Meldung | 01.12.2000

COP 6 - Kurzberichte und Impressionen von den Verhandlungen

Impressionen zur COP 6 im Jahr 2000

In den folgenden Kurzartikeln werden einzelne Aspekte der Verhandlungstage der sechsten UN-Klimaverhandlungen in Den Haag, Niederlande vom 13. - 24. November 2000 herausgegriffen und kommentiert.

Fulminanter Auftakt in Den Haag

Der Auftakt der Klimaverhandlungen in Den Haag war furios. Der designierte (und zwei Stunden später gewählte) Konferenzpräsident Jan Pronk beginnt die Konferenz mit Worten, die kaum klarer sein können. Ja, das Klima ändert sich. Ganz klar. Es hat sich schon immer geändert, aber noch nie hat es sich so schnell geändert wie heute. Was vor zehn Jahren noch eine Mutmaßung war, ist heute praktisch eine Gewißheit.

Nach ihm spricht Bob Watson, der Vorsitzende des weltweit angesehensten Wissenschaftlergremiums für Klimafragen, des IPCC. In der ihm eigenen, sonst selten festzustellenden Art dichter und schneller Rede stellt er Ergebnisse vor, die im kommenden Dritten Sachstandsbericht des IPCC enthalten sein werden.

Die Aussagen sind im Zeitverlauf dramatischer geworden. Hatte das IPCC im Zweiten Sachstandsbericht 1995 noch von einer Erwärmung bis 2100 von 1,0 bis 3,5 Grad gesprochen, revidiert der Dritte Bericht diesen Wert auf 1,5 bis 6,0 Grad (vor allem aufgrund der Reduktion von Schwefeldioxidemissionen in den USA und Entwicklungsländern). Das ist schlimm. Aber es wird noch schlimmer. Die Erwärmung fällt über der Landmasse stärker aus als auf den Ozeanen, etwa 10 bis 40 Prozent. Das bedeutet, daß es in 100 Jahren in gewissen Regionen um bis zu 10 Grad wärmer werden kann!! – das ist für diese, ohne übertreiben zu wollen, ein Katastrophenszenario, wenn man vor Augen hat, daß der Übergang von der Eiszeit in die heutige Warmzeit lediglich 5 Grad Temperaturdifferenz ausmachte.

Manfred Treber, 13.11.00
 

Saudi Arabien knochenhart, wenn’s um Flugverkehr geht

Eher zufällig, entgegen der Erwartungen und ohne richtige Ankündigung wurden am ersten Tag in Den Haag die Emissionen des internationalen Flugverkehrs behandelt. Ganz unscheinbar unter "Sonstiges" im wissenschaftlichen Nebenorgan SBSTA, Montag um 20.15 Uhr. Ein Vertreter der UN-Sonderorganisation für Zivilluftfahrt (ICAO) gibt einen knappen Bericht über den Arbeitsfortschritt der (ziemlich langsam arbeitenden) ICAO bei der Umsetzung der Arbeitsaufträge durch das Kyoto-Protokoll.

Doch er hat seine Rechnung nicht mit den Saudis gemacht. Sobald er seinen Bericht verlesen hat, wedeln sie mit ihrer Fahne und melden sich aufgebracht zu Wort. So ginge das nicht, daß irgendein Expertengremium berichtet – das wäre gegen alle Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie, völlig inakzetabel. Man müsse den von der ICAO verabschiedeten Bericht abwarten, bis man irgendetwas zur Kenntnis nähme. Das Papier müsse zurückgewiesen werden. Es müsse formal ins Protokoll aufgenommen werden, daß Saudi Arabien dies nicht akzeptieren könne. So geht es hin und her. Der saudi-arabische Delegierte Dr. Al Sabban meldet sich insgesamt sechsmal in dieser Sache zu Wort, seine Empörung steigert sich eher, als dass sie abnimmt, obwohl außer Harald Dovland, dem SBSTA-Chairman, die Schweiz und Großbritannien moderierend intervenieren. Der Wortwechsel zieht sich über 20 Minuten hin, bis Dovland ihn dadurch beendet, indem er ankündigt, es würden informelle Konsultationen geführt, deren Ergebnis kommenden Freitag vorgestellt werden sollen.

Auf Vorschlag von GERMANWATCH wird auf der Sitzung des Climate Action Network am folgenden zweiten Tag der Klimaverhandlungen, es ist der 14. November, der dritte Platz des "Fossil of the Day" an Saudi Arabien wegen seines destruktiven Auftretens in SBSTA bei der Behandlung des internatonalen Flugverkehrs verliehen. Die Auszeichnung "Fossil of the Day" wird täglich an Länder vergeben, die sich am jeweiligen Verhandlungstag im Kampf gegen den Klimaschutz besonders verdient gemacht machen. Die Gewinner werden täglich in ECO veröffentlicht.

Manfred Treber, 14.11.00
 

Den Haag nimmt den Klimagipfel kaum wahr

Wie war es noch beim letzten ganz wichtigen Klimagipfel (COP3) in Kyoto? Die Teilnehmer wurden bereits in 60 km Entfernung am Flughafen von Osaka mit Bannern und Hinweistafeln begrüßt. Als sie zur Bahn gingen, um nach Kyoto zu fahren, warteten freundliche Japaner an den Fahrkartenautomaten mit COP3-Plakaten, damit die Gäste aus dem Ausland nicht beim Lösen der Fahrkarte verzagen. In Kyoto selbst wurden die Andenkenläden, Hausfrauenvereinigungen bis hin zu den Verkehrsbetrieben mobilisiert. Die einen verkauften Postkarten mit COP3-Motiven, die anderen nähten 5000 Handtaschen aus Kleiderresten für die Konferenzteilnehmer, und die U-Bahn hängte in ihren Wagen Schilder mit Motiven zum Klimagipfel aus.

Und in Den Haag? In der Stadt ist von der großen UN-Konferenz auf den ersten Blick nichts zu spüren, der Bahnhof schmucklos und im Umbau wie sonst auch, die Straßenbahn vor dem Eingang des Konferenzzentrums muß der Besucher erst durch genaue Recherchen ausfindig machen. Man sagt, die Stadt hätte kein Budget vorgesehen, um die Öffentlichkeit auf den Klimagipfel aufmerksam zu machen.

Dabei hätten es die Niederlande als EU-Mitgliedsstaat dringend nötig. So progressiv die Regierung lange Zeit auf dem Verhandlungsgeschehen auftrat (mittlerweile ist das viel weniger zu spüren), so wenig zeigt sich das fordernde Auftreten in den Auswirkungen auf ihre eigenen Treibhausgasemissionen. Diese sind für europäische Verhältnisse hoch, sehr hoch. Und das, obwohl das Land nicht so sehr durch Schwerindustrie geprägt ist, obwohl es durch die hohe Siedlungsdichte auch das Problem im Verkehrssektor relativ leicht angehen könnte und die Energieversorgung nicht auf die klimaschädliche Kohle, sondern schon seit langem auf Erdgas als ein zentraler Energieträger eingestellt ist.

Doch sind die Emissionen pro Kopf nicht nur absolut hoch, sondern sie steigen auch noch stark! Dies steht ganz im Gegensatz zu den Reduktionsverpflichtungen durch das Kyoto-Protokoll - so, wie es die Europäische Union auf ihre Mitgliedsstaaten verteilte. Hoffentlich bewirkt diese schlechte Bilanz der Niederlande nicht, daß der Konferenzpräsident, der niederlandische Umweltminister Jan Pronk, auf ein löchriges Kyoto-Protokoll schielt, damit sein eigenes Land sich leichter davonmogeln kann.

Manfred Treber, 15.11.00
 

Absurdes Kabarett in Den Haag

Auf der COP6 werden abseits aller Schlupflochdiskussionen und Detailverhandlungen zur Konkretisierung des Kyoto-Protokolls auch rudimentär Punkte behandelt, wie die Umsetzung der zu beschließenden Klimaschutz-Verpflichtungen vorangetrieben werden kann – etwa durch das Ergreifen von Politiken und Maßnahmen (Policies and Measures, PAMs).

Dies geschieht aber nicht in einer Arbeitsgruppe gleichen Namens – eine solche wurde von den USA, Kanada & Co seit Kyoto mit großem Einsatz verhindert -, sondern in einer informellen Gruppe, die sich mit "best practices" im Klimaschutz befaßt. Die EU versucht beharrlich, dort auch die Thematik der PAMs anzubringen, jedoch mit bescheidenem Erfolg. Die Sitzungen dieser informellen Gruppe zeigen dabei absurde Züge, was vom Co-Chair Jose Romero wenigstens benutzt wird, diesem Theater durch entsprechende ironische Kommentierung diesen Charakter aufzuzeigen.

Es fängt damit an, daß er den zweiten Co-Chair aus Tansania entsprechend höflich begrüßt, als dieser 15 Minuten nach Beginn der Verhandlungen über den Text im Saal eintrifft. Fast freudig kommentiert er es, wenn dem bereits schon klammergespickten [1] Text (der weitgehend nur prozedurale Fragen anspricht) noch weitere Klammern hinzugefügt werden – was Romero später nicht davon abhält zu bemerken, daß gerade eine gute Stimmung wäre, um sich über offene Fragen zu verständigen. Etwa, wenn ein angedachter zukünftiger Workshop mit drei Optionen benannt wird - die Vorschläge lauten: [Ein] [Der erste] [Der nächste] Workshop. Die Entscheidung darüber kann nicht getroffen werden und wird möglicherweise auf das Ministersegment verschoben. Kabarett-artig wird Romero, als er auf die Frage von Kanada nach der Bedeutung eines soeben eingeführten (und sogleich eingeklammerten) Satzes antwortet, dieser stände in Klammern, weil wir ihn nicht verstünden. Kurz danach läßt er in seinen in Konferenzenglisch gehaltenen Ausführungen des deutsche Wort "Verschlimmbesserung" fallen, nicht ohne es kurz zu erklären. Als der Saudi, unser wohlbekannter Dr. Al-Sabban, gerade dabei ist, mit seinem Handy zu telefonieren, ruft Romero ihn auf und fragt ihn, ob dieser zustimmen könne.

Nach zwei Stunden ist die Zeit um, weitere Arbeitsgruppen warten. Es wurden doch einige Klammern in dem dreiseitigen Text beseitigt (und neue hinzugefügt). Morgen geht es weiter.

[1] In Verhandlungstexten (d.h. Entwürfen für zu verabschiedende Dokumente) sind alle Wörter oder Passagen, über die noch kein Konsens erzielt wurde, mit eckigen Klammern versehen. Ziel der Verhandlungen ist es folglich, am Ende einen klammerfreien Text zu haben, also ein Dokument, über dessen Inhalt Konsens besteht.

Manfred Treber, 16.11.00
 

Erste dramatische Entwicklungen im Verhandlungsgeschehen

Am vorletzten Tag der Arbeit der Kontaktgruppen, die zu einzelnen Themenfeldern den Konsens bezüglich der Verhandlungstexte vorantreiben und diese Texte den Ministern zur Entscheidung vorlegen sollen, kommt erstmals eine heftige Bewegung auf. Es betrifft die Kontaktgruppe zu Landnutzung und Wälder, welche die Frage der Senken behandelt – hier liegt die größte Gefahr für die ökologische Integrität des Kyoto-Protokolls.

Nach vielen Sitzungen und informellen Treffen legen die beiden Vorsitzenden ("Co-Chairs") am Freitagnachmittag erstmals einen neuen Text vor, der das in den letzten fünf Tagen von den Vertragsstaaten Gesagte reflektieren soll.

Nach einer kurzen Einführung des Textes durch den Co-Chair Halldor Thorgeirsson meldet sich Brasilien in Person von Gylvan Meira Filho zu Wort, der für die Gruppe der G77 und China (d.h. die Entwicklungsländer) spricht. Er verliert sich nicht lange in diplomatischen Formeln, sondern signalisiert ganz deutlich: Mit diesem Text, der in Erfüllung eines Wunsches der USA auf praktisch alle, auf über zwei Seiten formulierten Prinzipien der Vorgängerversion verzichtet, könne seine Gruppe nicht weiterarbeiten. Solange die Prinzipien nicht wiederaufgenommen würden, komme die G77 nicht mehr an den Tisch. Der Vertreter von China als folgender Redner unterstützt Brasilien vollständig in dieser Aussage und unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Einwands mit der Aussage, wenn der Text in der jetzigen Version seinem Minister vorgelegt würde, würde er sich eine neue Stelle suchen müssen. Nach weiteren Interventionen von Tuvalu und Peru, die in die gleiche Richtung weisen, versucht die USA Veständnis für den neuen Text der Co-Chairs zu schaffen. Ohne Erfolg.

Die Co-Chairs geben zu, einen Fehler gemacht zu haben, und versprechen, die Prinzipien wieder einzufügen. Die Zeit läuft, eine von 22 Uhr bis Mitternacht anberaumte weitere Sitzung der Kontaktgruppe wird gestrichen, damit die Zeit genutzt werden kann, den überarbeiteten Text zu erstellen, der bis Samstag früh fertig sein muß.

Manfred Treber, 17.11.00
 

Ökologe Chirac zeigt mit dem Finger auf US-Amerikaner

Die entscheidende Woche der – in den Worten des niederländischen Konferenzpräsidenten Pronk – am intensivsten vorbereiteten internationalen Umweltverhandlungen, die er jemals erlebt hat, begann mit zwei Reden von Staatsoberhäuptern, die des Premiers Wim Kok des Gastgeberlandes und die des französischen Präsidenten Jacques Chirac.

Beide Reden waren dazu angetan, die Delegierten daran zu erinnern, daß die ökologische Integrität des Protokolls nicht einer Einigung um jeden Preis geopfert werden sollte.

Besonders der französische Präsident überraschte mit einer umfassenden Analyse der globalen Lage. Dabei ging er praktisch alle Problembereiche – von der Ausbleichung der Korallen bis zur Gefahr des Versiegens des Golfstroms - und die Verursacher – vom Gebäudebereich bis zum internationalen Luftverkehr (Kerosinsteuer wurde erwähnt) - durch. Allein zur Atomkraft verlor er kein Wort.

Das Ganze war in einem Ton gehalten, daß ein französischer NRO-Vertreter danach meinte, wenn man nicht wüßte, wer er wäre, könne man ihn für den Vorsitz des weltweiten Climate Action Network vorschlagen. Einmal legte Chirac sogar alle diplomatischen Gepflogenheiten ab und nannte ein anderes Land beim Namen, als er feststellte, daß ein Amerikaner dreimal soviel CO2 ausstößt wie ein Franzose.

Er forderte von einer Entscheidung die Eigenschaften: Gerechtigkeit, Effektivität und Entwicklungsoffenheit; und stellte gegen Ende der Rede eine langfristige Konvergenz der Pro-Kopf-Emissionen als Aufgabe in Aussicht, die Frankreich vorschlagen sollte.

Manfred Treber, 20.11.00
 

Verwässerung des COP6-Ergebnisses wegen einer Handvoll nicht verfügbarer Übersetzer?

Der eigentliche Verhandlungsprozess bei COP6 mit Ministerbeteiligung verläuft schleppender, als die gute Atmosphäre der ersten Woche und die mutmachenden montäglichen Reden der Staatenlenker vermuten lassen.

Hat es doch über einen Tag gedauert, bis das Arrangement, unter dem verhandelt wird, klar ist. Erst Dienstag Abend, also mittendrin, als die 115 Minister ihre fünfminütigen obligatorischen Statements abgeben, und damit 24 bis 30 Stunden später als vorgesehen, ist es soweit. Konferenzpräsident Jan Pronk kommt in den Saal und unterbricht kurz das Fortsetzen der Ministerreden. Gerade hätten die wirklichen Verhandlungen begonnen, und da sie sich bis in die Nacht hinziehen würden, verkündet er, daß die Übersetzer ab 21 Uhr von hier zu den "wirklichen" Verhandlungen abgezogen würden. Die Minister müßten entweder schnell vortragen, oder eben nach 21 Uhr ohne Übersetzung. Es erhebt sich kein Widerspruch.

Gleiche Stelle, 21 Uhr. Soeben hat der russische Minister Bedritski in Russisch sein Statement abgegeben, die Übersetzer ziehen ab. Das englischsprachige Ghana ist an der Reihe, weitere 40 Länder warten noch. Als Ghana fertig ist, hat Rußland die Flagge zur Wortmeldung erhoben. Der russische Minister ergreift, nachdem er aufgerufen wurde, das Wort. Und äußert längere Zeit – ohne Übersetzung - in Russisch sein Anliegen (was die wenigsten verstehen, da sie kein Russisch können).

Der gerade amtierende Vorsitzende John Ashe gibt kund, er bedauere, nicht gut genug in der Schule aufgepaßt zu haben, aber er hätte es nicht verstanden. Libyen meldet sich und verlangt, die Sitzung auf den folgenden Tag zu verschieben. Spanien desgleichen. Ashe gibt insofern nach, daß er denjenigen Staaten, die nicht in Englisch vortrügen, in Aussicht stellt, dies am Mittwoch nachzuholen. Aber die Englischsprachigen sollen wenigstens heute dran kommen – kostbare Zeit fehlt für die Verhandlungen bereits jetzt. Ashe will nach diesem Vorschlag weitermachen, übersieht geflissentlich die Flagge Rußlands, ruft den nächsten Redner auf.

Aber er hat die Rechnung nicht mit den Russen gemacht. Sie rufen laut in den Saal, bis sie nicht mehr übersehen werden können. Geschäftordnungsantrag. Rußland will nicht tolerieren, daß in Englisch weitergefürt wird, das sei ein Problem der Veranstalter. Die Geschäftsordnung besagt, daß Übersetzung gegeben sein muß. Ashe weiß nicht weiter, bittet um Unterbrechung der Sitzung, um direkt mit Rußland zu verhandeln. 20 Minuten lebhafter Austausch in einer Menschentraube an der Stelle, wo Rußland sitzt. Dann geht Ashe zum Podium und erklärt, es ginge am Mittwochvormittag weiter.

Es sind also weitere drei Stunden Verhandlungszeit verloren, da lediglich zwei Sitzungen gleichzeitig stattfinden können. Werden sie am Ende fehlen, um die Beschlüsse mit größerer ökologischer Integrität auszustatten?

Manfred Treber, 21.11.00
 

Entwicklungsländer heute schon Opfer der Klimaänderung

Die Fortsetzung der Ministerreden am Mittwoch Vormittag machte den (relativ wenigen) Anwesenden klar, wie stark sich die Verwundbarkeit von Entwicklungsländern in verschiedenen Teilen der Welt bereits gegenwärtig manifestiert. Dies soll anhand einer Auswahl von Beispielen aus Ozeanien, Asien und Lateinamerika greifbar gemacht werden.

Teleke Peleti Lauti, der Minister des Inselstaats Tuvalu, des jüngsten Mitglieds der Vereinten Nationen, stellte geballt dar, in welcher Situation sich sein Land befindet. Die Ängste Tuvalus vor der Klimaänderung seien real. Die Insel liegt kaum über dem Meeresspiegel und ist so klein, daß ein Steinwurf die Insel überspannen könne. Sollte ein Zyklon die Insel treffen, gäbe es keinen Platz, wohin die Einwohner flüchten könnten. Die bisher durch extreme Wetterereignisse ausgelösten Schäden seien so gewaltig, daß sie sich der Beschreibung entzögen. Aus diesem Grund suche die Regierung bereits heute schon – so schwer es ihr fällt, da die Bürger sehr an ihrer Heimat hängen - Landflächen außerhalb ihres eigenen Territoriums (!), wohin die Bevölkerung flüchten könne, wenn ein Bleiben nicht mehr möglich ist. Trotz dieser Perspektive bemühe sich die Regierung, die örtliche Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen.

Angesichts solch einer eindringlichen Schilderung ist nur zu gut verständlich, wenn Tuvalu die Industrieländer vehement auffordert, den Verpflichtungen nachzukommen, die sie in Kyoto versprochen haben, anstatt Schlupflöcher zu generieren, um sich vor einer Treibhausminderung zu drücken.

Nado Rinchhen, Minister des Himalayastaates Bhutan, zeigte auch deutlich auf, wie sehr sein Land als Gebirgsregion gegenüber der Klimaänderung verwundbar sei. Leider nicht nur potentiell, sondern durch reale Erfahrungen mußte diese Aussage unterlegt werden. Dieses Jahr erfuhr Bhutan Überschwemmungen, wie es sie vorher noch nie erlebt hat. Um das Ausmaß der durch solche Ereignisse ausgelösten Schäden zu begrenzen, benötigt das Land ein Katastrophen-Frühwarnsystem. Als armes Entwicklungsland ständen dafür jedoch keine Ressourcen zur Verfügung.

Bittere Ironie ist dabei, daß Bhutan, wie der Minister feststellte, ein “kohlenstofffreies” Land sei, da es in den letzten Jahren viel mehr Wald angelegt und damit Kohlenstoff gebunden hätte, als es an fossilen Kohlendioxidemissionen ausstößt. Bhutan leidet also unter der menschgemachten Klimaänderung, ohne dazu beizutragen.

Auch Sergio Lavarreda, der Umweltstaatssekretär von Guatemala, betonte, wie sehr sein Land gegenüber der Klimaänderung verwundbar sei. Darunter seien jedoch nicht nur die bekannten direkten Folgen (wie z.B. Überschwemmungen) zu verstehen, sondern auch die indirekten Wirkungen eines Klimawandels: Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, auf die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung und die Ernteerträge. Kurzum: Die Klimaänderung verlangsamt nachhaltige Entwicklung.

Manfred Treber, 22.11.00
 

Der Pronk-Plan läuft an

Die Verhandlungen traten mit der Ankunft der Minister Anfang der zweiten Woche in eine neue Phase. Doch es hatte über einen Tag gedauert, bis der Konferenzpräsident Jan Pronk die Zustimmung der Vertragsstaaten zum weiteren Vorgehen erhielt. Danach wurden vier Arbeitsgruppen ("boxes A, B, C, D") gebildet, in denen verschiedene Themengruppen unter der Leitung von zwei ministeriellen Vorsitzenden ("Co-Chairs", jeweils einer aus dem Süden und dem Norden) behandelt wurden. Die ersten Ergebnisse ihrer Arbeit wurden den nicht unmittelbar Beteiligten (anderen Delegierten, nicht darin einbezogenen Staaten und den Beobachtern) in einer Plenarsitzung Mittwoch Abend gegen 21.30 Uhr vorgestellt. Der Tenor der Aussagen war, es hätten Fortschritte erzielt werden können, jedoch bräuchte man noch weitere Zeit.

Danach zog Pronk folgendes (überraschendes) Resumee: Er hatte erwartet, daß die vier Arbeitsgruppen allesamt kein nennenswertes Ergebnis erzielen würden, und hätte deshalb vorgeschlagen, selbst einen Text vorzulegen. Da die Atmosphäre jedoch so positiv sei, gibt er den Arbeitsgruppen weitere 10 Stunden, um die Verhandlungen fortzuführen. Die Berichterstatter sollten sich um 8.30 Uhr am Donnerstag bei ihm einfinden, um den Verhandlungsfortschritt zu kommunizieren. Danach würde er – noch am Vormittag – wieder ein Plenum einberufen.

Dies geschah auch: Die für 11.30 Uhr angesetzte Planarsitzung im kleinen Saal ist mit über 500 Anwesenden, die teilweise in den Fluren sitzen, brechend voll, so sehr, daß Befürchtungen feuerpolizeilicher Natur aufkommen. Zwei Minuten vor Mittag eröffnet Pronk die Sitzung, bittet um Berichterstattung über die erzielten Fortschritte. Diese fallen viel geringer aus. Vor allem die Gruppe C, die die Senken behandelt, ist völlig festgefahren.

So geht’s nicht weiter, stellt Pronk fest. Der Zeitpunkt sei erreicht, bei dem das bei der gegenwärtigen Verhandlungsstruktur Erreichbare maximal erreicht worden sei. Man hätte nur begrenzt Zeit, die Verhandlungen würden bis Samstag vollendet sein. Er schlägt deshalb vor, bis 14 Uhr einen eigenen Text zu entwerfen, den die Minister bei ihm persönlich im (kleinen) Büro abholen könnten. Ab 16 Uhr sei das Papier dann an der Dokumentenausgabestelle für alle erhältlich. Im weiteren könnten die Delegationen das Papier lesen, sich abstimmen und Positionen beziehen. Frühestens um Mitternacht würde ein nächstes Plenum tagen, wozu alle herzlich eingeladen seien. Trotz längerer Wortmeldungen der Vertragsstaaten wird der Vorschlag so angenommen.

Um 19.30 Uhr werden die Ankündigungszettel, daß der Pronk Text um Acht fertig wäre (der Zeitpunkt der Fertigstellung wurde zwischenzeitlich mehrmals verlängert), entfernt. Vermutlich wird man auf zehn Uhr verschieben, wird gemunkelt.

Seltsam wird es, als vier Security-Männer sich vor die Dokumentenausgabe stellen, nein aufbauen, als müßten sie die Goldreserven von Fort Knox sichern. Generalstabsmäßig werden drei Reihen gebildet, an denen sich die Abholenden anstellen sollen. Um 19.38 Uhr werden die Texte freigegeben. Die Nachricht verbreitet sich in Windeseile im Konferenzzentrum, nach fünf Minuten ist die Schlange schon 100 Personen lang.

Nicht um Mitternacht, sondern um 0.37 Uhr eröffnet Pronk die Plenarsitzung. Er betont gleich zu Beginn, dies würde - entgegen den Erwartungen vieler - ein kurzes Treffen werden (Gerüchte hatten bereits die Runde gemacht, daß sich die G77, angestoßen durch die OPEC, für ein Verschieben der Beschlußfassung auf nächsten Juni oder sogar noch später aussprechen würde). Er würde keine Positionen von Vertragsstaaten entgegennehmen. Es verblieben noch 36 Stunden bis zum Ende der Verhandlungen, und davon wären noch einige Stunden zum Ausruhen abzuziehen. Er möchte kurz sein Papier präsentieren, das mittlerweile 2200fach in Umlauf sei.

Dann fährt er mit einer großen Neuigkeit fort: Es sei nicht länger möglich, die Ende letzter Woche von den Nebenorganen an die COP geleiteten Texte fertigzustellen und durch diese anzunehmen - das war an sich das für COP6 anvisierte Ergebnis.

Stattdessen zielt er darauf ab, einen ausgewogenen Beschluß zu verabschieden, der den politischen Konsens umfaßt, damit die Vertragsstaaten die Ratifizierung in Angriff nehmen könnten. Die juristischen Texte könnten dann in späteren Schritten von den Nebenorganen und der nächsten COP erarbeitet werden.

Nach zwanzig Minuten beendet er die Sitzung durch den obligatorischen Hammerschlag, ohne andere zu Wort kommen gelassen zu haben.

Manfred Treber, 23.11.00
 

Vater des Kyoto-Protokolls zurück im Kern des Geschehens

Ein anfangs nicht ganz durchschaubares Kräfteringen fand auf der Sitzung der COP am Freitagmittag statt. Die Tagesordnung umfaßte außer den beiden Reden der Weltjugend und des Präsidents von Costa Rica lediglich vier kleinere, die Formalia betreffende Punkte. Auffallend war, daß COP-Präsident Pronk einen großen Bogen um den eigentlich als zweites zu behandelnden Punkt "Wahl der Mitglieder des COP-Bureaus" machte. Dies stand bereits am Montag auf der Tagesordnung, wurde jedoch vertagt. Erst als alles andere abgearbeitet war, wandte er sich dieser Frage zu, um mitzuteilen, daß immer noch keine vollständige Liste für die 10 zu besetzenden Plätze vorläge. Alle regionalen Gruppen bis auf eine hätten sich festgelegt – das Votum Asiens fehle noch. Deshalb wolle er die Entscheidung auf morgen verschieben. Er ist schon dabei, das Thema zu verlassen, als heftiges Klopfen zu hören ist.

Der Delegierte von Argentinien war übersehen worden, weil er, wie Pronk meint, hinter der UN-Flagge verborgen war. Der Argentinier Raul Estrada, Vater des Kyoto-Protokolls und frisch gekürter Preisträger des "CLIMATE IS BUSINESS e-wards", ergreift das Wort, nicht ohne mit dem ihm eigenen Witz zu bemerken, er würde erst in ein paar Jahren von einer Flagge bedeckt sein.

Er schlägt in Anlehnung an sonst übliche Verfahren vor, die bereits für die Kandidatur als Bureau-Mitglied feststehenden Personen schon jetzt zu wählen. Der Exekutivsekretär ergreift das Wort und schlägt vor, es wäre möglicherweise hilfreich, die Liste der Kandidaten vorzulesen, die bereits feststünden. Und tut dies. Unter den Genannten befindet sich auch Estrada. Außerdem werden die beiden Vorsitzenden der Nebenorgane für eine dritte Amtszeit vorgeschlagen, was einem Waver (d.h. Ausnahmeregelung) bedarf, da zwei Jahre die längste vorgesehene Zeit für den Vorsitz ist.

Pronk - scheinbar nicht ganz entschieden, was er will - meint, er würde gerne die Meinung der Vertragsstaaten hören. Estrada meldet sich nochmals: Geschäftsordnungsantrag. Er habe seinen Punkt soeben freundlich vorgetragen, aber er mache nun einen formalen Geschäftsordnungsantrag nach Artikel 34. Er fordere die Wahl in diesem Treffen. Es könne nicht angehen, daß die Unentschiedenheit einer Gruppe das ganze Verfahren aufhielte. Wenn sich der Präsident nicht an seinen Antrag hielte, müsse er sich einem Mißtrauensantrag stellen.

Pronk fordert die Staaten trotzdem auf, ihre Meinung in aller Kürze kundzutun. Nach vier Statements, die Estrada unterstützen, ist als letzter Dr. Al-Sabban (Saudi-Arabien) an der Reihe. Saudi-Arabien als Vorsitzender der asiatischen Gruppe meint, sie hätten sich zum einen noch nicht auf einen Kandidaten einigen können, zum anderen sind sie noch nicht entschieden, ob sie dem Waver zustimmen könnten. Sie bräuchten noch mehr Zeit zur Abstimmung, möglicherweise schon morgen früh könne er eine Entscheidung bekannt geben. Jetzt ist klar, wo die Blockierer sitzen.

Pronk ist nun sehr entschieden. Er schlägt die Wahl der vorgeschlagenen Kandidaten vor, einschließlich der Vorsitzenden der Nebenorgane, ohne auf den hängenden Beschluß zum Waver der asiatischen Gruppe zu achten. Ohne aufzusehen, fällt der Hammer mit einem sehr bestimmten "it is so decided". Die Bühne der internationalen Klimaverhandlungen hat nun also den Vater des Kyoto-Protokolls als maßgeblichen Akteur mit formaler Legitimation wieder.

Manfred Treber, 24.11.00, 14:00
 

Klimagipfel ist geplatzt

Kurz vor 12 Uhr Mittag am 25. November ist es schon fünf nach Zwölf. Verschiedene EU-Minister gehen einzeln aus der EU-Baracke, umschwärmt von einem Kameraschwarm, der wie eine Dampfwalze alles überrollt, was in der Richtung liegt, wohin der Minister geht.

Es ist vorbei. Nicht nur das Treffen der EU-Minister, sondern die Chance, daß ein substantielles Ergebnis von der COP verabschiedet wird. Eine Pressekonferenz um 14 Uhr soll näheres erläutern.

Dabei hatte es morgens um Acht noch recht gut ausgesehen. Die BBC meldete, daß ein Kompromiß gefunden wurde, die Minister hätten ihre Nachtsitzung gegen sieben Uhr, d.h. nur eine Stunde nach dem vorgesehenen Zeitpunkt, beendet.

Erste Verunsicherung kam auf, als der schwedische Minister gegen 10 gemeldet haben soll, daß es gescheitert sei. Dann der Paukenschlag um Mittag. Die großen bei Climate Action Network arbeitenden Nichtregierungsorganisationen (Greenpeace, WWF, Friends of the Earth und die Dachorganisation des NABU) halten kurz nach 12 schon, auf Tischen stehend, eine improvisierte Pressekonferenz. Aussage: Wegen des starren Verhaltens der USA, Australiens, Kanadas und Japans kam es nicht zu einer Einigung. Kurz danach plazieren sich zwei US-NGO (Environmental Defense, National Environmental Trust) fünf Meter daneben auf einen Tisch und verbreiten, die Europäer seien am Scheitern schuld. Währenddessen ruft Climate Action Network auf, nach draußen zu gehen, dort würde eine Protestaktion gestartet.

Der Medienschwarm eilt ins Freie. Was dort zu sehen ist, ist ergreifend. Die Reste der Deichmauer aus Sandsäcken um den künstlichen See vor dem Kongreßzentrum, die mehr als 5000 europäische Jugendliche vor einer Woche errichtet hatten, wird unter lautem, an- und abschwellenden Geheul von Sirenen von in Schutzkleidung verhüllten Menschen eingerissen. Der Deich ist gebrochen.

Zurück im Konferenzzentrum ist festzustellen, daß sich trotz des starken Rückschlags durch das Scheitern des Haager Klimagipfels die Niedergeschlagenheit der Hauptakteure relativ schnell fängt. Im informellen Ministersegment, das Pronk kurz nach zwei eröffnet, zeichnet der niederländische Umweltminister kurz den Verhandlungsgang der letzten Tage nach und wird dabei sogar lyrisch, indem er Gedichte zitiert. Um exakt 14.15 Uhr verkündet er dann vor den Delegierten, er müsse in der Tat sagen, daß keine Übereinstimmung erreicht werden konnte. Jetzt ist auch die letzte geringe Hoffnung dahin, daß noch irgendwie ein Kompromiß gefunden werden konnte.

Als erster Delegierter ergreift der als Vorsitzender des Nebenorgans SBI bestätigte John Ashe das Wort und meint, die hohen Erwartungen an COP6 dürften nicht sterben. Das neu gewählte Bureau würde deshalb vorschlagen, die Vertragsstaatenkonferenz nicht in Den Haag zu beenden, sondern sie lediglich zu unterbrechen und später nach sorgfältiger Vorbereitung fortzuführen.

Die folgenden Wortmeldungen unterstützen unisono diesen Vorschlag. Der Klimagipfel in Den Haag ist also gescheitert, COP6 hat noch Erfolgschancen.

Manfred Treber / Christoph Bals 25.11.00, 17:00