Blogpost | 30.03.2022

Jetzt an zentralen Verzweigungspunkten den richtigen Weg einschlagen

Blogbeitrag von Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, als Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine
Bild: Europkarte

In Krisenzeiten wird die Politik „flüssig“. Vieles, was in „normalen“ Zeiten als scheinbar unverrückbar verankert ist, wird dann plötzlich infrage gestellt. Neue Wege erscheinen auf einmal begehbar, neue Richtungen werden möglich. Krisen bergen damit immer große Risiken, aber auch Chancen für die Politikgestaltung – vor entsprechenden Weichenstellungen stehen Deutschland, die EU und die Weltgemeinschaft derzeit.

Wird der russische Krieg gegen die Ukraine die Klimapolitik beschleunigen oder bremsen?

Der jüngst vorgelegte Teilbericht des Weltklimarats hat deutlich darauf hingewiesen: Damit die künftigen Auswirkungen des Klimawandels überhaupt noch bewältigt werden können, müssen die globalen Emissionen so schnell wie möglich auf netto null sinken. Aber im Kontext des Kriegs gegen die Ukraine ist der Gaspreis weltweit explodiert, der Kohlepreis hingegen nur relativ bescheiden gestiegen. Deshalb liebäugeln nun viele Staaten weltweit, wieder neu in Kohle zu investieren. Zugleich stieg eben der Preis für alle fossilen Energien, anders als für Wind- und Sonnenenergie. Mit entsprechender Flankierung – etwa durch Entwicklungsbanken – könnte jetzt der Umstieg auf Erneuerbare Energien deutlich schneller erfolgen als bisher geplant. Zumal die Ukraine-Krise zeigt, dass auch geopolitische Stabilität und Versorgungssicherheit wichtige Gründe für massiv beschleunigte Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sind. Kurzfristige Krisenmaßnahmen zur Sicherung der Energiesicherheit sollten deshalb so angelegt sein, dass sie zugleich mittelfristig den Pfad zu mehr Klimaschutz beschleunigen.

Werden als Konsequenz des Krieges gegen die Ukraine die Menschenrechte im Welthandel und entlang globaler Lieferketten in den Vordergrund gestellt oder an den Rand gedrängt?

Der Krieg gegen die Ukraine zeigt, wie problematisch es ist, sich mit Menschenrechtsfragen zu wenig und zu spät zu befassen. Russland ist ein typischer Fall eines vom Ressourcenfluch gezeichneten Landes, in dem nur eine kleine Elite von den Rohstoffeinnahmen profitiert, während diese Schicht von immer autoritärerem Regierungshandeln geschützt wird und der Schutz der Menschenrechte der anderen immer mehr unter die Räder kommt. Der konsequente Schutz der Menschenrechte in Lieferkette und Handel stärkt hingegen die Resilienz von Gesellschaften gegen die autoritäre Versuchung. Dennoch wollen nun manche Akteur:innen bei der Lieferung von Rohstoffen und Energie die Umsetzung der Menschenrechte in der Lieferkette und im Welthandel als Gedöns an den Rand drängen – jetzt gehe es darum Energie- und Rohstoffsicherheit zu gewährleisten. So hat die Europäische Volkspartei (EVP) einen Änderungsantrag eingereicht, um ein EU-Lieferkettengesetz zu blockieren. Wer eine Welt auf der Basis von Völkerrecht und Menschenrechten aufbauen will, muss das Gegenteil tun. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der EU, den Europäischen Green Deal so weiterzuentwickeln, dass wir mit unserer Art des Wohlstands, unserer Lebens- und Wirtschaftsform nicht länger die ökologischen Lebensgrundlagen und Rechte der Menschen in Produktions- und Anbauländern untergraben; dass wir nicht länger bedenkenlos autoritäre Regierungen finanzieren. Wir brauchen stattdessen eine Strategie, wie wir Jahr für Jahr das Risiko für Mensch und ökologische Mitwelt reduzieren, statt es zu steigern.

Wird die G7 unter deutscher Präsidentschaft solidarisch auf die wachsende Hungerkrise – vor allem in Afrika – reagieren oder die Solidarität aufkündigen?

Die Außenminister:innen der EU haben in den letzten Wochen viele Stunden am Telefon verbracht und ihre Amtskolleg:innen etwa in Afrika, Lateinamerika und Asien zur Solidarität mit der Ukraine und einer Verurteilung der russischen Aggression aufgefordert. Häufig war die Antwort: „Wo ist und war denn Eure Solidarität in unseren verschiedenen Krisen? Wieso steht Ihr beim Zugang zum geistigen Eigentumsrecht für Corona-Impfstoffe auf der Bremse? Wo ist Eure Unterstützung in der neuen Hungerkrise, die sich bereits seit zwei Jahren durch Klima- und Corona-Krise zuspitzt und jetzt durch den Krieg gegen die Ukraine nahezu explodiert?“ Als Resultat einerseits von Russlands Krieg in der Ukraine und anderseits der Konsequenzen von durch die Klimakrise ausgefallenen Regenzeiten etwa am Horn von Afrika, wird eine große Ernährungskrise zu einer Bewährungsprobe für die internationale Solidarität, die die G7 gerade weltweit einfordert. Deutschland sollte einen vom Außenministerium geleiteten Krisenstab mit Beteiligung der Entwicklungs- und Landwirtschaftsministerien aufbauen. Als G7-Präsidentschaft liegt es in der Hand von Deutschland, eine gemeinsame großangelegte Solidaritätsaktion der reichsten Industrienationen zu organisieren. Sie können zeigen, dass Menschenrechte auch dann das höchste Gut sind, wenn es um den Schutz der anderen geht. Alles andere wäre ein Versagen.

Wohin geht die Reise?

Weichenstellungen der nächsten Wochen und Monate beeinflussen massiv, in welcher Welt wir alle in den nächsten Jahrzehnten leben werden. Eine Welt, die von der Klimakrise dominiert ist oder in der diese eingedämmt wird; in der das Recht des Stärkeren oder die Stärke des Rechtes dominiert; in der immense Krisen im Konflikt miteinander oder gemeinsam miteinander angegangen werden.

Unser politisches Engagement kann bei diesen Weichenstellungen einen entscheidenden Unterschied machen.

 

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