Voraussetzungen für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Emissionshandels

 

 

Christoph Bals

Manuskript eines Vortrags beim Fachgespräch Emissionshandel bei der AGU (Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen), 28.11.01

Der Emissionshandel wird salonfähig. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich in Marrakesch auf die Spielregeln für Emissions Trading, Joint Implementation und Clean Development Mechanismus prinzipiell geeinigt. Die EU-Kommission hat einen Richtlinien-Entwurf für ein europäisches Emissionshandelssystem vorgelegt. Und selbst im Kölner Karneval bei der diesjährigen Stunksitzung war das Thema Emissionshandel eins der bestimmenden Themen. "Wat küt, dat küt" hieß es da. Wir stehen an einer klimapolitischen Zeitenwende. Wir stehen vor der völkerrechtlich sanktionierten Einführung des ersten Schrittes in eine treibhausgasbegrenzte Zukunft. Die EU-Kommission hat die Zeichen der Zeit erkannt und im Kyoto-Ratifizierungspaket auch verschiedene Vorschläge zur gemeinschaftlichen Umsetzung der Klimapolitik vorgelegt. Der wirkungsmächtigste Teil in diesem Instrumentenmix ist vermutlich im Entwurf der Emissionshandels-Richtlinie skizziert.

Es war der richtige Zeitpunkt, ein solches Papier jetzt vorzulegen. Die EU steht vor der Entscheidung, eine klare Rahmensetzung bald einzuführen, die es erlaubt, die akzeptierten Klimaschutz-Ziele zu erreichen. Bei der EU-Richtlinie handelt es sich um den Handel zwischen Unternehmen, während Kyoto den Handel zwischen Staaten regelt. Soweit Unternehmen grenzüberschreitend handeln, sind natürlich die Kyoto-Regeln auch einzuhalten. So wie das neue Instrument auch sorgfältig auf seine Kompatibilität mit dem bestehenden Instrumentenmix abzuklopfen ist und entsprechende Modifikationen vorzunehmen sind. Warum ist ein EU-Emissionshandelssystem sinnvoll?

  • Ein mengenorientiertes System wie das von der Kommission konzipierte Cap and Trade- System generiert und garantiert wie kein anderes Konzept ökologische Treffsicherheit. Zugleich aber signalisiert es der Wirtschaft: wir sind nicht daran interessiert, euch im Detail zu regulieren. Wie ihr das umsetzt, ist eure Sache. Und auch, wo - solange die Umweltintegrität gewahrt bleibt.
  • Ein solches System ermöglicht, ökonomische Chancen zu nutzen und Risiken - vor allem das angesichts eines völkerrechtlich verankerten Prozesses zur Treibhausgasreduzierung klar absehbare regulative Risiko - erfolgreich zu managen. Beim Klimagipfel in Marrakesch wurde im Rahmen einer Veranstaltung der Versicherungs- und Finanzbranche deutlich, dass institutionelle Anleger von Unternehmen mit hohen Kohlenstoffrisiken in Zukunft ein geeignetes Risikomanagement-System erwarten. In den meisten Fällen dürfte dies durch den Optionen-Handel im Rahmen eines Emissionshandelssystems geschehen.
  • Dieses Instrument gestattet Unternehmen die Flexibilität, beim Erreichen der Klimaschutzziele neue klimafreundliche Investitionen erst dann zu tätigen, wenn die alten Investitionen abgeschrieben sind. Indem Kapitalvernichtung damit weitgehend unnötig wird - ohne die Umweltziele zu gefährden -, werden auch negative Arbeitsmarkteffekte eingeschränkt; durch den Innovationsanreiz sind aber zugleich parallele positive Arbeitsmarkteffekte zu erwarten.
  • Es ist ein nicht zu unterschätzender Strukturwandel in den Unternehmen zu erwarten. Nicht mehr alleine die Umweltleute, sondern auch die Finanzabteilung hat dann ein Interesse, dass ein intensiver Suchprozess zur Klimagasreduzierung beginnt. Statt Flucht- und Verweigerungsprozessen werden Anpassungs- und Gestaltungsprozesse ermöglicht.
  • Ein internationales Emissionshandelsregime in Europa - weit über die heutige EU hinaus - , demnächst wohl auch in Japan, wird der wohl stärkste Attraktor für die USA, sich den internationalen Klimaschutzbemühungen auf die eine oder andere Art anzuschließen. Der Druck der transnationalen Unternehmen in diese Richtung wächst bereits seit dem erfolgreichen Bonner Klimagipfel. Die Einführung eines EU-Emissionshandels-Regimes ist die sicherste Gewähr dafür, dass die USA nicht dauerhaft außen vor bleibt.
  • Aus ökologischer Perspektive, aber vor allem auch wegen der notwendigen Liquidität des Marktes, ist es sinnvoll, dass die EU die Initiative ergreift, bevor ein Flickenteppich nationaler, nicht kompatibler Märkte entsteht. Bereits die beiden ersten EU-Konzepte, Großbritannien und Dänemark, sind nicht kompatibel.
Gerade angesichts dieser Vorteile gilt es die Frage zu stellen, warum der Emissionshandel immer noch gewisse Akzeptanzprobleme gerade in Deutschland hat.

Weltanschauliche Gründe für Akzeptanzprobleme

Einige der moralischen Grundsätze, die wir in Deutschland seit Luther sozusagen mit der Muttermilch aufsaugen, ist - auch für Katholiken und Atheisten - die Kritik an Regelungen, die nach "Ablasshandel" riechen. "Die Münze in dem Beutel klingt, die Seele aus der Hölle springt". Jahrelang war der Begriff "Emissionshandel" in der deutschen Presse gleichbedeutend mit "Ablasshandel". Beides mal meint man als Prinzip zu erkennen: "ich handle unmoralisch, zahle Geld - und meine Sünden sind mir vergeben." So wurde auch in der Kölner Stunksitzung der Emissionshandel erklärt. "Neulich war Fahrzeugkontrolle. Ich ins Röhrchen geblasen. Weit mehr Promille als erlaubt. Der Polizist will meinen Führerschein. Ne, sag ich. Ich hab' doch die Promille-Rechte von Tante Elli und Onkel Richard gekauft". Das wäre Ablasshandel. Die These vom Ablasshandel aber verkennt, dass beim Treibhausgas-Emissionshandel der Ausstoß der Emissionen (die Sündenlast - um im Bild zu bleiben) tatsächlich verringert wird, nur anderswo. Am "polluter pays to get reduction" Prinzip wird nicht gerüttelt.

Zu unseren in Deutschland mit der Muttermilch aufgesaugten Grundsätzen gehört auch Kants Kategorischer Imperativ. "Handle stets so, dass Dein Handeln zur Grundlage eines allgemeinen Gesetzes werden könnte." Auf den ersten Blick scheint auch dies den Emissionshandel als unmoralisch zu qualifizieren. Im eigenen Unternehmen handelt das Unternehmen nicht so, dass sein Handeln zum allgemeinen Gesetz werden könnte. Aber: es handelt - nur anderswo - und demnächst wird das in der EU tatsächlich Gesetz.

Kein Wunder, dass in der breiten Bevölkerung in Deutschland Emissionshandel etwas Unmoralisches zu sein scheint. In von utilitaristischer Ethik geprägten Staaten wie den USA, UK, Australien, den Niederlanden scheint ein solcher Vorwurf der Unmoral hingegen absurd.

Weitere Akzeptanzprobleme

Es gibt weitere, eher weltanschauungsunabhängige Akzeptanzprobleme für den Emissionshandel in Deutschland:

  • Der Emissionshandel mit seiner Notwendigkeit der Zuteilung von begrenzten Erlaubnissen zum Emissionsausstoß passt nicht zum rheinisch-berliner Politikstil des Klüngels. Plötzlich werden harte Entscheidungen der Zuteilung, wirkliche Transparenz beim Monitoring und bei der Verifizierung sowie ein hartes Sanktionssystem notwendig. Der Markt braucht einen Ordnungsrahmen ...
  • Gewichtige Teile der Wirtschaft würden lieber am gemütlichen Nest der "freiwilligen Selbstverpflichtung" festhalten.
  • Befürworter der Erneuerbaren Energien befürchten, dass diese von einem Emissionshandelssystem, das 'least cost Optionen' sucht, nicht genügend Anreize erhalten.
  • Von einigen Globalisierungskritikern wird als neuer Strang der Globalisierung die "Privatisierung der Luft bzw. der Atmosphäre" kritisiert.
Glaubwürdigkeitsprobleme aus der Sicht von GERMANWATCH

Der Emissionshandel auf Unternehmensebene kann ein sehr zielgenaues und wirkungsmächtiges Instrument sein. Viele Akteure, die am Klimaschutz keinerlei Interesse haben, betreten das Spielfeld. Das ist gewünscht - dass der Klimaschutz nicht nur etwas für gute Menschen bleibt. Aber es macht auch deutlich: Ab jetzt muss es strikte Regeln geben, die dafür sorgen, dass tatsächlich Emissionen und nicht Papierbuchungen gehandelt werden; dass tatsächlich die Innovationen angestoßen werden, die wir brauchen.

Ich möchte vier Glaubwürdigkeits-Probleme benennen. Alle können gelöst oder zumindest gemindert werden, aber dies muss auch geschehen.

  • Die EU-Richtlinie sieht vor, dass zu einem späteren Zeitpunkt auch projektbasierter Handel in das System einbezogen werden soll. Dies ist im Prinzip zu begrüßen. Aber die Spielregeln von Kyoto reichen leider nicht aus, die ökologische und soziale Integrität dieser Projekte sicherzustellen. Hier ist die EU in der Pflicht, einen "goldenen Standard" zu erarbeiten, der einerseits für Umweltintegrität und andererseits für Investorensicherheit sorgt.
  • Es ist zuviel heiße Luft im internationalen System. Auch in das EU-System kommt durch die Osterweiterung möglicherweise so viel heiße Luft hinein, dass damit einerseits zuviel Marktmacht für Osteuropa entsteht und andererseits zu wenig Anreize für dringend notwendige Innovationen entstehen. Was ist heiße Luft? Auch dazu klärt die Kölner Stunksitzung auf: Der Fahrer, der Promille-Erlaubnisse von Tante Elli und Onkel Richard gekauft hat, darf dennoch nicht weiterfahren. "Das mit der Tante Elli akzeptiere ich," sagt der Polizist nach einem Blick in den Computer. "Aber - die Gutschrift von Onkel Richard, die ist heiße Luft. Der hat ja gar keinen Führerschein." Es ist Gott sei Dank nach Marrakesch gewährleistet, dass wir im Register jederzeit nachvollziehen können, wer welche Emissionszertifikate nutzt. Und wir als NGO, ich denke auch ein frei gewähltes Parlament, wird sicher nicht zulassen, dass wir die russische Mafia - und dann auch noch ohne Klimaschutzgegenleistung - finanzieren, nur um zuhause weniger Klimaschutz leisten zu müssen. Verschiedene Vorschläge zur Begrenzung dieses Problems, von einem debt for hot air-swap bis hin zur Nutzung der Einnahmen für Klimaschutzprojekte, werden diskutiert.
  • Einerseits wollen wir ja, dass die Preise für Klimaschutz sinken. Damit steigt die politische Akzeptanz und letztlich sind ehrgeizigere Ziele durchzusetzen. Wirtschaftsminister Müller etwa müsste ja seine Berechnungen bezüglich der hohen Kosten des Klimaschutzes, die er gerade vorgelegt hat, direkt wieder einstampfen lassen, wenn der EU-Emissionshandel eingeführt wird. Andererseits wäre es ein Zeichen, dass die Ziele in der erweiterten EU nicht ehrgeizig genug sind, wenn der Preis für Zertifikate so in den Keller sinkt, dass keine Innovationsanreize mehr davon ausgehen.
  • Bei einer ganzen Reihe von treibhausgasbezogenen Regulierungen können die von der Richtlinie betroffenen Unternehmen entlastet werden, wenn der Emissionshandel kommt. Weniger Ordnungsrecht, Verzicht auf Ökosteuer für die am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmer ist kein Tabu. Unverzichtbar aber bleibt die beschleunigte Markteinführung Erneuerbarer Energien und anderer innovativer Technologien wie Brennstoffzellen. Dies ergibt sich aus einer Langfristperspektive. Diese Technologien müssen die Staffel des Klimaschutzes übernehmen, wenn die heute noch im Vordergrund stehenden Effizienzgewinne beim Angebot und bei der Nachfrage fossiler Energien allmählich kostspieliger oder gar physikalisch unmöglich werden. Für sie brauchen wir zusätzlich zum Emissionshandel eine Markteinführungsstrategie. In Deutschland haben wir mit dem EEG ein besonders effizentes Vorzeigemodell.
Glaubwürdigkeitsprobleme von Teilen der Wirtschaft in der Debatte

Ich kann verstehen, dass ein Teil der deutschen Wirtschaft derzeit ziemlich erschrocken die Augen öffnet. Wenn man - gerade vom Emissionshandels-Tiefschlaf aufgeweckt - ins kalte Wasser springen soll, das ist schon ziemlich viel verlangt. Hochachtung verdient, dass sich ein Großteil der deutschen Wirtschaft in den letzten zwölf Monaten bemerkenswerterweise aufgerappelt hat und in der Arbeitsgruppe Emissionshandel (AGE) zu einem konstruktiven Dialog und Zwischenergebnis in der Lage war.

Jetzt, nachdem der EU-Richtlinienvorschlag auf dem Tisch liegt, haben viele daran etwas auszusetzen. Einige aber gehen fundamental dagegen an, zum Teil mit abenteuerlichen Argumenten. So hat ein Vertreter der Kohlebranche in der letzten AGE-Sitzung die Sanktionsmechanismen in der EU-Richtlinie kritisiert und gemeint, man solle sich doch ein Beispiel an den freiwilligen Selbstverpflichtungen nehmen. Ein schöneres Eigentor hätte er nicht schießen können. Wenn die freiwilligen Selbstverpflichtungen deshalb vorgezogen werden, weil man sanktionslos die Ziele verfehlen kann, dann ist die EU-Kommission ja schon aus Wettbewerbsgründen gezwungen, auf die verbindliche EU-weite Einführung des Emissionshandels zu drängen.

Überhaupt spielen einige Akteure der deutschen Wirtschaft die freiwilligen Selbstverpflichtungen gegen den Emissionshandel aus - nicht nur wegen der Übergangsprobleme sondern prinzipiell. Und das, obwohl ganz klar ist: Der Emissionshandel soll bis 2012 nicht zu schärferen Zielen für die einzelnen Unternehmen führen. Natürlich müssen die Ziele der Selbstverpflichtung - soweit es relative sind - mit für die Branche plausiblen Umrechnungsfaktoren in absolute Ziele umgerechnet werden. Natürlich sollte solide nachgewiesene "early action" berücksichtigt werden können - die EU-Richtlinie erlaubt das ausdrücklich. Aber was ist dann der große Nachteil durch den Emissionshandel? Etwa, dass - wenn es mit der Zielerfüllung eng wird - dies vom entsprechenden Unternehmen durch den Zukauf von Zertifikaten ausgeglichen werden kann? Oder, dass die volkswirtschaftlichen Kosten der Treibhausgasreduzierung in einem europäischen Emissionsmarkt deutlich sinken? Ich erwarte, dass Befürworter der freiwilligen Selbstverpflichtung und gleichzeitige Gegner des Emissionshandels - Herr Röder von der BASF wird ja gleich in diesem Sinne vortragen - klar folgende Frage beantworten: bevorzugen sie nur deshalb die Selbstverpflichtung, weil sie sich leichter um die Zielerfüllung drücken können?

Auch aus einem anderen Grund sollten sich bremsende Akteure aus der Wirtschaft ihre Strategie zweimal überlegen. Einige von uns sind lange genug in der Klimadebatte, um die Wandlungen des Diskurses verfolgt zu haben. Am Anfang war das Wort. Und das Wort hieß Ordnungsrecht. Dann beklagte die Industrie, ökonomische Instrumente seien viel effektiver. Dann wurde die Öko-Steuer geschaffen. Nein, nein, das war's auch nicht. Übrigens war es auch damals schon die BASF, die den Widerstand der Industrie gegen die Ökosteuer organisierte, so wie sie jetzt den Widerstand gegen den Emissionshandel orchestriert. Die Politik reagiert - so gut wie keine Ökosteuer für die Industrie, statt dessen flexible Instrumente. Kaum handelt die Politik im Sinne des Emissionshandels, ist das auch nicht mehr gut. Wer gegen Ordnungsrecht, Ökosteuer und Emissionshandel zugleich argumentiert, der argumentiert letztlich gegen Klimaschutz. Wenn jetzt nicht die Weichen langfristig für ein ökologisch effektives und ökonomisch effizientes System gestellt werden, ist in den nächsten Jahren mit - je nach Stimmungslage - mehr oder weniger hysterischen Ausschlägen der Gesetzgebung im Klimabereich zu rechnen. Die Klimaziele stehen fest. Wer sich gegen Emissionshandel ausspricht, argumentiert implizit für andere Instrumente. ...

Es ist erfreulich, dass sich in der AGE ein konstruktiver Grundtenor bisher durchgesetzt hat. Wir werden dies weiter unterstützen.

Die Glaubwürdigkeitskriterien für ein Emissionshandelssystem lassen sich aus Sicht von GERMANWATCH wie folgt zusammenfassen:

  • Die Ziele müssen stimmen
  • Die Sanktionen müssen angemessen und Wiedergutmachung für's Klima gewährleistet sein
  • Ein seriöses Monitorung und dementsprechende Verifizierung müssen sichergestellt sein
  • Beim Einbezug von Projekten ist durch einen goldenen Standard die Umweltintegrität zu sichern
  • Die Preise müssen so sein, dass ein Anreiz für Innovationen gewährleistet bleibt.
So dient der Emissionshandel dem Klimaschutz. Dieses Ziel darf bei der Steigerung der Kosteneffizienz durch den Emissionshandel nicht wegrationalisiert werden.

Manuskript eines Vortrags beim Fachgespräch Emissionshandel bei der AGU (Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen), 28.11.01

Autor:innen
Christoph Bals
Publikationsdatum
Seitenanzahl
29
Bestellnummer
01-2-07
ISBN
3-9806280-8-6
Schutzgebühr
3.00 EUR

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