Meldung | 20.10.2013

Alternativer Nobelpreisträger Hans Herren empfiehlt Agrarberichte als Instrument zur Hungerbekämpfung

Hans Herren auf der MV 2013

Nur zwei Tage nachdem bekannt gegeben wurde, dass der Schweizer Hans Herren den Alternativen Nobelpreis erhält, spricht der Agrarforscher auf der diesjährigen Germanwatch-Mitgliederversammlung über seine Arbeit und die dringend notwendige Kursänderung in der Landwirtschaft. In der anschließenden Diskussion wird deutlich: keine leichte Herausforderung – dennoch ist Herren optimistisch.

*** Im Folgenden werden die Kernaussagen des Vortrags von Hans Herren sowie der Diskussion auf der Germanwatch-Mitgliederversammlung am 28.9.2013 in Bonn wiedergegeben. ***

Hans Herren eröffnet seinen Vortrag mit einem Verweis auf den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award), der ihm jüngst zuerkannt wurde und den er am 2. Dezember 2013 verliehen bekommt. Er bezieht diesen nicht nur auf seine Erfolge bei der biologischen Schädlingsbekämpfung in Afrika, sondern sieht ihn auch als Anerkennung für seine Arbeit für einen grundlegenden "Kurswechsel" in der Landwirtschaft. Letztlich sieht er ihn aber nicht einfach nur als Auszeichnung seiner eigenen Arbeit, sondern stellvertretend als Würdigung der gesamten Community, die sich für diese Themen einsetzt.

Herren skizziert, wie er in den siebziger Jahren als junger Wissenschaftler beim „Internationalen Institut für tropische Landwirtschaft“ in Nigeria beauftragt wird, eine Lösung für den Schmierlausbefall bei der Nutzpflanze Maniok zu finden, der sich in ganz Afrika ausbreitet. Die Schmierlaus, die die Erträge des Grundnahrungsmittels drastisch verringert, war von Agrarforschern durch regelwidrige Einfuhr von Zuchtpflanzen aus Lateinamerika eingeschleppt worden. Herren will den massiven Pestizideinsatz vermeiden, der bei einer chemischen Bekämpfung entstanden wäre und auch direkt die menschliche Nahrung betroffen hätte. Er macht sich – letztlich erfolgreich – auf die Suche nach natürlichen Feinden der Schmierlaus in Lateinamerika und führt sie nach umfangreichen Tests, ob sie auch andere Insekten befallen, in Afrika ein. Dies gelingt so erfolgreich, dass die Schmierlaus bis heute – dreißig Jahre später – kein ernstes Problem für den Maniokanbau mehr darstellt. Auch bei der biologischen Bekämpfung anderer Schädlinge ist er ähnlich erfolgreich.

Unterstützung für seine Arbeit erhielt er vor allem vom „Internationalen Fonds für ländliche Entwicklung“ (IFAD), der „Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) (heute „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ / GIZ) und der Schweizer Entwicklungsbehörde. Die USA finanzierten seine Arbeit dagegen nicht – vermutlich, weil seine Lösungen kein Geschäftsmodell für die Pestizid- und Chemieunternehmen darstellen.

In der weiteren Arbeit wird für Herren deutlich, dass solche Ansätze und Einzelprojekte, wie sie überwiegend in der Entwicklungszusammenarbeit verfolgt werden, wichtig und hilfreich sind. Um die komplexen Probleme Hunger und Fehlernährung zu bekämpfen, reichen sie aber nicht aus. Hier ist ein stärker systemischer Ansatz nötig. Eine Möglichkeit, diesen zu entwickeln und voranzubringen, sieht er in einem vom Nachhaltigkeitsgipfel von 2002 mandatierten Bericht zu landwirtschaftlichem Wissen, Forschung und Technologie – dem 2008 fertig gestellten "Weltagrarbericht", den Herren maßgeblich mit koordiniert hat. 

Eine wichtige Neuerung dieses Berichts war, dass er von einem Leitungsgremium aus Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gesteuert wurde und dass zudem die über 400 Autoren nicht ausschließlich Wissenschaftler, sondern auch Bauern, Vertreter der Zivilgesellschaft und andere "Stakeholder" waren. Damit konnte gerade das praktische Wissen der Bauern systematisch berücksichtigt werden.

Der Bericht kommt zum Schluss, dass ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft notwendig ist, weg vom Ansatz der "Grünen Revolution", der auf einen höheren Einsatz fossiler Energien und eine stärkere Spezialisierung sowie Mechanisierung in der Landwirtschaft setzt. Stattdessen sollen agrarökologische Ansätze verfolgt werden, die natürliche Prozesse in der Landwirtschaft und ihrer Umgebung produktiv zu nutzen versuchen. 

Die Bundesregierung hat sich ebenso wie die deutsche Agrarwissenschaft an dem Prozess kaum beteiligt und auch den Endbericht anders als 59 andere Länder nicht unterschrieben. Die Regierungen der USA and Australiens haben den Prozess zunächst unterstützt, den Endbericht aufgrund von Differenzen zu Biotechnologie und Handel aber letztlich nicht. Auch die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) verringert ihr Engagement an dem Prozess, insbesondere wegen unterschiedlicher Auffassungen zum Agrarhandel, bald deutlich.

Die Fortsetzung des Agrarberichtsprozesses war von vornherein unklar. Die Staaten wollen ausdrücklich keinen dauerhaften Prozess ähnlich dem Weltklimarat IPCC. Der Agrarbericht selbst empfiehlt vergleichbare Berichte auf nationaler Ebene. Diese fanden außerhalb der Schweiz aber bislang nicht statt. Im Vorfeld des Rio+20-Gipfels nahm Herren zusammen mit 150 Organisationen einen neuen Anlauf, den Agrarberichtsprozess international zu verankern. Das Abschlussdokument mandatiert Bewertungen von Landwirtschaft und Agrarpolitik auf nationaler Ebene, die vom frisch gestärkten internationalen Komitee für Welternährungssicherheit (CFS) koordiniert werden sollen. Herrens Stiftung „Biovision“ unterstützt drei Pilotbewertungen in Kenia, Äthiopien und Senegal. Deren Ergebnisse werden 2015 vom CFS diskutiert.

In der Diskussion auf der Germanwatch-Mitgliederversammlung drehten sich viele Fragen um die massiven, einem Kurswechsel in der Landwirtschaft entgegen gesetzten Interessen der Agrarindustrie und auch der Agrarwissenschaft, die zunehmend von finanzstarken Akteuren wie der Stiftung von Bill und Melinda Gates und von Agrarmultis unterstützt werden. Alternative Politik- und Forschungsansätze haben es dagegen schwer.

Gleichwohl gibt es sowohl innerhalb internationaler Organisationen und bei Bauern und Verbrauchern ein Bewusstsein für die notwendigen Veränderungen. Die – politisch ebenfalls nicht leicht durchzusetzende – Internalisierung von Umweltkosten würde Nahrungsmittel aus agrarökologischer Produktion im Vergleich mit anderen automatisch billiger machen. Auch unabhängig davon befördern Konsumenten schon jetzt durch ihre Kaufentscheidung alternative Modelle wie die ökologische Landwirtschaft. Wie die Auseinandersetzung letztlich ausgehen wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Hans Herren ist aber optimistisch, dass die Option "business as usual" bei Politikern und Verbrauchern zunehmend als nicht nachhaltig erkannt wird. Strategische Ansatzpunkte für einen Kurswechsel sind: 1. Klimafaktor Landwirtschaft (für einen erheblichen Teil der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich); 2. Böden (Notwendigkeit von Fruchtfolgen, Diversität von Pflanzen und Tieren); 3. Integrierte Ansätze (insbesondere mit Gesundheit); 4. Recht auf Wasser; 5. Recht auf Nahrung. Schließlich wird eine stärkere kritische Begleitung der BMZ-Politik im Bereich Landwirtschaft gefordert, zumal die entwicklungspolitische NRO-Szene in diesem Bereich schwach sei.

Zusammenfassung von Tobias Reichert und Klemens van de Sand