Meldung | 27.09.2023

Branchendialog Automobil: Germanwatch beteiligt sich an der Veröffentlichung der Qualitäts- und Handlungsempfehlungen für verantwortungsvollen Lithiumabbau, kritisiert jedoch deren Grenzen

Titelseite der Publikation

Der Abbau von Lithium birgt zahlreiche umweltbezogene und menschenrechtliche Risiken. Im Rahmen des Branchendialogs Automobil hat Germanwatch daher in der „Projektgruppe Lithium“ gemeinsam mit Akteur:innen aus Industrie und Politik „Qualitäts- und Handlungsempfehlungen für einen verantwortungsvollen Lithiumabbau“ erarbeitet. Das Papier identifiziert vier Risikofelder und gibt Empfehlungen, wie diese durch Lithium-abbauende und Lithium-einkaufende Unternehmen in der Lieferkette adressiert werden können. Germanwatch trägt die Empfehlungen grundsätzlich mit. Wir sehen jedoch einige zentrale Lücken, um eine global nachhaltige und gerechte Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen zu erreichen.

Positiv ist, dass die Empfehlungen das Recht indigener Gemeinden beinhalten, Lithiumprojekte im Rahmen des Prinzips der freien, vorherigen und informierten Zustimmung abzulehnen („Free Prior and Informed Consent“, kurz: FPIC). Neben diesem „Recht, Nein zu sagen“ („Right to Say No“) spielen in den Empfehlungen die enormen Auswirkungen eine zentrale Rolle, die der Lithiumabbau aus Salzseen auf die Wasserressourcen vor Ort hat. Das Papier betont ebenfalls, wie wichtig die Einbeziehung von lokalen Gemeinden und Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger:innen ist. Es benennt auch konkrete Maßnahmen, die Unternehmen gemeinsam mit weiteren Akteur:innen ergreifen können, um den Schutz von Menschenrechten und Umwelt in Lithium-Lieferketten zu stärken. Dazu gehören neben sogenannten „Blind Fonds“ zur Schaffung einer unabhängigen Finanzierung auch Ansätze des Umweltmonitorings, das von lokalen Gemeinden durchgeführt wird. Das Dokument enthält auch Empfehlungen für Lithium-einkaufende Unternehmen, bei Abhilfe und Wiedergutmachung mitzuwirken. Klar wird aus den Empfehlungen außerdem, dass Unternehmen sich nicht allein auf Industriestandards verlassen sollen. Wir bedauern jedoch, dass nicht explizit klargestellt wurde, dass Unternehmen weiterhin eigene Sorgfaltspflichtmaßnahmen durchführen müssen und ihre Verantwortung nicht an Dritte auslagern dürfen.

Nachdem die Projektgruppe Lithium in einem ersten Schritt die Qualitäts- und Handlungsempfehlungen ausgearbeitet hatte, wurden in einem zweiten Schritt Unternehmen, Expert:innen aus verschiedenen Feldern und zivilgesellschaftliche Organisationen aus Südamerika zur Kommentierung und gemeinsamen Diskussion eingeladen. Auf dieser Basis hat die Projektgruppe die Empfehlungen in einem letzten Schritt überarbeitet. Obwohl zahlreiche Rückmeldungen in das Dokument eingeflossen sind, konnten insbesondere einige Punkte aus der Zivilgesellschaft keinen Konsens finden. Das lag unter anderem daran, dass der thematische Fokus der Empfehlungen auf Menschenrechten lag. Dadurch sind Lücken im Papier entstanden, die wir kritisch sehen: Es fehlt ein ganzheitlicher Blick auf die Problematik eines ungleich verteilten, hohen Ressourcenverbrauchs und die unfaire Verteilung von Wertschöpfung entlang der Lieferkette zulasten der Abbauregionen. Die Empfehlungen treffen keine Aussagen zu weitergehenden Maßnahmen, die dringend nötig für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Rohstoff Lithium sind. Dazu gehören einerseits Maßnahmen entlang unterschiedlicher Stufen der Lieferkette, wie die Reduktion des CO2-Fußabdrucks bei Verarbeitung und Transport. Andererseits sind Änderungen auf der Nachfrageseite zentral. Modelle der Kreislaufwirtschaft senken langfristig den Bedarf von Primärrohstoffen. Damit werden (potenzielle) negative menschenrechtliche Auswirkungen des Rohstoffabbaus präventiv reduziert.

Mit der Veröffentlichung der Qualitäts- und Handlungsempfehlungen hat die Projektgruppe Lithium ihr Mandat erfüllt und löst sich auf. Unabhängig davon wird Germanwatch sich weiter am Branchendialog Automobil beteiligen und die Umsetzung der Qualitäts- und Handlungsempfehlungen von den drei Unternehmen, die in der Projektgruppe mitgearbeitet haben, aktiv einfordern und kritisch verfolgen. Darüber hinaus erwarten wir von weiteren Mitgliedern aus dem Branchendialog, die Empfehlungen mitzutragen und in ihre Unternehmenspraxis zu integrieren.

Hintergrund:

Die Qualitäts- und Handlungsempfehlungen adressieren folgende Risikofelder:

  • Menschenrechtliche und umweltbezogene Folgeabschätzungen
  • Wasser- und Umweltmanagement
  • Einbindung von Rechteinhaber:innen
  • Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen und Umweltschützer:innen

Der Branchendialog Automobil ist eine Multistakeholder-Initiative im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Der Dialog wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) durchgeführt und besteht aus 34 Mitgliedern, darunter Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen, Initiativen, das Deutsche Institut für Menschenrechte und das BMAS.