Deutschland in der Energiewende – Herausforderungen, Chancen und Hindernisse
Das Impulsreferat von Rainer Baake legt den Schwerpunkt auf den Stromsektor, den er als entscheidend für den Erfolg der Energiewende sieht.
Bei der Energiewende, dieser ungeheuer dezentralen Veranstaltung - zu denken ist hier an die Rolle der Stadtwerke sowie einer schnell wachsenden Zahl von Energiegenossenschaften - seien wir im letzten Jahrzehnt deutlich schneller vorangekommen als selbst Optimisten noch im Jahr 2000 erhofft haben. Es sei ein steiniger politischer Weg mit viel Gegenwind gewesen, auf dem erreicht wurde, dass die Erneuerbaren Energien 20% zum Strommix beitragen. Technisch aber war es auf diesem Weg bisher relativ leicht, die Erneuerbaren Energien in den Strommix einzufügen. Dies sei jetzt anders geworden. Jetzt stehe nicht mehr die Integration der Erneuerbaren Energien in den Strommarkt, sondern die Transformation des Strommarktes an.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stelle durch die am Bedarf orientierten Fördersätze alle Erneuerbaren Energien auf eine Stufe. Dadurch habe es Durchbrüche bei Wind und Photovoltaik (PV) gegeben. Es habe auch großen Erfolg bei der Biomasse gegeben, der allerdings an die Grenzen der verfügbaren Fläche stoße. Auch die Wasserkraft stoße in Deutschland an ihre Grenzen. Und die Geothermie sei, anders als von manchen erwartet, nicht wirklich "aus den Pantoffeln" gekommen. Zusammenfassend könne man sagen: "It's wind and PV - stupid."
Das Leitszenario der Bundesnetzagentur gehe schon für das Jahr 2020 von einer gesamten installierten Kapazität - diese Bruttoerzeugungskapazität betrifft also die Leistung und nicht die Strommenge - von 220 GW aus, davon 90 GW konventionell und 130 GW Erneuerbare Energien. Wind und PV machen 90% dieser 130 GW Kapazität von Erneuerbaren Energien aus.
Dann gelte es aber, sich die besonderen Eigenschaften von Wind und Solar anzuschauen.
Erstens: Praktisch alle Kosten entstehen am Anfang, danach so gut wie keine.
Zweitens: Wind und Wetter liefern den Strom zu 100% dargebotsabhängig (also Windenergie dann, wenn der Wind weht; Sonnenenergie, wenn die Sonne scheint) und nicht nachfrageabhängig. Das Wetter, nicht der Marktpreis entscheide, wann wie viel Strom zur Verfügung steht.
Drittens: es entstehen sehr steile Rampen, also ein sehr plötzlicher und steiler Anstieg bzw. abrupter Abbruch in Bezug auf den eingespeisten Strom - bei PV noch stärker als bei Wind. Ständig gebe es derzeit neue Rekorde bezüglich des Anstiegs: Windkraft- und Solarstrom-Anlagen in Deutschland haben am 14. September 2012 erstmals mit einer Leistung von mehr als 30 GW Strom produziert. Zur Zeit der hohen Stromnachfrage zwischen 13.00 und 14.00 Uhr speisten Wind- und Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von rund 31,5 GW Strom in das bundesdeutsche Stromnetz ein.
Die große Herausforderung sei also die Ungleichzeitigkeit der Stromerzeugung einerseits und der Nachfrage der Konsumenten anderseits. Angesichts dieser Herausforderung gelte es nun, die richtigen Prioritäten zu setzen.
- Netze: Top-Priorität sei der Ausbau der Netze. Vor allem die Nord-Süd-Verbindungen in Deutschland - und auch die Anbindung über Deutschland hinaus. Je mehr Netze, umso mehr gleiche sich die fluktuierende Stromerzeugung aus. Auf Speicher als Alternative zu setzen sei derzeit wesentlich teuerer.
- Probleme nicht übertreiben und nicht unterschätzen. Baake rief auch dazu auf, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Wenn etwa der Chef der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler, vorrechne, wie viel Windstrom jetzt schon abgeregelt - also aus dem Wind gestellt - werden müsse. Was sich in absoluten Zahlen groß anhöre, sei nur 0,27% der Windstrommenge, also relativ unbedeutend. Andererseits müsse man sehen: "Das wird nicht so bleiben." Ohne Gegenmaßnahmen werde dieser Anteil stark wachsen.
- Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht drosseln: Völlig falsch sei jetzt, den Zubau von Erneuerbaren Energien zu drosseln mit dem Argument, der Netzausbau komme nicht schnell genug voran. Man müsse die Anlagen bauen, gerade auch damit der Druck auf den Netzausbau erhalten bleibt.
- Lastmanagement: Es sei zu eng gegriffen, immer nur darüber zu reden, das Angebot an die Nachfrage anzupassen, vielmehr müsse man auch über ein intelligentes Lastmanagement nachdenken. Einige Kraftwerke müssten vorgehalten werden, die nur bei der höchsten Nachfrage in ganz wenigen Stunden im Jahr gebraucht werden. Bisher gebe es aber keinen Markt, der auf der Nachfrageseite mehr Dynamik hereinbringe. Es könne durchaus günstiger als der Neubau von Kraftwerken sein, dass Akteure eine verringerte Nachfrage (etwa weil Kühlhäuser nicht den ganzen Tag Stromzufuhr brauchen und Zeitfenster ohne Strom vom Stromangebot abhängig machen können) in diesen Zeiten am Markt anbieten (d.h. ein effektives Lastmanagement betreiben).
- Speicher: Im Moment sei diese Option noch sehr teuer. Aber irgendwann werde die Zeit dafür kommen, was ein Blick auf die Privathaushalte zeige. Diese könnten derzeit Strom für 18 Ct pro KWh erzeugen. Das rechne sich heute schon - aber der Strom werde eben nicht synchron zu unserer Nachfrage erzeugt. Je stärker die Kosten für PV sinken, umso attraktiver werde es, in Stromspeicher / Batterien zu investieren. "'Wir wissen nicht, wie schnell die Speicherkosten runtergehen." Aber durch den rapiden Preisverfall der PV sei damit zu rechnen, dass man 2014/15 den eigenen Strom für 11 Cent erzeugen könne. Wenn wir eine ähnliche Preisentwicklung bei Speichern / Batterien sehen würden, sei es dann in absehbarer Zeit attraktiv, sich seine eigene Grundlast (also Strom plus Speicherleistung) zu erzeugen. Bislang sei das sehr teuer, aber in den 20er und 30er Jahren könne es sehr wichtig werden.
- Flexibilisierung des anderen Kraftwerksparks. Derzeit werde nachts eine Leistung von 40 GW, tagsüber von 60 GW benötigt. Traditionell gab es dementsprechend Grundlastkraftwerke für 40 GW (Atom und Braunkohle). Dann gab es Mittelkraftwerke (Kohle und etwas Gas) sowie Spitzenkraftwerke (Gas und auch Kohle). Man müsse sich nun deutlich machen, dass durch die Vorrangregelung die Erneuerbaren Energien längst Grundlastkraftwerke seien. Die anderen Kraftwerke müssen sich demnach an die fluktuierende Nachfrage und Einspeisung anpassen. Auf viel steilere Rampen müsse reagiert werden. Dies bedeute einerseits die technische Nachrüstung bestehender Anlagen, andererseits neu nur noch sehr flexible Anlagen - vor allem Gas - zu bauen.
- Ökonomische Bewertung: Mit der Liberalisierung des Strommarktes war im Jahr 1997 die Strombörse etabliert worden. Dabei bestimmen die Betriebskosten (Brennstoff und CO2-Preis) den Preis, zu dem Strom angeboten werden kann. Immer wenn der Preis oberhalb meiner Betriebskosten liegt, lasse ich als Betreiber mein Kraftwerk laufen. Ich erstelle also mein Angebot auf der Grundlage der eigenen Grenzkosten. Traditionell hatten die niedrigsten Grenzkosten zunächst die Kernenergie, dann Braunkohle, dann Kohle, dann Gas. Das letzte Kraftwerk, dessen Strom genutzt wird, bestimmt aber den Preis, den alle bekommen. Aus dieser Differenz zu den eigenen Grenzkosten muss der einzelne Anbieter aber sowohl seine Kapitalkosten als auch den Profit generieren.
Das Bild ändere sich nun grundlegend, wenn große Mengen Erneuerbare Energien in den Strommix hereinkommen. Sie haben die geringsten Grenzkosten und drängen die teuersten Kraftwerke aus dem Markt. Deshalb sei es falsch einfach zu sagen, wir hätten steigende Strompreise. Dies stimme nur für die Konsumentenpreise. Die Strombörsenpreise seien durch die Erneuerbaren Energien hingegen stark gefallen. 2008 lagen sie noch bei 90 € / MWh, heute unter 50 €. Wichtig dabei: auch ohne EEG wäre Erneuerbarer Strom der günstigste Anbieter. Je mehr Erneuerbare Energien an der Börse, desto mehr teuere Kraftwerke fliegen hinten raus. Dies trage aber dazu bei, dass es nicht mehr möglich ist, die Kapitalkosten für neue Kraftwerke plus Profit zu erwirtschaften.
Deshalb gebe es die Diskussion um Kapazitätsmärkte, also Märkte für Kraftwerksstrom, der in den Zeiten der Nachfragespitzen benötigt wird. Es rechne sich nicht, neue Kraftwerke zu bauen, es sei denn, sie werden durch EEG oder KWK-Gesetz gefördert.
Wichtig sei aber auch zu sehen, dass diese Debatte angesichts des Neubaubedarfs von Kraftwerken ohnehin gekommen wäre. Bislang hätten wir von einem Kraftwerkspark profitiert, der in der staatlich regulierten Monopolzeit gebaut wurde. Bei dieser Strombörse werden nicht genügend Margen abgeworfen, die es erlauben, ausreichend neue Anlagen zu bauen. Deshalb habe man auch in Staaten ohne EEG - etwa den USA und in anderen EU-Staaten - die Diskussion um Kapazitätsmärkte. In Deutschland beschleunigt der starke Ausbau der Erneuerbaren Energien durch das EEG diesen Effekt. - Versorgungssicherheit: Vordringlich sei derzeit die Frage: was passiert mit residualem Kraftwerksausbau - also dem Neubau im verbleibenden, schrumpfenden fossilen Kraftwerkspark. In diesem Jahrzehnt gebe es hier nur ein regionales Problem - in Bayern. Nach der Kraftwerkdatenbank der Bundesnetzagentur ändere sich das aber zu Beginn des neuen Jahrzehntes. Es sei notwendig, die neuen Kraftwerkskapazitäten aufzubauen. Zwar sei dann davon auszugehen, dass die Erneuerbaren Energien dann jede Woche mehrfach so viel Strom liefern wie in Deutschland gebraucht. Aber es werde auch Wochen - oft zum Beispiel im November geben -, wo Wind und Sonne kaum Strom liefern. Wenn es dann keine residualen Kraftwerke gebe - und auch keine entsprechende Lastreduzierung - liefe das auf einen Blackout hinaus.
- Transformation statt des Versuches, die Erneuerbaren Energien in den Markt zu integrieren: Die Große Koalition habe seinerzeit entschieden: Die Übertragungsnetzbetreiber müssen den gesammelten EEG-Strom nehmen und diesen gebündelt an der Börse anbieten. Das führe zu der Frage: Können sich erneuerbare Energien an der Strombörse refinanzieren, wenn sie soviel kostengünstiger als Kohle und Gas einspeisen? Die Antwort sei - wie bereits erläutert - ein klares: Nein. Dies bedeute:
Neues Marktdesign und Weiterentwicklung des EEG: Zentrale Ziele eines neuen Marktdesigns seien einerseits Märkte für Versorgungssicherheit und andererseits, dass der Markt nicht nur die Reihenfolge bestimmt, in der die Kraftwerke ihren Strom einspeisen dürfen, sondern dafür sorgt, dass die Anlagen sich refinanzieren können. Gerade auch als Ökonom sei er zutiefst enttäuscht, wie oberflächlich und undurchdacht das sei, was Ökonomen hier vorschlagen. Das EEG sei bisher die Antwort auf diese Frage der Investitionssicherheit für Erneuerbare Energien gewesen. Sicher, es habe auch Fehler der Politik bei der Festlegung der Zuschüsse gegeben. Aber die Empirie zeige sehr klar, dass die dadurch entstandenen Zusatzkosten geringer waren als die Risikozuschläge, wenn man das dem Markt (Quotenlösung) überlassen hätte. Die Agora Energiewende werde die Debatte über das Neue Marktdesign und die Weiterentwicklung des EEG mit substanziellen Inputs vorantreiben und freue sich auf den Dialog - auch mit Germanwatch.