Meldung | 29.11.2022

Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz: Abschaffung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz wäre verantwortungslos

Klimaziele werden nicht erreicht, indem man sie abschafft
Titelseite des offenen Briefs

Gemeinsam mit zwölf weiteren Umweltorganisationen appelliert Germanwatch in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, die jahresscharfen Sektorziele im Klimaschutzgesetz sowie das Monitoring der Ziele nicht zu verwässern. Kanzler Scholz muss sich der Blockadehaltung im Klimaschutz von FDP und Bundesverkehrsminister Volker Wissing entgegenstellen, die die bestehenden Sektorziele abschaffen wollen.

Statt sich an geltende Gesetze zu halten, wollen Minister Wissing und die Rechtstaatspartei FDP das Klimaschutzgesetz durch die Abschaffung der Sektorziele lieber so weit entkernen, dass das klimapolitische Unterlassen im Verkehrssektor nicht mehr regelmäßig thematisiert wird.

 

 

 

 

 

 

 


Berlin, 29. November 2022

Offener Brief
Klimaziele werden nicht erreicht, indem man sie abschafft

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

im Wahlkampf haben Sie sich als „Klimakanzler“ bezeichnet. Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie erklärt, wer Führung bestelle, bekäme sie bei Ihnen. Heute schreiben wir Ihnen, weil es nun an der Zeit ist, dass Sie beim Klimaschutz Führung zeigen.

Anfang November hat der Expertenrat für Klimafragen (ERK) der Bundesregierung ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt: Wir sind, wie der Expertenrat gezeigt hat, auf einem Pfad, die im Klimaschutzgesetz (KSG) festgelegten Ziele für 2030 deutlich zu verfehlen. Während im Gebäudesektor vor wenigen Monaten ein erstes, wenngleich unzureichendes Sofortprogramm aufgelegt wurde, weigerte sich das Verkehrsministerium, seiner gesetzlichen Pflicht aus dem Klimaschutzgesetz nachzukommen. Minister Volker Wissing legt nach wie vor keine konsequenten, ambitionierten und wirkungsvollen Maßnahmen vor, mit denen das Sektorziel bis 2030 erreicht werden kann. Es ist und bleibt Wunschdenken, dass der Verkehrssektor schon dank der langsam anlaufenden Antriebswende ausreichend schnell und vollständig klimaneutral würde.

Statt sich an geltende Gesetze zu halten, wollen Minister Wissing und die FDP das Klimaschutzgesetz durch die Abschaffung der Sektorziele lieber so weit entkernen, dass das klimapolitische Unterlassen im Verkehrssektor nicht mehr regelmäßig thematisiert wird. Geltendes Recht zu ändern, um einen Rechtsbruch zu vertuschen, können wir nicht dulden. Damit wird nicht nur ein gesetzlich festgelegter Mechanismus – ein wirksames Sofortprogramm für den Verkehrssektor – blockiert und der fortlaufende Gesetzesbruch sehenden Auges in Kauf genommen, sondern auch die Umsetzung der Maßnahmenpakete aus den anderen Sektoren verhindert. Das ist klimapolitisch unverantwortlich.

„Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Doch gerade die erhebliche Zielverfehlung im Verkehr droht die Klimabilanz der gesamten Ampel-Koalition zu ruinieren.

Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich die politische Agenda grundlegend geändert. Die multiplen Krisen haben sich verschärft. Der beschleunigte Ausstieg aus Öl und Gas ist nun auch ein sicherheitspolitischer Imperativ. Ohne Wenn und Aber, wie Sie in Sharm El-Sheikh gesagt haben. Die Hälfte des deutschen Ölverbrauchs entfällt auf den Verkehrssektor. Die konsequente Weigerung der FDP und ihres Verkehrsministers, die Emissionen dieses Sektors wirksam zu reduzieren, sollte in einer „Fortschrittskoalition“ keinen Platz haben.

Das Klimaschutzgesetz mit seinen jahresscharfen Sektorzielen ist die klimapolitische Errungenschaft der SPD-Bundestagsfraktion und ihrer damaligen Umweltministerin Svenja Schulze in ihrer Zeit in der Großen Koalition. Es weist klare Verantwortlichkeiten zu, zwingt zur Transparenz und mit seiner Verpflichtung zu Sofortprogrammen bei Zielverfehlung auch zur Konsequenz.

Damit macht es Klimaschutz berechenbar, zuverlässig und zeigt für alle Sektoren planbare Transformationspfade auf. Darauf können Sie stolz sein. Erst letztes Jahr wurde das Klimaschutzgesetz im Eiltempo nachgebessert, weil das Bundesverfassungsgericht es aufgrund mangelnder Ambition für teilweise verfassungswidrig befand. Jeden Versuch, die jahresscharfen Sektorziele sowie das anknüpfende Monitoring in Frage zu stellen, lehnen wir kategorisch ab. Das Klimaschutzgesetz muss ganz im Gegenteilt ambitionierter werden – beispielsweise, indem in § 13 KSG verankert wird, dass Klimaschutzbelangen bei Entscheidungen von Behörden gegenüber anderen Belangen ein höheres Gewicht zukommt.

Die notwendigen, kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen im Verkehrssektor sind bekannt: Für eine Verkehrswende zugunsten einer klimaschonenden, sozial gerechten und sicheren Mobilität für alle braucht es ein besseres Bus- und Bahnangebot, sichere Rad- und Fußwege und ein echtes Bonus-Malus-System bei Neuzulassungen. Gleichzeitig muss Schluss sein mit den klimaschädlichen Subventionen im Verkehr.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, es ist nun an Ihnen, sich mit all Ihrer Kraft für eine Lösung dieser Blockade einzusetzen. Wir stehen für ein Gespräch hierzu jederzeit zur Verfügung.