Digital Markets Act: Verschenkte Chancen im Kampf gegen die Marktmacht von Facebook & Co.
Ende 2020 stellten Margrethe Vestager und Thierry Breton erste Vorschläge der EU-Kommission für einen Digital Markets Act vor. Nun beginnt der Trilog zwischen Parlament, Kommission und Rat.
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Die Digitalstrategie ist eines der größten und wichtigsten Projekte der EU-Kommission. Im Fokus stehen die von den großen Tech-Riesen wie Google und Facebook ausgelösten Probleme – von ihrer Datensammelwut bis zu ihrem Einfluss auf den öffentlichen Diskurs.
Die EU will mit dem Digital Markets Act (DMA) als Teil der Digitalstrategie den Marktmissbrauch großer Plattformen bekämpfen. Das betrifft zum Beispiel Amazon, Facebook oder Google.
Das Vorhaben ist ein Schritt in die richtige Richtung. Warum sich Germanwatch mit dem Thema beschäftigt, ob der Gesetzesvorschlag den eigenen Anspruch erfüllt und welche Nachbesserungen wir fordern, klärt dieser Blogbeitrag.
Was sind Gatekeeper-Plattformen?
Der DMA behandelt Gatekeeper-Plattformen. Gatekeeper sind Unternehmen, die anderen Akteur:innen durch ihre Marktmacht den Zugang zu einem Markt bzw. einem realen oder virtuellen Raum versperren oder erschweren können. Wenn beispielsweise Meta/Facebook den Markt der Messenger-Dienste beherrscht und dadurch Konkurrent:innen den Einstieg in das Marktfeld erschwert, fällt dies unter die DMA-Regelungen.
Tatsächlich beschränkt sich der DMA nur auf die wirklich großen Unternehmen wie Google, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft. Einige bekannte und einflussreiche Plattformen wie Twitter, Airbnb, LinkedIn, Netflix oder Zoom erfüllen die aktuellen Bedingungen nicht. Bewertet werden der Jahresumsatz, die Zahl der Nutzer:innen und die Marktstellung.
Unsere Thesen: Warum sind Gatekeeper ein Problem für die sozial-ökologische Transformation?
- Weniger Service: Gatekeeper haben einen geringen Anreiz, Nutzer:innen eine große Auswahl an Dienstleistungen oder Produkten anzubieten. Haben Plattformen eine marktdominierende Stellung, so sind Nutzer:innen auf die dort zur Verfügung gestellten Informationen angewiesen, die häufig in Form von personalisierter Werbung übermittelt werden. Marktmächtige Plattformen werden zum Beispiel nicht dazu angeregt, Verleih- und Reparaturmöglichkeiten anzuzeigen. Sie müssen keine Konkurrenz fürchten, die solche Optionen anbietet. Ihre Marktmacht kann daher der Entwicklung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft schaden.
- Qualitätsverlust: Gatekeeper müssen ohne Konkurrenz die Qualität ihrer Angebote nicht verbessern. So fehlt zum Beispiel der Anreiz, langlebigere und damit nachhaltigere Produkte anzubieten.
- Weniger Innovation: Marktmacht wirkt innovationsfeindlich, weil ohne Konkurrenz nur geringe Anreize bestehen, neue Produkte oder Dienstleistungen zu erfinden. Dabei sind Forschung und Innovation essenziell, zum Beispiel für den Aufbau einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.
- Keine kleinen und regionalen Kreisläufe: Die Marktkonzentration bei Gatekeeper-Plattformen verschärft bestehende Probleme, die etwa dem Reparaturhandwerk zusetzen. So kaufen etwa immer mehr Menschen neue Schuhe, statt kaputte zur:m Schuster:in in die Innenstadt zu bringen. Reparaturwerkstätten sind jedoch von entscheidender Bedeutung für eine konsequente Kreislaufwirtschaft. Die Datenökonomie begünstigt die Machtkonzentration: immer mehr Daten führen tendenziell zu immer mehr Marktmacht.
- Gefährdete Demokratie: Wichtige Gatekeeper sind die sogenannten „Sozialen Medien“. Sie beeinflussen den öffentlichen Diskurs und die Demokratie oft extrem. Demokratische Entscheidungen bilden die Grundlage der sozial-ökologischen Transformation. „Soziale Medien“ sollten demokratische Willensbildung nicht so beeinflussen, dass sich Menschen keine fundierte eigene Meinung mehr bilden können.
Worum geht es im DMA-Entwurf?
Folgenden Verpflichtungen unterliegen Gatekeeper:
- Gatekeeper müssen gewerblichen Nutzer:innen die Möglichkeit geben, dieselben Produkte und Dienstleistungen zu anderen Preisen oder Bedingungen auf anderen Plattformen anzubieten. Gewerbliche Nutzer:innen dürfen nicht gehindert werden, außerhalb der Plattformen Angebote zu machen.
- Nutzer:innen sollen vorinstallierte Software deinstallieren können, die nicht notwendig für das Funktionieren des Betriebssystems ist. Zudem müssen Software-Anwendungen und App-Stores von Konkurrenten des Gatekeepers auf Geräten installierbar sein, auf denen das Betriebssystem läuft (kein Monopol eines „hauseigenen“ App-Stores).
- Gatekeeper müssen Nutzer:innen Interoperabilität ermöglichen. Interoperabilität bezeichnet den Zugang eines anderen Anbieters (beispielsweise eines Zahlungsabwicklers) zu den plattformeigenen Funktionen. Wenn ein Gatekeeper beispielsweise einen Kalender in seinem Betriebssystem anbietet, so muss er auch anderen ermöglichen, einen Kalender anzubieten.
- Gatekeeper müssen Werber:innen Informationen geben, die sie für die Überprüfung der Wirksamkeit ihrer Werbung benötigen.
- Gatekeeper müssen garantieren, dass Nutzer:innen ihre Daten herunterladen können. Dies kann beispielsweise Anbieterwechsel vereinfachen.
Folgende Verbote sollen gelten:
- Gatekeeper dürfen Daten nicht für ihren eigenen Marktvorteil zusammenführen – zum Beispiel von Facebook und WhatsApp. Sie dürfen Nutzer:innen nicht ohne Einwilligung bei anderen Diensten anmelden oder Daten dorthin weiterleiten.
- Gatekeeper dürfen von gewerblichen Nutzer:innen nicht verlangen, dass sie die Identifizierungsdienste der Gatekeeper nutzen.
- Gatekeeper dürfen Zugänge nicht von der Anmeldung bei einem anderen Dienst abhängig machen.
- Gatekeeper dürfen von gewerblichen Nutzer:innen erzeugte nicht-öffentliche Daten nicht im Wettbewerb gegen diese Nutzer:innen einsetzen.
- Sie dürfen eigene Dienstleistungen und Produkte nicht gegenüber anderen bevorzugen oder Nutzer:innen zu einem Abonnement eigener Anwendungen zwingen.
Folgende Kontrollmechanismen sind vorgesehen:
Die Europäische Kommission kann Marktuntersuchungen einleiten, um herauszufinden, wer Gatekeeper ist, und um neue unfaire Praktiken offenzulegen. Bei einer Verletzung der Regeln kann die Kommission Geldbußen verhängen oder Gatekeeper in seltenen Fällen sogar zerschlagen. Sie darf alle nötigen Information zur Durchsetzung der Verordnung bei den Unternehmen anfordern.
Was kritisiert Germanwatch an dem Entwurf?
Vor allem beim Verbraucher:innenschutz und der Regulierung der Marktmacht geht der DMA nicht weit genug.
- Germanwatch fordert die Einführung von Interoperabilitätspflichten auch für Kerndienstleistungen.
Eine stärkere Verpflichtung zur Interoperabilität würde Marktmacht verringern und Nutzer:innen mehr Kontrolle über ihre Daten geben. Interoperabilität von Kerndienstleistungen würde zum Beispiel bedeuten, dass Nutzer:innen über die Messengerdienste Signal oder Threema auch mit WhatsApp kommunizieren können. Dann könnten sie mit WhatsApp-Nutzer:innen kommunizieren, ohne Daten an den Facebook/Meta-Konzern weitergeben zu müssen.
- Germanwatch fordert, dass der DMA die Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellt.
Durch ihre Marktmacht berühren Plattformen Nutzer:innen-Rechte wie zum Beispiel den Datenschutz oder die Meinungsfreiheit. Leider drehen sich fast alle Regelungen des DMA um die Bedürfnisse gewerblicher Nutzer:innen.
Artikel 10(2) regelt beispielsweise, wann Handlungen eines Gatekeepers als unfair eingestuft werden können – allerdings nur gegenüber gewerblichen Nutzer:innen. Germanwatch fordert dies auch für Handlungen gegenüber Endnutzer:innen.
Außerdem sollten Privatsphäreeinstellungen auf Plattformen in die Bewertung digitaler Märkte einfließen. Denn diese Einstellungen definieren die Möglichkeiten der Plattformen, personalisierte Werbung einzusetzen, die konsumsteigernd wirken kann (siehe These 1).
Germanwatch fordert ferner, dass die Kommission Prüfungen von Profiling-Techniken veröffentlicht und ihre Auswirkungen untersucht.
- Germanwatch fordert, dass die Kommission negative Effekte von Zusammenschlüssen stärker berücksichtigt.
Der Entwurf adressiert nicht die gängige Strategie der Plattformen, Fusionen unterhalb der anmeldepflichtigen Schwelle durchzuführen. Germanwatch fordert, dass die Kommission schon vor dem Erwerb eines Dienstes durch einen Gatekeeper Untersuchungen einleiten kann.
Ergänzend dazu fordert Germanwatch, dass Verfahren zur Feststellung unzulässiger Marktmacht beschleunigt und Fusionen häufiger verboten werden. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, wenn Gatekeeper beweisen müssten, dass eine Fusion Endnutzer:innen nicht schadet. Auch sollte die Kommission die Möglichkeit bekommen, marktmächtige Unternehmen rechtssicher zu zerschlagen.
- Germanwatch fordert, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und Endnutzer:innen stärker an Umsetzung und Überwachung des DMA beteiligt werden.
Bisher ignoriert der DMA die vorhandenen Kompetenzen in der Zivilgesellschaft. Dabei bietet es sich an, die Expertise zu nutzen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Endnutzer:innen die Möglichkeit zu geben, die Kommission auf Verstöße hinzuweisen.
- Germanwatch fordert die Schaffung von Alternativen zu rein profitorientierten digitalen Unternehmen.
Digitale Unternehmen dienen zu selten dem Gemeinwohl. Öffentlich-rechtliche digitale Plattformen können das Gemeinwohl stärker berücksichtigen. Hier können beispielsweise Räte mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung dafür Sorge tragen, dass das Angebot nicht nur Profitinteressen folgt.
Im EU-Gesetzgebungsverfahren steht nun der sogenannte Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission an. Das heißt, der Kommissionsvorschlag wird bei Verhandlungstreffen diskutiert, um eine Einigung zu erzielen. Zwar ist davon auszugehen, dass der DMA eine weitere Konzentration von Marktmacht erschweren wird. Doch wird der problematische Status quo eines von Gatekeepern dominierten Markts erhalten bleiben, wenn die EU unsere Empfehlungen nicht berücksichtigt. Dies würde die notwendige sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft erschweren, statt sie voranzutreiben.
Weitere Hintergrundinformationen und Reformvorschläge finden sich in unserem Hintergrundpapier „Der Digital Markets Act – Plattform-Regulierung für Demokratie und Nachhaltigkeit in der EU“.
Autor:innenHendrik Zimmermann, Fabian Liss (Praktikant im Team Deutsche und Europäische Klimapolitik) |