Schutzmechanismus für Landwirtschaft in Entwicklungsländern unzureichend
Berlin, 29.7.2008: Eine Einigung beim informellen Ministertreffen der WTO in Genf steht weiter auf der Kippe. Zentraler Streitpunkt ist der Schutz der Ernährungssicherheit von Kleinbauern in Entwicklungsländern. Nach Ansicht der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch darf dieses zentrale Anliegen nicht handelspolitischen Interessen untergeordnet werden.
Eine der zentralen Forderungen der Mehrheit der Entwicklungsländer in der laufenden Doha-Runde ist, dass sie bessere Möglichkeiten erhalten, ihre überwiegend kleinbäuerlich geprägte Landwirtschaft gegen plötzliche Importanstiege zu schützen. Hintergrund ist, dass bereits heute der größte Teil der Hungernden Kleinbauern sind. Dazu sollen "spezielle Produkte", die für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung wichtig sind, vom Zollabbau ausgenommen werden. Was dies angeht, konnte die G33-Gruppe von 43 Entwicklungsländern um Indonesien, Indien und China mit Hilfe der afrikanischen Gruppe und den Least Developed Countries einige ihrer Forderungen durchsetzen. Zudem aber soll es ein "spezieller Schutzmechanismus" (SSM) erlauben, Zölle zeitweise anzuheben, wenn die Importmengen für bestimmte Agrargüter stark ansteigen bzw. die Preise stark fallen. Die Dringlichkeit dieser Forderung ergibt sich aus der immer stärkeren Fluktation von Preisen für landwirtschaftliche Produkte. Doch der SSM ist im derzeitigen Kompromissentwurf sehr restriktiv gestaltet.
Schutzzölle können - nach dem derzeit vorliegenden Verhandlungstext - zwar erhoben werden, aber nur bis zur Höhe der vor Abschluss der Doha-Runde geltenden Obergrenzen. Mit anderen Worten erlaubt der SSM nur, die jetzt vereinbarten Liberalisierungsschritte zeitweise auszusetzen. Definitionsgemäß kann der SSM auf spezielle Produkte, für die die Zölle nicht gesenkt werden, nicht angewandt werden, da die neuen und die vorher gültigen Obergrenzen identisch sind. Damit sind ausgerechnet jene Produkte ausgeschlossen, für die ein zusätzlicher Schutz aus entwicklungspolitischer Sicht besonders notwendig ist.
"Ernährungssicherheit muss Vorrang haben. Das Zugeständnis an die G33, für 2,5 Prozent der Produkte die Zölle um bis zu 15% über das vor der Doha-Runde geltende Niveau anzuheben, ist aber weitgehend kosmetisch", erläutert Tobias Reichert, Handelsexperte von Germanwatch. "Die Bedingungen dafür sind so strikt, dass sie in der Praxis kaum alle gleichzeitig erfüllt sein werden." So müssen die Importe um mindestens 40% ansteigen und ein Preisverfall nachgewiesen werden.
In den gestrigen Verhandlungen der Siebenergruppe forderten Indien und China, grundlegende Veränderungen am vorliegenden Text, um den SSM wirklich effektiv zu machen. Sie werden dabei von fast hundert Entwicklungsländern unterstützt, die an den informellen Verhandlungen nicht teilnehmen können. Bereits als der Text als "Basis für weitere Verhandlungen" präsentiert worden war, hatten sie deutlich gemacht, dass sie an diesem Punkt noch Nachbesserungen fordern. Die USA lehnen jedoch jede Änderung kategorisch ab. Sie behaupten außerdem, Indien und China würden bereits gemachte Zusagen wieder zurückziehen, und seien so verantwortlich, falls es zu keinem Abschluss kommt.
"In einer 'Entwicklungsrunde' müssen die Interessen der Armen, und das sind überwiegend Kleinbauern, im Vordergrund stehen. Es ist verständlich, wenn die Mehrheit der Entwicklungsländer ohne effektivem Schutz der Ernährungs- und Einkommenssicherheit dieser Gruppe keinem Kompromiss zustimmen will.," so Reichert. "Statt sich vornehm aus dem Streit herauszuhalten, sollte die EU konstruktive Vorschläge vorlegen, um die Position der Entwicklungsländer und vor allem der AKP-Staaten, mit denen sie besondere Beziehungen unterhalten, aktiv zu unterstützen."
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