Blogpost | 23.11.2022

Weltklimakonferenz in Krisenzeiten: Klimapolitik wurde nicht vom Tisch gefegt

Erste Analyse der COP27 in Scharm El-Scheich
Flagge mit dem Logo der UN-Klimakonferenz (COP) 2022

Am Sonntag, den 20. November 2022, endete die 27. Weltklimakonferenz in Scharm El-Scheich. Unsere erste Analyse blickt auf den Klimagipfel zurück, bewertet die Ergebnisse zu den wichtigsten Verhandlungsthemen – von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten über Minderung oder Anpassung bis zur Klimafinanzierung – und benennt die nun notwendigen Schritte in der internationalen Klimapolitik.

 

 

Einordnung und Überblick der COP27

Der Kampf um die Ressourcenrente von Öl und Gas in einer neuen Phase

Bereits 2021, in Glasgow noch unbeachtet, hatte sich eine deutliche Wende im Ölpreis abgespielt. Seit dem 24. Februar 2022, dem Start des neuen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, stiegen die Öl- und Gaspreise noch viel massiver an. Und gerade als die Öl- und Gaspreise im Herbst 2022 wieder etwas sanken, beschloss die OPEC+ im Oktober 2022 die gemeinsame Produktionsmenge deutlich zu senken. Die hohen Gas- und Ölpreise veränderten massiv den Rahmen für Investitionen im Energiesektor. Erstens waren damit Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz so wettbewerbsfähig wie nie zuvor. Zweitens ließ sich mit Öl und Gas nun so viel Geld verdienen, dass sich viele Länder mit entsprechenden Reserven fragten, ob sie nicht auch an diesem Goldrausch (in Bezug auf das schwarze Gold Öl oder Gas) teilhaben sollten. Drittens wurden so viele Einnahmen wie nie zuvor in die Taschen von Öl- und Gasunternehmen sowie -ländern weltweit gespült. Einiges davon wird wohl in eine Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells investiert. Viertens hat sich die Wettbewerbsfähigkeit von Kohle gegenüber Gas verbessert, sodass nun insbesondere in Asien viele Akteure in neue Kohlekraftwerke investieren wollen.

Angesichts dieser widersprüchlichen Ausgangslage stellt sich als Kernfrage der internationalen Klimapolitik: Kann die Bekämpfung dieser Energiekrise so angegangen werden, dass die Nachfrage nach Öl und Gas und damit die Energiepreise durch massive Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien weltweit sehr schnell sinken wird? Oder wird massiv in neue Lagerstätten investiert werden, um das Angebot zu erhöhen und so die Preise zu senken? In diesem Zusammenhang drängte die bange Frage in den Vordergrund: Wird diese COP zur Gas-COP?

Zugleich spitzte sich die Polarisierung zwischen China und den USA weiter zu. Mitte des Jahres kündigte China die bilaterale, hochrangige Klimakooperation auf.

Diese energie- und geopolitischen Turbulenzen ließen es ausgesprochen fraglich erscheinen, ob der Klimagipfel die Erwartungen der Weltgemeinschaft in die richtige Richtung koordinieren könnte. Das heißt, dass jetzt schon von Klimarisiken betroffene Menschen wirkungsvoll geschützt sowie eine massive Investitionswelle für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz losgetreten werden könnten. Ob es gelingen kann, das notwendige „Shifting the Trillions“ in die richtige Richtung zu lenken und damit die ohnehin dramatisch explodierte Verschuldung der meisten armen Länder nicht zu verschlimmern, sondern zu lindern?

Start des Gipfels: Zwei sehr unterschiedliche Signale

Die COP27 begann mit einem doppelten Paukenschlag. Zum einen erklärten sich die Industrieländer nach 15 Jahren der Blockade dazu bereit, ernsthaft über die Finanzierung von Schäden und Verlusten zu reden. Angesichts der langjährigen Blockade gab es jedoch auch bei vielen der besonders verletzlichen Staaten ein enormes Misstrauen, ob es sich hier um eine ernsthafte Bereitschaft oder um eine neue Finte handele.

Der zweite Paukenschlag: Insbesondere die Ölländer und großen Schwellenländer verhinderten, dass es einen Agendapunkt zum Thema „Shifting the Trillions“ (Pariser Klimaabkommen, Art. 2.1.c) gab. Dies steht im Widerspruch zu den Ergebnissen einer in Scharm El-Scheich vorgestellten Studie: Schon ab 2025 müssen jährlich US$ 2,4 Billionen investiert werden, um sowohl auf einen 1,5°C-Pfad zu kommen, Anpassung, Schäden und Verluste zu bewältigen als auch Naturkapital aufzubauen. Es muss also alles getan werden, um die Finanzflüsse in die richtige Richtung zu verschieben.

Relevante Entwicklungen während des Gipfels
  • Schon im High Level Segment zu Beginn des Gipfels war das klare Signal fast aller Staats- und Regierungschefs: die Klimakrise ist so ernst, dass die Fragen der Energie- und Klimasicherheit nicht dagegen ausgespielt werden dürfen, sondern zumindest mittel- und langfristig synergetisch gelöst werden müssen. Die ärmeren Länder müssen trotz der massiven Verschuldung dahingehend unterstützt werden, in Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und die Verbesserung der Böden investieren zu können. Einige sprachen auch Gas bzw. Öl an, etwa der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Ausrichter der nächsten COP.
  • Die Regierungschefs der USA und Chinas vereinbarten beim G20-Gipfel auf Bali ihren High-Level-Dialog zu Klima wiederaufzunehmen. Wenige Minuten später begannen hochrangige bilaterale Gespräche zwischen China und den USA auf dem UN-Klimagipfel.
  • Im Gipfelcommuniqué der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten, die für 80% der globalen Emissionen verantwortlich sind, gab es mehrere Paragraphen zum Klima. Dort waren sowohl das 1,5°C-Limit als auch Türöffner für die „Diversifizierung“ des Energiesektors (und damit ein Codewort für Gas) enthalten sowie das Bekenntnis, ein Ergebnis für „Loss & Damage“ in Ägypten zu erzielen. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch das Bekenntnis zu Reformen des Finanzmarkts.
  • Die verletzlichen Staaten bekamen während des Gipfels die klar vereinbarte Unterstützung der gesamten G77 (Zusammenschluss von Entwicklungsländern innerhalb der Vereinten Nationen) und China für ihre Top-Forderung eines „Loss & Damage“-Fonds. Erst als dies tatsächlich als Option im Text verankert war, wagten sie sich in den letzten 24 Stunden der COP27, auch Druck für einen 1,5°C-Pfad und ein sogenanntes „Phase-Down“ von Öl und Gas zu machen. Dieser Druck, verbunden mit Kooperationsangeboten, ist vor allem gegenüber den Öl- und Gasstaaten, China und anderen großen Schwellenländern, dringend notwendig.
„Shifting the Trillion“ in die falsche Richtung – aber nicht als Agendapunkt?

Was wir derzeit global erleben, ist tatsächlich ein „Shifting the Trillions“, aber hin zu den Öl- und Gasstaaten bzw. -unternehmen. Obwohl sich eine gewisse Diversifizierung der Investitionen dieser Akteure abzeichnet, ist der dominierende Trend jedoch eine Verlängerungsstrategie für die fossile Welt. Dies würde eine 1,5°C-Strategie schlichtweg torpedieren. Zugleich war klar, dass die EU und andere Industrieländer ohne Fortschritte beim Thema Klimaschutz und „Shifting the Trillions“ (2.1.c) nicht bereit sein würden, jetzt schon einem Fonds oder einer Finanzarchitektur für Schäden und Verluste zuzustimmen. Die Ausgangslage zu Beginn des Klimagipfels deutete also auf sehr schwierige Verhandlungen hin.

Viele Beobachter:innen fragten sich, warum die verletzlichsten Staaten in dieser Verhandlungsrunde nicht von Anfang an auch einen starken Fokus auf den Klimaschutz und das Verschieben der notwendigen Finanzströme setzten. Dies war eine taktische Entscheidung. Vermittelt durch Antigua und Barbuda hatten sie eine Abmachung innerhalb von G77 und China getroffen, dass alle Mitglieder der Gruppe auf diesem Klimagipfel als Top-Priorität einen Fonds für „Loss & Damage“ fordern würden. Dies wurde konsequent durchgehalten – und war die Grundlage dafür, dass die EU schließlich nicht nur einen Mosaikansatz mit einer Vielzahl verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten vorschlug, sondern dieses Mosaik auch die Einrichtung eines solchen Fonds vorsah. Um die einheitliche Unterstützung der G77 und China-Gruppe nicht zu gefährden, konnten etwa die kleinen Inselstaaten – bevor ihr Ziel im Text verankert war -, nicht parallel Forderungen unterstützen, die China und die Ölländer massiv unter Druck setzen würden.

Hochproblematische Rolle der ägyptischen Präsidentschaft bei der Verwässerung des Ergebnisses

Durch das Zusammenspiel der progressiven Industrie- und Entwicklungsländer gelang es, das Ambitionsniveau von Glasgow aus der letztjährigen COP in der Abschlussentscheidung wieder einigermaßen herzustellen. Die Zustimmung der Industrieländer zu einem Fonds zu „Loss & Damage“ im Verhandlungstext entfesselte schließlich auch die notwendige Unterstützung vieler verletzlicher Staaten, um die Tür zu einem 1,5°C-Pfad nicht zuzuschlagen. In den letzten Stunden wäre es sogar beinahe noch gelungen, nach dem langen Verteidigungskampf auch noch in die Offensive zu gehen. Doch dies wurde durch die ägyptische Präsidentschaft ausgebremst, die sich insgesamt durch Intransparenz und Einseitigkeit auszeichnete: Gut 80 Entwicklungs- und Industrieländer hatten am Ende einen Passus im Abschlussdokument gefordert, der auf ein sogenanntes „Phase-Down“ von Kohle, Öl und Gas drängte. Diesen Passus nahm die ägyptische Präsidentschaft jedoch nicht auf. Dagegen wurde im Energieteil neben den Erneuerbaren Energien auch der Einsatz von „Low Emission Technologies“ gefordert – obwohl nur Saudi-Arabien gemeinsam mit maximal einer Handvoll anderer Staaten dies gefordert hatte. Dieses Vorgehen erscheint als sehr wenig balanciert. Hinzu kam: Die Erklärung wurde schließlich als „Friss oder Stirb“-Dokument veröffentlicht; die Staaten hätten nur die gesamte Entscheidung ablehnen können, nicht aber einzelne Passagen.

Zentrale Ergebnisse des Gipfels

„Loss & Damage“-Fonds und -Architektur: 27 Jahre nach der ersten Forderung und 15 Jahren konsequenten Drucks zufolge gibt es nun die Bereitschaft, einen „Loss & Damage“-Fonds und eine weit darüber hinausreichende Unterstützungsarchitektur einzurichten. Ein gewaltiger diplomatischer Durchbruch. Damit wird endlich der Gerechtigkeitsskandal angepackt, dass die, die am existenziellsten unter der Klimakrise leiden, in aller Regel zu der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gehören, die insgesamt nur 10 % zum Problem beigetragen hat.

Die Klärung, welche Länder als „particularly vulnerable“ dazu berechtigt sind, von dieser neuen finanziellen Unterstützung zu profitieren, muss nach dieser Vorfestlegung noch weiter definiert werden. Das Geld soll also nicht mit der Gießkanne verteilt werden, sondern den besonders Verletzlichen zu Gute kommen. Diese Priorisierung ist sinnvoll, soweit sie nicht die ebenso Verletzlichen in anderen Ländern ungerecht ausgrenzt. Wichtig ist zur Bewältigung der Schäden und Verluste, dass es um neues, zusätzliches und vorhersehbares Geld gehen sollte.

Dabei wurde im Text kunstvoll der Weg zu Verhandlungen dafür gebahnt, dass nicht nur die Industrieländer, sondern auch andere dazu beitragen müssen – was natürlich vor allem auf China und die Ölländer abzielt. Es wird einerseits klargestellt, dass es um „expanding sources“ gehen soll; also nicht nur um diejenigen Quellen, die bisher zur Klimafinanzierung beigetragen haben. Andererseits handelt es sich um eine Doppelentscheidung: Zum einen in der Klimarahmenkonvention (COP) und zum anderen im Pariser Klimaabkommen (CMA). Bei solchen Doppelbeschlüssen ist das neuere Abkommen das rechtlich relevante – in diesem Fall also das Pariser Klimaabkommen. Das heißt, es gibt für den „Loss & Damage“-Fonds keinen Annex, der zwischen Entwicklungs- und Industrieländern unterscheidet. Zudem ist rechtlich durch den Verweis auf einen entsprechenden Paragraphen klargestellt, dass dieser Fonds nicht zu Kompensationsforderungen oder Haftungsansprüchen führen kann.

Wenn nun die neue Finanzstruktur schnell und substanziell handlungsfähig wird, kann dies zu einem erheblichen Vertrauensaufbau zwischen besonders verletzlichen Staaten und den ernsthaft finanziell beitragenden Staaten führen. Im nächsten Jahr wird die Frage eine zentrale Rolle spielen, ob und wie auch reiche Schwellenländer wie China oder die Ölländer verpflichtet werden sollen, hierbei einen Beitrag zu leisten, und welche innovativen Finanzierungsinstrumente genutzt werden sollen. Beispiele hierfür wären etwa eine Abgabe auf den internationalen Flugverkehr oder ein Abschöpfen massiver Gewinne der fossilen Industrie oder die zusätzliche Vergabe von Sonderziehungsrechte. Dieselben Fragen drängen sich nun auch für das neue gemeinsame quantifizierte Finanzierungsziel (New Collective Quantified Goal - NCQG) in den Vordergrund, welches bis Ende 2024 für die Zeit ab 2026 verhandelt wird.

1,5°C und Beschleunigung: Die klare Aufforderung, dass die gegenwärtige Krisenkaskade „should not be used as a pretext for backtracking, backsliding or de-prioritizing climate action” (Abschlussentscheidung, Art. 3), ist ein wichtiges Signal. Es wird darauf hingewiesen, dass die Folgen des Klimawandels bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5°C viel geringer sind als bei 2°C, und beschlossen, weitere Anstrengungen fortzuführen, um den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen (vgl. Abschlussentscheidung, I.7).

Damit das 1,5°C-Ziel in Reichweite bleibt, wird auf eine massive Beschleunigung gedrängt. „This requires accelerated action in this critical decade, on the basis of equity and the best available scientific knowledge“ (Abschlussentscheidung, IV.15). Diese Aussagen müssen auch als Interpretation dafür genutzt werden, wie die Niedrigemissionstechnologien zu verstehen sind, die ohne breite Unterstützung der Parteien im Text gelandet sind. Nach dem Wortlaut im entsprechenden Satz, müssen sie geeignet sein für „sofortige, tiefe, schnelle und nachhaltige Reduktionen der globalen Treibhausgasemissionen“ (Abschlussentscheidung, III.11). Der Aufschluss neuer Gasfelder kann nach diesen Kriterien jedenfalls nicht damit gemeint sein.

Erneuerbare Energien: Neue wichtige Impulse, die über das Ergebnis des letzten Klimagipfels hinausgehen, gibt es für die schnelle Transformation und den schnellen Ausbau Erneuerbarer Energien „in dieser kritischen Dekade“ (Abschlussentscheidung, III.12), also bis 2030. Deren massiver Ausbau wurde bislang noch nie in einer Abschlussentscheidung eines Klimagipfels gefordert – jetzt spielt er eine wichtige Rolle.

Reform des Finanzmarktes: Mindestens genauso relevant sind die sehr deutlichen Forderungen für einen grundlegenden Wandel des Finanzsystems, damit die notwendige Größenordnung der Finanzflüsse für Klimaschutz, Anpassung und „Loss & Damage“ freigesetzt werden können. Die Reform der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und anderer Entwicklungsbanken ist damit international mit viel Rückenwind aufs Gleis gesetzt – auch außerhalb des UNFCCC. Der Abbau von Verschuldung armer Länder und eine bessere Nutzung von Risikoinstrumenten kann den Schub für notwendige Investitionen bringen.

Gesamtbewertung

In einem geo- und energiepolitisch außergewöhnlich turbulenten und schwierigen Umfeld hat der Klimagipfel die Erwartungen wichtiger Stakeholder ein Stück weit dahingehend stabilisiert, dass die Klimapolitik auch in der gegenwärtigen Krisenkaskade nicht vom Tisch gewischt wird. Der Verteidigungskampf gegen die mancherorts vorherrschende Tendenz, aus Gründen der Energiesicherheit vermehrt in fossile Energien zu investieren, konnte einigermaßen erfolgreich geführt werden. Wie tragfähig diese Abstimmung von Erwartungen ist, misst sich daran, ob Klimaschutz, Anpassung und Eindämmung von Schäden und Verlusten dynamisch vorankommen. Sehr relevant dafür kann auch sein, ob das Instrument der „Just Energy Transition Partnerschaften“ (bislang mit Südafrika und Indonesien) oder der „Partnerschaften für 100% Erneuerbare Energien“ (unlängst mit Kenia) tatsächlich transformative Tendenzen unterstützen kann. Eine wichtige Rolle könnte zudem die in der Abschlussentscheidung angestoßene Reform des Finanzsystems spielen – sofern diese tatsächlich kommt.

Der Durchbruch für einen Fonds und eine Unterstützungsarchitektur zur Bewältigung von Schäden und Verlusten kann – jenseits von Kompensation und Haftung – eine wichtige Rolle für die Unterstützung der von der Klimakrise jetzt schon massiv Betroffenen spielen. Wenn deren Umsetzung gelingt, ist dieser Vorstoß ebenso wichtig für den Vertrauensaufbau zwischen konstruktiven Industriestaaten und verletzlichen Staaten: So können sie gemeinsam die Umsetzung von Klimaschutz, Anpassung und die Bewältigung von Schäden und Verlusten vor Ort und in den Verhandlungen voranbringen.

 

 

  1. Einleitung

Seitdem das Pariser Klimaabkommen und sein Regelbuch beschlossen wurden, ist die Kernaufgabe der internationalen Klimaverhandlungen, die Erwartungen der Nationalstaaten für die Umsetzung der drei zentralen Klimaziele (1,5°C und Resilienz sowie die Umschichtung der globalen Finanzströme, um die ersten beiden Ziele zu erreichen) zu koordinieren.

So war es dem Klimagipfel in Glasgow (COP26) im November 2021 gelungen, die Erwartungen in Richtung einer beschleunigten Umsetzung der Klimaziele zu lenken. Eine wichtige Rolle hat dabei der „Glasgow Climate Pact“ gespielt. Außerdem kündigten viele Staaten an, freiwillig ambitionierter zu handeln, um das 1.5°C-Limit in Reichweite zu halten. Es blieb jedoch weitgehend offen, an welchen Stellen diese Ankündigungen ernsthaft umgesetzt werden sollen und welche davon nur heiße Luft sind.

Vor diesem Hintergrund schien der gemeinsam mit der Afrikanischen Union von Ägypten organisierte Klimagipfel in Scharm El-Scheich (COP27) eine Riesenchance zu sein, nun auch die Dynamik für die unterstützte Umsetzung bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels und der Bewältigung von Schäden und Verlusten zu erhöhen. Liegt es doch geradezu im Überlebensinteresse der afrikanischen Staaten, einerseits erhebliche Unterstützung für die Anpassung und die Bewältigung der nicht mehr vermeidbaren Schäden und Verluste der Klimakrise („Loss & Damage“) zu organisieren und andererseits eine am 1.5°C-Limit orientierte globale Klimaschutzstrategie durchzusetzen.

Auch auf Seiten der Industrieländer zeichnete sich für die COP27 eine recht konstruktive Gesamtkonstellation ab: Auf der einen Seite eine EU, die im Jahr 2022 die Umsetzungspakete „Fit for 55“ für ihr Transformationsprojekt des European Green Deals verabschieden will. Auf der anderen Seite eine endlich wieder klimapolitisch konstruktive US-Regierung, der es gelungen ist, das große Umsetzungspaket („Inflation Reduction Act“) der Klimapolitik im Kongress und Senat durchzusetzen. Australien vor einer möglichen konstruktiven Wende. Rückenwind aus Neuseeland. Mit dem Instrument der „Just Energy Transition Partnerschaften“ (JET-P) gibt es zudem endlich auch die Option, die Umsetzung der Transformation gemeinsam mit wichtigen Schwellenländern partnerschaftlich und transformativ zu organisieren.

  1. Verhandlungsthemen

Lesen Sie hier alle Details über die einzelnen Verhandlungsthemen sowie unsere Einschätzungen dazu nach.

2.1 Minderung

2.2 Klimawandelbedingte Schäden und Verluste ▼

2.3 Anpassung ▼

2.4 Klimafinanzierung ▼

2.5 Globale Bestandsaufnahme/Global Stocktake ▼

2.6 Landwirtschaft ▼
 
  1. Ausblick

Der Kampf um die Ressourcenrente der fossilen Energieträger und der finanziell massiv untermauerte Lobbyeinfluss ihrer Interessensvertreter:innen wird sich im Jahr 2023 fortsetzen. Mit von hohen Energiepreisen prall gefüllten Kontos treten sie den Versuch an, die ökonomisch, nachhaltig und sicherheitspolitisch attraktiveren Erneuerbaren Energien ein letztes Mal auszubremsen. Die nächste COP Präsidentschaft – die Vereinigten Arabischen Emirate – hat schon beim „Leaders Summit“ der diesjährigen COP27 angekündigt, Öl und Gas solange bereit zu stellen, wie es nachgefragt wird. Auf der anderen Seite war das Land in den letzten 15 Jahren das progressivste Ölland bei den UN-Verhandlungen.

Es wird immer deutlicher, dass der zügige Ausbau von Erneuerbaren Energien nicht nur das Klima, sondern auch Demokratie und Menschenrechte tendenziell unterstützt. In vielen Ländern unterstützen fossile Energieträger autoritäre Regime bei ihrem Macherhalt oder antidemokratische Strukturen bei der Spaltung der Gesellschaft. Nicht nur die Klimakrise, sondern auch der russische Angriffskrieg und die brutale Reaktion auf die Proteste im Iran werden durch die Einnahmen aus fossilen Energieträgern befeuert. Somit sollten alle demokratischen Regierungen nicht nur aus Klimaaspekten, sondern ebenso aus demokratie- und menschenrechtsfördernder Perspektive den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern beschleunigen.

Zweideutiges Verhalten untergräbt die Glaubwürdigkeit der internationalen Energiewende. Wenn einerseits der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz beschleunigt wird, anderseits aber fossile Ausbauprojekte gefördert werden, gibt dies der fossilen Lobby argumentatives Futter. Beispielhaft ist hierfür der Wunsch von Bundeskanzler Scholz, neue Gasfelder im Senegal zu fördern. Deutschland sollte in den nächsten Wochen einen Prüfbericht vorlegen, der zeigt, dass die Bemühungen, russisches Gas zu ersetzen, weder hier noch bei den Exportländern mit den notwendigen Klimazielen kollidiert. Anstelle von neuen Gasfeldern sollten Länder den zügigen Ausbau von Erneuerbaren Energien fördern. Wo vorübergehend Gas nötig ist, um russisches Gas ersetzen zu können, sollten andere Länder beim massiven Ausbau von Erneuerbaren Energien und Effizienz unterstützt werden. So kann das freiwerdende Gas genutzt werden und neue Felder, die die Klimaziele torpedieren, müssen nicht erschlossen werden.

Der afrikanische Kontinent ist dabei tief gespalten bei der Frage um fossiles Gas. Attraktive Angebote können helfen, den Wunsch vieler Länder im Globalen Süden nach einem Zugang zu Energie für alle auf einem auf Erneuerbare Energien basierten Pfad zu unterstützen. Grüner Wasserstoff kann helfen, dem Industrialisierungswunsch in diesen Ländern nachzukommen. Ein solches Angebot in Form von „Just Energy Transition Partnerschaften“ (JET-P) hat Südafrika und Indonesien bereits zu mehr Ambition beim Kohleausstieg bewogen. Viel wird davon abhängen, welche Strahlkraft die Umsetzung der JET-Ps entfalten wird. Entscheidend ist dabei auch, dass die Zivilgesellschaft die JET-P-Prozesse eng begleiten kann. Für weitere JET-P-Kandidaten ist es wichtig, dass die jeweilige Zivilgesellschaft von den Erfahrungen aus Südafrika und Indonesien lernen kann.

Ein Signal für den Ausstieg oder zumindest das sogenannte „Phase-Down“ von allen fossilen Energieträgern sollte im Jahr 2023 möglich sein. Indien hat sowohl bei der COP26 in Glasgow als auch in Scharm El-Scheich den Vorschlag gemacht, nicht nur den Kohleausstieg explizit anzugehen, sondern dies für alle fossile Energieträger zu tun. Solange dies nicht die Priorität des „Phase-Down“ von Kohle infrage stellt, ist das ein sehr sinnvoller Ansatz. In seiner anstehenden G20 Präsidentschaft könnte Indien versuchen, dies mit Unterstützung anderer Länder gegen den Widerstand von Saudi-Arabien und Russland voranzutreiben. Deutschland kommt dabei mit der Deutsch-Indischen Wasserstoffpartnerschaft, der Deutsch-Indischen Energie- und Klimapartnerschaft und der erwarteten JET-P der G7 mit Indien eine besondere Rolle zu.

Die Klimafinanzierung muss bis Ende 2024 in eine neue Dimension vorstoßen. Die nicht mal erfüllten jährlichen 100 Milliarden US-Dollar treten gegenüber den Bedürfnissen des Globalen Südens viel zu kurz. Die Reform der internationalen Finanzarchitektur bietet dafür kurz- und mittelfristige Lösungen. Innovative Finanzinstrumente, die Geld der Verursacher, sprich der fossilen Energiebranche, abschöpfen, könnten eine wichtige Rolle spielen.

Erste Meilensteine stehen noch dieses Jahr an. Die Weltbank ist von Anteilseignern aufgefordert, bis Ende des Jahres einen Reformplan vorzustellen. Nach Willen des französischen Premierministers Macron sollen die Institutionen schon bis zur Frühjahrstagung Reformvorschläge vorlegen, die auf der Bridgetown Agenda der Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, aufbauen. Im Juni wird Macron einen Gipfel für einen neuen Finanzpakt mit dem Globalen Süden veranstalten. Im Zentrum werden die Nutzung von Sonderziehungsrechten, die Reform internationaler Finanzinstitutionen und „Loss & Damage“ stehen.

„Loss & Damage“ wird auch 2023 die klimapolitischen Verhandlungen entscheidend mitprägen. Der neue geschaffene „Übergangsausschuss“ hat eine Fülle schwieriger Fragestellungen für die Operationalisierung des Fonds bis Ende 2023 zu beantworten. Produktive Zusammenarbeit kann Raum schaffen für neu gewonnenes Vertrauen. Bei der COP27 kam die High Ambition Coalition (HAC), die die Trennung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern überwindet, erst sehr spät zum Einsatz. Ziel sollte es im Jahr 2023 sein, dass eine Allianz progressiver Länder frühzeitig, sogar schon im Lauf des Jahres, aktiv wird. Neben der EU sind dies die neuen Regierungen in Lateinamerika – Brasilien, Chile und Kolumbien, wovon zwei in der Verhandlungsgruppe AILAC sind –, die Inselstaaten (AOSIS) sowie die am wenigsten entwickelten Länder (LDC).

Autor:innen

Christoph Bals, David Ryfisch, Petter Lydén, Kerstin Opfer, Martin Voß, Lina Ahmed, Lisa Schultheiß, Bertha Argueta, David Eckstein

Ansprechpersonen

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Politischer Geschäftsführer

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Bereichsleiter Zukunftsfähige Finanzflüsse

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Bereichsleiter Internationale Klimapolitik

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Referentin Energiepolitik & Zivilgesellschaft - Afrika

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Referent für Klimadiplomatie und Kooperation – Asien/China

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Referentin für Umgang mit Klimaschäden und -verlusten

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Referentin für Klimarisikomanagement und Schäden & Verluste

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Referentin für Klimafinanzierung und Entwicklung

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Referent für Klimafinanzierung und Investitionen