Meldung | 07.03.2022

Umweltverbände fordern klaren Ausstiegsplan aus Erdgas

Offener Brief an Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
Logoteppich 7.3.2022

Erdgas ist ein fossiles Gas, das den Klimawandel anheizt. Um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen, müssen wir neben dem beschleunigten Kohleausstieg zunehmend auch das Aus von Erdgas organisieren. Die aktuell durch Putin ausgelöste geopolitische Krise macht dabei noch deutlicher, dass wir unsere Energiesouveränität und Resilienz deutlich erhöhen müssen. Gemeinsam mit mehreren Umweltverbänden fordert Germanwatch in einem offenen Brief an Klima- und Wirtschaftsminister Habeck klare und verbindliche Leitplanken für einen Erdgasausstieg und skizziert, was dieser Ausstiegsplan beinhalten müsste.


Offener Brief

Deutschland braucht einen verbindlichen Ausstiegsplan aus fossilem Gas 


Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck, 

wir müssen gerade das Unvorstellbare erleben: einen brutalen Angriffskrieg in unserer Nachbarschaft. Das Leid ist unermesslich und viele unserer Organisationen haben Kolleg:innen in der Ukraine. Ihnen wie auch den, durch staatliche Repression bedrohten, Kolleg:innen in Russland gilt unsere volle Aufmerksamkeit und Solidarität. Nichts ist jetzt wichtiger, als diesen Krieg so schnell wie möglich zu stoppen. 

Diese Zeitenwende stellt vieles in Frage und sortiert die Prioritäten neu. Versorgungssicherheit und Klimaschutz müssen ab sofort Hand in Hand gehen. Maßgeblichen Anteil an dieser Klimakrise hat die Verfeuerung fossiler Importe aus Ländern wie Russland, die mit diesen Einnahmen Kriege wie den gegen die Ukraine finanzieren. Daher muss es aus klima-, wie auch aus friedenspolitischer Perspektive oberste Priorität haben, uns aus der Abhängigkeit solcher Importe zu lösen. Kurzfristig ist die Diversifizierung der Importe sicher ein wichtiger Schritt. Mittelfristig muss die Abhängigkeit von den Importen fossiler Energieträger schnellstmöglich beendet werden. Im Zentrum werden hier neben dem Ausbau erneuerbarer Energien insbesondere eine intensive Steigerung der Energieeffizienz und auch eine ehrliche Suffizienz-Politik zur Steigerung der Energieeinsparungen stehen müssen.   

Entgegen den Äußerungen einiger Landespolitiker:innen liegt die Lösung also nicht in einem verzögerten Kohleausstieg, der alle Klimaschutzbemühungen der letzten zehn Jahre zunichte machen würde, sondern in der maximalen Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus erneuerbarer Energien, verbunden mit einer deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs. Zugleich brauchen wir robuste und belastbare Pfade, unseren Verbrauch von Kohle, Öl und Gas schnellstmöglich zu beenden. Dafür braucht es neben dem Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 auch endlich klare politische Leitplanken für den Gasausstieg. 

Erdgas wird im Koalitionsvertrag als Brückentechnologie bezeichnet. Leider fehlt bislang ein klarer Ausstiegspfad hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien, der über den Stromsektor hinaus geht. Damit durch diese Ungenauigkeiten das Label der Brückentechnologie nicht in Greenwashing fossiler Geschäftsmodelle und letztendlich in einem Lock-In einer Erdgasversorgung endet, muss die Politik jetzt einen klaren Plan für einen Erdgasausstieg im Strom- und Wärmebereich sowie für die Industrie definieren. Dieser muss folgende Elemente enthalten: 

  • Ein verbindlicher Ausstieg aus fossilem Gas bis spätestens 2040, im Stromsektor bis spätestens 2035. Parallel zum verbindlichen Ausstieg aus Gas, muss der Hochlauf hin zu 100% erneuerbaren Energien im Jahr 2035 im Stromsektor durch mehr Tempo sowie Investitionen erfolgen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und von fossilen Energieträgern unabhängig werden zu können.
     
  • Die in Europa existierenden LNG Kapazitäten reichen für kurzfristige Diversifizierungen vollständig aus. Die langen Bauzeiten lassen keine kurzfristige Diversifizierung zu. Mittelfristige Investitionen sollten deshalb gezielt Wasserstoffprojekten dienen. Ein Neubau von LNG-Terminals in Deutschland würde dagegen zu einer weiteren fossilen Pfadabhängigkeit führen. Deshalb darf es keine staatlichen Garantien für den Bau von LNG-Terminals geben. Die öffentliche Förderung muss sich auf den Aufbau von Wasserstofftransport- und Importinfrastrukturen, sowie Wasserstofferzeugung konzentrieren. Zugleich sollte es das Ziel der Bundesregierung sein, die deutsche und europäische Abhängigkeit von Energieimporten in einem klimaneutralen Energiesystem zu verringern.
     
  • Eine verpflichtende Prüfung erneuerbarer Alternativen beim Neubau von Erdgaskraftwerken. Der Neubau von Gaskraftwerken muss auf das technisch und planerisch notwendige Minimum begrenzt werden. Dies setzt einen transparenten Szenariorahmen und die bevorzugte Nutzung von Flexibilitätsoptionen sowie den schnellen Ausbau der wasserstoffbasierten Stromspeicherung, über den Probebetrieb hinaus, voraus.
     
  • Eine klare und mit der Klimaneutralität kompatible Definition des im Koalitionsvertrag benannten Konzepts der „H2-Readiness“, als Voraussetzung für den Neubau von Gaskraftwerken.
     
  • Eine Begrenzung der Betriebsgenehmigungen für fossile Kraftwerke im Einklang mit den Klimazielen. Eine entsprechende Studie der Stiftung Klimaneutralität zeigt die Relevanz und Machbarkeit für eine Begrenzung der Betriebsgenehmigungen für fossile Kraftwerke auf.
     
  • Eine Begrenzung der jährlichen Volllaststunden fossiler Gaskraftwerke, damit fossiles Gas nur zur Absicherung für erneuerbaren Strom und nicht als Grundlast zum Einsatz kommt.
     
  • Beschleunigung der Gebäudeeffizienzsanierung, insbesondere bei Quartierssanierungen von Nachkriegsgebäuden, um hohe Einsparpotenziale schneller zu heben.
     
  • Die schnellere Anhebung der Neubaueffizienzstandards und der proaktiven ordnungsrechtlichen Einführung von Mindesteffizienzstandards für Gebäude.
     
  • Den Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen einleiten. Dazu gehören: Ein sofortiger Förderstopp von Gasheizungen und ein schnellstmögliches Einbauverbot für neue Öl- und Gasheizungen. Dafür müssen bestehende Gas und Ölheizungen schrittweise durch erneuerbare Wärmeerzeuger ausgetauscht werden. Dafür nötig ist eine Ausbauoffensive für Wärmepumpen und Solarthermieanlagen.
     
  • Die schnellstmögliche Beendigung der KWK-Förderung für fossiles Gas und die Einführung einer Förderung von erneuerbaren Alternativen (große Wärmepumpen, Solarthermie, Geothermie, Abwärmenutzung).
     
  • Die zügige Umrüstung auf und den Neubau von kalten Wärmenetzen, damit die Nahwärmeversorgung über erneuerbare Energiequellen möglich wird.
     
  • Die sofortige Neubewertung der langfristigen Infrastruktur-Weichenstellungen über den derzeit in Entwicklung befindlichen Netzentwicklungsplan Gas und Ausrichtung der Um- und Ausbauplanung an den Klimazielen.
     
  • Wirksame Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, um die hochgradig schädlichen Methanemissionen in der Zulieferkette schnellstmöglich zu begrenzen, z.B. durch die Einführung einer Importabgabe auf Methan und zeitgleich sukzessive sinkende Maximalemissionswerte.
     
  • Die entschiedene und aktive Ablehnung der Aufnahme von fossilem Gas und Atomenergie in die EU-Taxonomie.

Ein solcher ambitionierter Ausstiegsplan aus dem Energieträger Erdgas muss flankiert werden durch Maßnahmen für mehr Energieeffizienz und einem schnelleren naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur so kann eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern im Strom-, Wärme- und Industriesektor erreicht werden. 

Für ein weiterführendes Gespräch stehen wir gern zur Verfügung. 

Mit freundlichen Grüßen 

Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident, DNR 

Yvonne Zwick, Vorsitzende, Baum e.V. 

Arne Fellermann, Abteilungsleitung Klimaschutz, BUND 

Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin, BNW 

Hermann Ott, Leiter des deutschen Büros, ClientEarth 

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer, DUH 

Carolin Schenuit, Geschäftsführende Vorständin, FÖS

Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, Germanwatch 

Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand, Greenpeace 

Irene Mörsch, Vorsitzende Katholikenrat, Düren 

Daniela Ordowski, Bundesvorsitzende, KLJB 

Martina Bergk, Geschäftsführerin, Life Bildung Umwelt Chancengleichheit 

Anna Schwanhäußer, Geschäftsführende Vorständin, Together for Future e.V.