Nach dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel und vor der Weltklimakonferenz COP28
Lance Cheung / USDA
Im Jahr 2015 setzte sich die Weltgemeinschaft mit der 2030-Agenda insgesamt 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Darunter das SDG 2 zur Beendigung des Hungers. Zur Halbzeit der Agenda erscheint es fraglicher denn je, ob dieses Ziel bis zum Ende des Jahrzehnts noch erreicht werden kann. Seit seiner Verabschiedung sind global kaum positive Entwicklungen in dieser Hinsicht zu verzeichnen – in den letzten Jahren ist die Zahl der unterernährten Menschen sogar wieder gestiegen. Dem kürzlich erschienenen Welthungerindex 2023 zufolge sind aktuell 735 Millionen Menschen unterernährt, was fast 10 % der Weltbevölkerung entspricht. Darüber hinaus waren im Jahr 2022 insgesamt 2,4 Milliarden Menschen von moderater bis schwerwiegender Ernährungsunsicherheit betroffen. Das bedeutet, dass sie nicht ausreichend Zugang zu nahrhaften, erschwinglichen und kulturell angemessenen Lebensmitteln haben. Diese alarmierenden Zahlen stehen im engen Zusammenhang mit den multiplen Krisen der letzten Jahre: namentlich die Covid-19-Pandemie, gewaltsame Konflikte wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie durch den Klimawandel bedingte Extremwetterereignisse. All diese Krisen wirken sich besonders gravierend auf die Ernährungssituation in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen aus und verschärfen die globale Ungleichheiten erneut. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird prognostiziert, dass im Jahr 2030 immer noch 600 Millionen Menschen unter chronischem Hunger leiden werden, obwohl rechnerisch genug Kalorien produziert werden, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. Es ist daher ein entschiedenes politisches Umsteuern notwendig, um in Bezug auf SDG 2 endlich nachhaltige Fortschritte zu machen und die Ernährungssicherheit aller Menschen weltweit zu gewährleisten.
Die besorgniserregende Lage mit Blick auf den weltweiten Hunger wurde auch beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel (SDG Summit) im September dieses Jahres thematisiert: UN-Generalsekretär António Guterres benannte die Hungerbekämpfung als ein Handlungsfeld, auf dem es einer dringenden Transformation bedarf. In der auf dem Gipfel verabschiedeten politischen Erklärung bekräftigen Staats- und Regierungschef:innen ihren Willen, die SDGs zu erreichen, also auch den Hunger bis 2030 zu beenden. Im Einzelnen versprechen die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der Erklärung, dass sie die Maßnahmen zur Hungerbekämpfung, zur Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung und ihren Einsatz für nachhaltige, resiliente Agrar- und Ernährungssysteme beschleunigen werden. Im Sinne dieser Ziele haben die Vereinten Nationen in diesem Jahr auch eine High Impact Initiative gestartet, die Staaten dazu anhalten soll, die Transformation der Ernährungssysteme politisch zu priorisieren. Insgesamt fehlt es aber auf allen Ebenen an umfassenden, konkreten Schritten hin zu Landwirtschafts- und Ernährungssystemen, die an den Klimawandel angepasst sind, den Schutz unserer Lebensgrundlagen gewährleisten und eine angemessene, zuverlässige Versorgung mit Nahrungsmitteln für alle Menschen sicherstellen können.
Landwirtschaft, die ernährt und das Klima schützt
Eine solche Transformation wird auch aus Klimaschutzperspektive immer dringlicher. Landwirtschaft und Ernährung, wie wir sie heute praktizieren, sind für fast ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der Großteil davon ist auf Landnutzungsänderungen zurückzuführen, beispielsweise das Trockenlegen von Mooren und die Entwaldung, um Flächen zu bepflanzen oder als Weideland zu nutzen. Aber die hochindustrialisierten Landwirtschaft schadet noch darüber hinaus: Auch die oft sehr konzentrierte, intensive Tierhaltung, übermäßige und falsche Düngung, ein Zuviel an Pflanzenschutzmitteln greifen negativ in die Umwelt ein. Unsere globalen Ökosysteme sind so nicht nur durch den Anstieg der Wasser- und Atmosphärentemperatur gefährdet, sondern auch durch den Verlust der Biodiversität. Beide Prozesse beschleunigen sich gegenseitig, denn sind Ökosysteme erst einmal aus dem Gleichgewicht geraten, können sie ihre Funktionen wie Kühlung, CO₂-Speicherung, und Nährstoffkreisläufe nicht mehr erfüllen. Daher ist es wichtig, dass wir Landwirtschaft als eng verbunden mit dem Klima und der Biodiversität verstehen. Dafür müssen Positivkreisläufe geschaffen werden. Zum Beispiel kann durch eine Fruchtfolge mit hohem Anteil an Leguminosen die Bodengesundheit erhöht werden; Felder und Seitenstreifen sollten brach liegen bleiben; Bäume gepflanzt werden, um Feldfrüchte zu beschatten und mit ihren Wurzeln den Boden vor dem Wegschwemmen zu bewahren. Denn: Die Landwirtschaft trägt nicht nur selbst zum Klimawandel bei, sondern ist auch stark von seinen Folgen betroffen – wie sich in den vermehrten Dürren und Überschwemmungen schon vielerorts zeigt.
Aus all dem ergeben sich sozioökonomische Folgen, wie beispielsweise Hungersnöte, die vermindert werden können. Vor allem durch eine verstärkte Förderung von landwirtschaftlichen Praktiken, die weniger negative Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt haben und widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel sind. Dazu zählen insbesondere lokal angepasste Methoden, auch solche wie sie seit Jahrhunderten indigene Gemeinschaften erfolgreich anwenden. Neben weiterer Forschung braucht es also vor allem mehr Austausch über Lösungen sowie schließlich Gesetze und Förderprogramme, die diese skalieren. Der Wandel kann aber nicht nur auf Seite der Erzeuger:innen vor Ort stattfinden. Es braucht auch Veränderungen auf Nachfrageseite der Konsument:innen – insbesondere eine regionalere und pflanzlichere Ernährung in den westlichen Ländern – und einen gerechteren globalen Nahrungsmittelmarkt.
COP28: Ernährungssysteme müssen im Zentrum stehen
Daher ist es zu begrüßen, dass die Vereinten Arabischen Emirate, als Gastgeberland der anstehenden Klimakonferenz COP28, Ernährungssysteme zu einem zentralen Thema machen. So schaffen sie Raum für die notwendige Vernetzung und die Zusammenarbeit an der Transformation der Ernährungssysteme. In den offiziellen Verhandlungen werden die Verhandler:innen auf der Arbeit der vergangenen Jahre aufbauen (im Koronivia Joint Work on Agriculture, aus dem 2022 das Sharm el-Sheik Joint Work zu Ernährungssicherheit und der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft hervorgegangen ist). Der diesjährige Gastgeber hat angekündigt, darüber hinaus Leitlinien für die Integration von Ernährungssystemen in die Klimaschutzgesetzgebung erstellen zu wollen. Eine gemeinsame Erklärung neben den offiziellen Verhandlungssträngen dazu wird vorbereitet. Wichtig wäre, dass die Berücksichtigung von Landwirtschaft und Ernährung in Nationalen Anpassungsplänen und Klimaschutzplänen in dieser Erklärung nicht nur vorgeschlagen wird, sondern durch einen formellen Beschluss der COP verbindlich wird. Außerdem darf der Zusammenhang der Landwirtschaft und des Klimas mit Biodiversität und Wasser nicht vernachlässigt werden, damit Anpassung nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden kann.
Der Fokus darf dabei nicht nur auf der Anpassung im Globalen Süden liegen: Deutschland, die EU und andere Industriestaaten müssen voranschreiten. Unser Konsum, unsere Landwirtschaft und unser Handel müssen anders gestaltet werden: für Klimaschutz und Ernährungssicherheit.
Autor:innenLena Wagner*, Matilda Franz *Praktikantin Bereich Welternährung, Landnutzung und Handel |