Offener Brief an die Bundesregierung: Bitte stoppen Sie die Aufnahme von Atom und Erdgas in die EU-Taxonomie!
Anlässlich des von der EU-Kommission am 31.12.2021 vorgelegten zweiten Delegierten Rechtsakts zur EU-Taxonomie haben die Umwelt- und Klimaorganisationen Deutscher Naturschutzring, Bellona Deutschland, Bioland, Campact, Deutsche Umwelthilfe, E3G, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Germanwatch, Klima-Allianz Deutschland, Naturschutzbund Deutschland, Umweltinstitut München und WWF Deutschland heute einen offenen Brief an die Bundesregierung versendet.
Darin fordern die 13 Organisationen die Bundesregierung auf, im Rat der Europäischen Union gegen den Delegierten Rechtsakt zu stimmen, sich der von Österreich und Luxemburg geplanten Klage gegen den Delegierten Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof anzuschließen und stringente Kriterien für den im Koalitionsvertrag angekündigten Zubau von Erdgas-Kraftwerken auf nationaler Ebene auszuarbeiten.
Offener Brief an Olaf Scholz, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 11. Januar 2022
Der Delegierte Rechtsakt zur Aufnahme von Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie muss gestoppt werden
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
am 31.12.2021 hat die EU-Kommission den zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie vorgelegt. Dass darin nun sowohl Atom als auch Erdgas als nachhaltige Energieträger eingestuft werden, konterkariert die Intention und den jahrelangen Abstimmungsprozess der Taxonomie massiv. Statt einen klaren finanzpolitischen Weg zur Umsetzung des European Green Deal und des „Fit for 55“- Pakets aufzuzeigen, führt die EU-Kommission die Taxonomie als Label für nachhaltige Zukunftsinvestitionen ad absurdum und sendet ein fatales internationales Signal an andere Regierungen, die an ähnlichen Taxonomien arbeiten.
Die klare Ablehnung der Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie durch die Bundesregierung begrüßen wir ausdrücklich und sehen dies als deutliches Bekenntnis zur Vollendung des Atomausstiegs in Deutschland. Damit Deutschland und Europa ihre Klimaziele erreichen können, muss die Nutzung fossiler Energieträger schnellstmöglich beendet statt ausgebaut werden. Deshalb braucht es eine ebenso konsequente Ablehnung von Erdgas in der Taxonomie. Auch wenn für einen begrenzten Übergangszeitraum Erdgas Teil des Energiemixes sein wird, ist eine Einstufung des Energieträgers als nachhaltig klimawissenschaftlich nicht haltbar. Fossiles Gas ist keinesfalls ein nachhaltiger Energieträger, denn entlang seiner Förder-, Transport- und Nutzungskette werden große Mengen an klima- schädlichen Treibhausgasen ausgestoßen.
Im weiteren Prozess zur Finalisierung der Taxonomie muss die Bundesregierung deshalb klar und öffentlich vernehmbar Stellung beziehen, damit das Ziel der „Kennzeichnung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten“ doch noch erreicht werden kann. Es geht um nichts geringeres als die Legitimität und Wirksamkeit dieses grundlegenden Instruments und die Frage, wie glaubwürdig und relevant es im finanzwirtschaftlichen Kontext überhaupt werden kann. Ein europäischer Standard, der noch vor seiner Inkraftsetzung hinter etlichen anderen bereits etablierten Standards zurückbleibt, ist ein Rück- schritt und nicht der Fortschritt, mit dem Ihre Koalition angetreten ist.
Wir bitten Sie deshalb:
- Stimmen Sie bei der Abstimmung im Rat der Europäischen Union gegen den Delegierten Rechtsakt, und gewinnen Sie andere Mitgliedstaaten dafür, dasselbe zu tun.
- Schließen Sie sich der von Österreich und Luxemburg geplanten Klage gegen den Delegierten Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof an. Setzen Sie sich für eine Erweiterung der Klage auch gegen die Aufnahme von Erdgas ein.
- Erarbeiten Sie zügig stringente Kriterien für den im Koalitionsvertrag angekündigten Zubau von Erdgas-Kraftwerken auf nationaler Ebene. Diese Kriterien müssen weitaus strenger aus- fallen als die Vorschläge der EU-Kommission und verbindlich regeln, dass neue Gasturbinen und gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ausschließlich in zeitlich eng begrenztem Umfang und zur Absicherung von Engpässen bis zur raschen Vollversorgung mit erneuerbaren Energien genehmigungsfähig sind.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir zählen auf Sie: Stoppen Sie das Greenwashing schmutziger und gefährlicher Technologien, die der Vergangenheit angehören, und ebnen Sie den Weg zur Klimaneutralität – auf europäischer wie auf nationaler Ebene.
Mit freundlichen Grüßen
- Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident, DNR
- Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand, Campact
- Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, Germanwatch
- Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand, WWF Deutschland
- Dr. Erika Bellmann, Geschäftsführerin, Bellona Deutschland
- Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer, DUH
- Dr. Christiane Averbeck, Vorständin, Klima-Allianz Deutschland
- Jan Plagge, Präsident, Bioland
- Jörg-Andreas Krüger, Präsident, NABU
- Olaf Bandt, Vorsitzender, BUND
- Carolin Schenuit, Geschäftsführende Vorständin, FÖS
- Fabian Holzheid, Politische Geschäftsführung, Umweltinstitut München
Dieser Brief geht auch an den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Stellvertreter des Bundeskanzlers, den Bundesminister der Finanzen, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, den Bundesminister der Justiz sowie die Bundesministerin des Auswärtigen.