Branchendialog Automobil: Beschwerdemechanismus in Mexiko braucht deutlich stärkeres Engagement von Unternehmen
Berlin (22. Sep. 2022). Anlässlich des Fachtages „Branchendialog Automobilindustrie – Lieferketten fair gestalten“ am 27. September ziehen die beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrer heute veröffentlichten Stellungnahme ein gemischtes Resümee. Der Fachtag soll die Umsetzung der im Branchendialog entwickelten Pilotprojekte einläuten. Insbesondere der Aufbau eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus in Mexiko hat einen wichtigen Pilotcharakter. Wie die anderen Pilotprojekte des Branchendialogs auch benötigt er aber noch mehr verbindliche Zusagen, insbesondere seitens der relevanten Industrieakteure.
Der Beschwerdemechanismus soll es Betroffenen in den Lieferketten deutscher Automobilhersteller ermöglichen, tatsächliche und potenzielle Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Mexiko zu melden sowie Unterstützung bei der Aufklärung und Zugang zu Abhilfe zu erhalten. „Der Beschwerdemechanismus ist ambitioniert und hat die Chance, die Menschenrechtssituation entlang deutscher Auto-Lieferketten in Mexiko zu verbessern. Bisher haben aber gerade mal eine Hand voll der über 20 Unternehmen des Branchendialogs verbindlich zugesagt sich am Beschwerdemechanismus zu beteiligen. Um seine volle Wirkung zu entfalten, müssen sich alle relevanten Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen dahinter stellen sowie Politik und Industrie eine langfristige Finanzierung über 2023 hinaus sicherstellen“, fordert Lara Louisa Siever, Referentin für Rohstoffpolitik, Wirtschaft und Menschenrechte der am Branchendialog beteiligten entwicklungspolitischen Organisation INKOTA.
Die deutsche Automobilindustrie ist ein wesentlicher Akteur in Mexiko: Das Volkswagen Werk in Puebla ist das größte Automobilwerk in Mexiko, daneben unterhalten deutsche Automobilzulieferer wie Benteler, Dräxlmaier und Continental eigene Werke in Mexiko. Somit hat die deutsche Automobilindustrie gemeinsam eine große Verantwortung und viel Einflussvermögen auf die automobile Lieferkette in Mexiko.
„Die deutsche Automobilindustrie ist mitverantwortlich für diverse Fälle von Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette in Mexiko. Einige dieser Fälle wurden bisher nicht wiedergutgemacht - dafür fordern die betroffenen Bevölkerungsgruppen Abhilfe.“ sagt Eduardo Villarreal, Koordinator für Analyse und Advocacy beim Projekt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ProDESC) aus Mexiko. Der Koordinator von ProDESC betont: "Deutsche Unternehmen müssen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in ihren gesamten Lieferketten in Mexiko umsetzen, um damit die negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten vorzubeugen und zu beseitigen. In dieser Hinsicht ist es wichtig, dass sich mehr deutsche Unternehmen dem Beschwerdemechanismus anschließen, weil dieser zur umfassenden Wiedergutmachung beitragen kann“ erklärt Villarreal. ProDESC begleitet gemeinsam mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aus Mexiko seit fast zwei Jahren kritisch die Entwicklung des Beschwerdemechanismus.
„Die Stärke dieses Beschwerdemechanismus ist, dass er die gesamte Lieferkette umfassen wird, von der Gewinnung der Rohstoffe in Mexiko bis hin zur Fertigung der Autos in den eigenen Werken der beteiligten Unternehmen in Mexiko. Damit wird Rechteinhaber*innen eine Alternative zu noch nicht ausreichend wirksamen unternehmensinternen Beschwerdemechanismen geboten - das erhöht die Unabhängigkeit und schafft Vertrauen“ kommentiert Anton Pieper, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte der am Branchendialog beteiligten Organisation WEED.
„Die Entwicklung wirksamer Beschwerdemechanismen ist nicht zuletzt wichtig vor dem Hintergrund des Lieferkettengesetzes in Deutschland und der geplanten Sorgfaltspflichtenregulierung auf EU-Ebene“ kommentiert Irene Knoke, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Institut SÜDWIND, welches am Branchendialog beteiligt ist. Das Konzept für den Beschwerdemechanismus in Mexiko haben die beteiligten Akteur*innen aus Industrie, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft im Juni 2022 gemeinsam beschlossen. „Wir dürfen jetzt nicht mehr hinter den bestehenden Vereinbarungen zurückfallen und müssen uns in den kommenden Monaten gemeinsam für eine ambitionierte Umsetzung des Pilotprojektes einsetzen“ so Knoke weiter.
Hintergrund:
Im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) führt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Branchendialoge durch. Ziel der Dialoge ist es, Unternehmen in Branchen mit besonderen menschenrechtlichen Herausforderungen Orientierung zu bieten und sie dabei zu unterstützen, die NAP-Anforderungen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht angemessen umzusetzen. Der Fachtag „Branchendialog Automobilindustrie – Lieferketten fair gestalten“ am 27.09. läutet den Übergang in die zweite Stufe des Prozesses ein.
In der ersten Stufe des mehr als 2-jährigen Multi-Stakeholder-Prozesses wurden gemeinsam Handlungsanleitungen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch Automobilunternehmen sowie neben dem Beschwerdemechanismus in Mexiko weitere Pilotprojekte zu Lithium und Kupfer entwickelt. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen Germanwatch, INKOTA, Südwind, Transparency International Deutschland und WEED haben an der Entwicklung mitgewirkt und unterstützen diese Ergebnisse.