden, ist wohl einer der weiteren Gründe für die massive Betroffenheit von Zivilist:innen. (Quelle)
  • Unzureichender Schutz der Einwohner:innen des Gaza-Streifens und Mitarbeiter:innen von Hilfsorganisationen – zum Beispiel Angriffe auf Hilfspersonal zum Teil trotz vorher abgesprochener sicherer Wege, wie etwa auf die drei Wagen des World Central Kitchen sowie insgesamt über 180 getötete UN-Mitarbeiter:innen. (Quelle sowie Quelle)
  • Seit Beginn des Krieges in Gaza wurden mehr als 100 Journalist:innen in Gaza getötet, so die internationale Journalisten-Föderation. (Quelle) Das staatliche Medienbüro in Gaza schätzt die Zahl der Getöteten gar auf mehr als 140, (Quelle) Reporter ohne Grenzen bereits am 8.4.2024 auf mindestens 112. (Quelle)
  • Viele andere von uns nicht validierbaren Informationen von Whistleblower:innen und Medienartikel verstärken unsere Sorge (etwa über das Straflager Sde Teiman, wo nach diesen Berichten palästinensische Menschen widerrechtlich festgehalten und gefoltert werden.) (Quelle)
  • Ende Februar 2024 berichtete ein Panel von UN-Expert:innen, es gebe auch “glaubwürdige Vorwürfe”, dass palästinensische Frauen und Mädchen in Gaza wie auch in der besetzten West Bank sexuellen Übergriffen, auch Vergewaltigungen, ausgesetzt worden seien. Neben anderen sexuellen Erniedrigungen und Vergewaltigungsversuchen gebe es Evidenz für zwei Vergewaltigungen. Die Expert:innen wiesen außerdem auf vorliegende Informationen hin, dass palästinensische Frauen und Kinder willkürlich erschossen wurden, häufig gemeinsam mit Familienmitgliedern. Sie seien schockiert über Berichte, dass absichtlich auf diese Menschen an Orten gezielt worden sei, wo sie während ihrer Flucht Zuflucht suchten. Die Expert:innen drängen auch in diesem Fall auf eine unabhängige, unparteiische, schnelle, gründliche Untersuchung und die Kooperation Israels dabei. (Quelle)
  • Dem UN-Menschenrechtsbüro liegen Berichte vor, wonach mehrere Palästinenser:innen unrechtmäßig getötet wurden und die ISF unbewaffnete Palästinenser:innen als Schutzschilde für ihre Truppen einsetzten und andere in offensichtlich außergerichtlichen Hinrichtungen töteten. Dutzende wurden Berichten zufolge inhaftiert und misshandelt. (Quelle) Berichten zufolge wurden palästinensische Frauen und Mädchen im Gazastreifen willkürlich hingerichtet, oft zusammen mit Familienmitgliedern, darunter auch ihren Kindern. (Quelle)

Zur Versorgung mit sauberen Wasser

  • Der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Trinkwasser und Sanitärversorgung Pedro Arrojo-Agudo warnte bereits seit November 2023 davor, dass der Einsatz von Wasser als Waffe in Gaza gegen eine Reihe von humanitären und menschenrechtlichen Grundsätzen verstößt. (Quelle)
  • Bereits im Oktober wies Dr. Rick Brennan von der WHO auf die katastrophalen Folgen des mangelnden Zugangs zu sauberem Wasser hin. Im Gazastreifen stünden täglich zwischen einem und drei Litern pro Person zur Verfügung, während das absolute Minimum bei 15 Litern liege, sagte er. Die Menschen seien gezwungen, verunreinigtes Wasser zu konsumieren und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sei "nur eine Frage der Zeit".(Quelle)

Zur humanitären Lage in Gaza

  • In zwei Eilentscheidungen vom 26. Januar (Quelle sowie Quelle) und 28. März wurde Israel bereits vom Internationalen Gerichtshof (IGH) aufgefordert, seinen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention nachzukommen. Dabei ging es insbesondere darum, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern und mehr humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen zu lassen, u.a. durch die (längere) Öffnung von Grenzübergängen(Quelle) 
  • Der IGH hat am 24.5. Israel aufgefordert, die Militäroperation in Rafah und im südlichen Gaza sofort abzubrechen und die Grenze für dringend benötigte humanitäre Hilfe zu öffnen. (Quelle)
  • Seit März 2024 warnen mehrere UN-Organisationen, der Weltsicherheitsrat, internationale Organisationen und auch der UN-Generalsekretär vor einer katastrophalen Ernährungssituation, die sich in Gaza ausbreitet und sich schon bald zu einer akuten Hungersnot (Stufe 5 und damit die gravierendste Phase der international gebräuchlichen IPC-Klassifikation) entwickeln könnte.
  • Am 18. März 2024 haben mehrere UN-Organisationen sowie internationale NGOs, nach einer ersten Warnung im Dezember 2023 nun noch weit dringlicher davor gewarnt, dass im Norden des Gazastreifens eine Hungernot nun unmittelbar bevorstehe. Diese Hungersnot werde – ohne mögliche Gegenmaßnahmen – bis Mai 2024 manifest werden: „Alle Evidenz deutet auf eine große Beschleunigung von Todesfällen und Unterernährung hin“. Die Autor:innen nutzten eine weltweit anerkannte Methode zur Beurteilung von Krisenlagen, die Integrated Food Security Phase Classification (Quelle). Demnach spricht man von einer akuten Hungersnot beim Zutreffen folgender Kriterien: Mindestens einer von fünf Haushalten hat einen „extremen Mangel“ an Nahrung, eines von drei Kindern ist akut mangelernährt, zwei von 10.000 Menschen sterben täglich an den Folgen. (Quelle)
  • Sieben Tage später, am 25. März 2024, drückt der Weltsicherheitsrat seine „tiefe Sorge über die katastrophale humanitäre Situation im Gaza-Streifen aus.“ (Quelle) Er betonte die dringliche Notwendigkeit, den Fluss der humanitären Hilfe zu auszuweiten und Zivilist: innen im ganzen Gaza-Streifen zu schützen. UN-Generalsekretär Guterres drängte dann Ende April die internationale Gemeinschaft, „alles was möglich ist zu tun, um eine völlig vermeidbare menschgemachte Hungersnot zu vermeiden.“ (Quelle)
  • Am 5. Mai 2024 schlossen israelische Behörden den Grenzübergang Kerem Shalom nach einer Raketenattacke der Hamas. Am 7. Mai 2024 beschlagnahmten sie zudem im Zuge ihres Eindringens in die Region den Rafah-Übergang. Das blockierte die Hilfe an den beiden zuvor am meisten genutzten Übergängen. Während israelische Behörden in den Wochen zuvor mehr Hilfswagen die Einfahrt erlaubt hatten und sowohl einen zusätzlichen Grenzübergang als auch Hafen für Hilfslieferungen geöffnet hatten, war der Anstieg der Lieferungen bescheiden und nach Ausgaben von UN und humanitären NGOs bei weitem nicht ausreichend um den gewaltigen Bedarf zu decken. (Quelle)
  • Nach fast sieben Monaten israelischer Bombardierung „können die Menschen nicht einmal den grundlegendsten Bedarf an Nahrungsmitteln decken.“ Sie haben alle Bewältigungsstrategien ausgeschöpft, wie Tierfutter essen, betteln, ihr Hab und Gut verkaufen, um Lebensmittel zu kaufen. Sie sind die meiste Zeit mittellos und offensichtlich verhungern einige von ihnen.“ Sagte der WFP Director Gian Carlo Cirri. (Quelle)
  • Von einem Durchschnitt vor der Eskalation von 500 Lastwagen pro Tag, davon 150 mit Lebensmitteln, sind zwischen 7. Oktober 2023 und 24. Februar 2024 nur 90 Lastwagen pro Tag, davon nur 60 mit Lebensmitteln, in den Gazastreifen eingefahren. Haushalte lassen jeden Tag Mahlzeiten ausfallen und Erwachsene reduzieren ihre Mahlzeiten, damit Kinder essen können. (Quelle)
  • UN Generalsekretär Guterres sagte im März, im Gaza-Streifen gebe es die höchste Zahl von Menschen, die jemals von katastrophalem Hunger betroffen sei, die das IPC jemals erfasst hat. (Quelle)
  • Nach Schätzungen der Weltbank, der Vereinten Nationen und der EU belaufen sich die Schäden im Gaza-Streifen bisher auf 18,5 Mrd. USD oder 97 % des gesamten BIP von Gaza und Westjordanland. 72 % der Kosten der militärischen Zerstörung in Gaza entfallen nach einer Schätzung der UN auf die Kosten für den Wohnungsbau, weitere 19 % auf die Kosten für die zivile Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Straßen, Stromversorgung). Zwischen 60 und 70 % aller Häuser in Gaza und bis zu 84 % der Häuser im nördlichen Gazastreifen sind entweder völlig zerstört oder teilweise beschädigt. (Quelle)

Zum Umfang deutscher Rüstungslieferungen

  • Der Internationale Gerichtshof hat den Eilantrags Nicaraguas, die Waffenlieferungen Deutschlands an Israel zu stoppen, zurückgewiesen. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass der Wert der Rüstungsexporte aus Deutschland nach Israel nach Oktober 2023 deutlich gesunken sei – von etwa 200 Millionen Euro auf eine Million Euro im März 2024 und dass nur zwei Prozent der genehmigten Ausfuhr Kriegswaffen gewesen seien, 98 % der Exporte hätten sich auf sonstiges militärisches Equipment, etwa Helme und Schutzkleidung, bezogen. (Quelle) Gleichwohl haben sich die Rüstungsexporte nach Israel in 2023 gegenüber 2022 bis Anfang November fast verzehnfacht, wovon sechs Prozent Kriegswaffen waren. (Quelle sowie Quelle)

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