EU-Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten und EU-Lieferkettengesetz werden kommen – ein Appell, warum wir beides brauchen
Die Mata Atlântica ist das am stärksten von der Abholzung bedrohte Biotop in Brasilien.
Katharina Brandt
Am heutigen Mittwoch hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag für entwaldungsfreie Lieferketten vorgestellt. Die Kommission will die Entwaldung in globalen Lieferketten über Auflagen für bestimmte Risikoprodukte, wie Rindfleisch oder Soja, eindämmen. Der Vorschlag betrifft Produkte – und auch nur diese – deren Erzeugung Wälder gefährdet. Parallel diskutiert die EU aktuell ein europaweites Lieferkettengesetz: Sie will unternehmerische Sorgfaltspflichten sektorenübergreifend verankern. Von dem sogenannten EU-Lieferkettengesetz wären alle Unternehmen ab einer gewissen Größe betroffen. [1]
Macht sich die EU-Kommission damit doppelte Arbeit? Und würde nicht ein übergreifendes Lieferkettengesetz ausreichen, um Entwaldung zu vermeiden? Dieser Blog ist ein erster Versuch, den Mehrwert beider Vorhaben aufzuzeigen und zugleich ein Appell, dass beide Ansätze zusammengedacht werden sollten.
a) Wo setzen die beiden Gesetzesvorschläge an?
Im Gesetzesvorhaben für entwaldungsfreie Lieferketten soll geregelt werden, dass Risiko-Produkte, die mit der Zerstörung von Wäldern in Verbindung stehen, nur noch auf den EU-Binnenmarkt gelangen dürfen, wenn sie bestimme Kriterien zur Sorgfalt in ihren Lieferketten erfüllen. Unternehmen, die diese Risiko-Produkte in der EU verkaufen oder handeln wollen, müssen vor Markteintritt nachweisen, dass ihr Produkt nicht zur Entwaldung beigetragen hat. Sie müssen ein Risikomanagement einführen und eine Sorgfaltserklärung gegenüber der Behörde abgeben. Die Forderungen europäischer Umweltorganisationen zu diesem Prozess (und den relevanten Risiko-Produkten) sind in einem Positionspapier zusammengefasst. Germanwatch und andere Umweltorganisationen fordern, dass zumindest Soja, Palmöl, Kautschuk, tierische Produkte wie Rindfleisch, Leder und Geflügel sowie Kaffee, Kakao, Holz und Mais als kritische Produkte erfasst werden müssen.
Ein EU-Lieferkettengesetz soll menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten – aufbauend auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen – sektorenübergreifend für die gesamte Wertschöpfungskette definieren. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ist ein risikobasierter Prozess, der sechs Stufen umfasst:
Ein EU-Lieferkettengesetz könnte präventiv und in der Breite wirken und damit ein level-playing-field schaffen, von dem nicht nur die Importeur:innen und Händler:innen der genannten Risikoprodukte betroffen wären, sondern jedes Unternehmen ab einer gewissen Größe und mittelständische Unternehmen, die Teil eines Risikosektors sind. Damit verfolgt das geplante EU-Lieferkettengesetz einen unternehmensbezogenen Ansatz.
b) Worin unterscheiden sich die beiden Vorhaben?
Es ist nicht untypisch, dass auf EU-Ebene zunächst einmal Regelungen nur für bestimmte Sektoren getroffen werden: So gibt es bereits eine Holzhandels-, Konfliktrohstoff- und eine Fischerei-Verordnung, die spezifische menschenrechtliche oder ökologische Auflagen für die Einfuhr und den Handel vorgeben. Hinzu kommt, dass die beiden Vorhaben in unterschiedliche Regelungsbereiche der EU fallen: Das Gesetzesvorhaben für entwaldungsfreie Lieferketten fußt auf umweltrechtlichen Kompetenzen, ein europäisches Lieferkettengesetz u.a. auf den Kompetenzen im Bereich Binnenmarkt und Niederlassungsrecht und der justiziellen Zusammenarbeit.
Beide Vorhaben unterscheiden sich, kurz zusammengefasst, in ihren Anwendungsbereichen also darin, wer von der Regelung betroffen ist und in der Durchsetzung der Vorgaben:
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Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten |
EU-Lieferkettengesetz |
Wann wird der EU-Kommissionsentwurf veröffentlicht? |
17. November 2021 |
für Mitte Dezember 2021 angekündigt |
Was soll geregelt werden? |
Produktbezogene Sorgfaltspflicht, die nachweist, dass ein Produkt nicht zur Entwaldung beigetragen hat |
Unternehmensbezogene Sorgfaltspflichten, die einer Verletzung von Menschenrechten und Umweltschäden in Wertschöpfungsketten entgegenwirken sollen |
Was oder wer wäre davon betroffen? |
Risiko-Produkte, die von Unternehmen aus bestimmten Risikogebieten/-ländern in die EU eingeführt oder gehandelt werden |
Alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe, kleine und mittelgroße Unternehmen aus Risikosektoren |
Welche Konsequenzen drohen bei Missachtung der Pflichten? |
Kein Zugang zum EU-Binnenmarkt, administrative Durchsetzung, Beschwerdemechanismus |
Administrative Durchsetzung (Bußgelder, Sanktionen) und zivilrechtliche Durchsetzung |
Was ist der Mehrwert des Vorhabens? |
Ansatz um besonderes Risiko von Entwaldung in Agrarlieferketten strikter anzugehen, Möglichkeit auf spezielle Herausforderungen einzugehen |
Ansatz für einen EU-Standard für unternehmerische Sorgfalt in Lieferketten; Regelung ist allgemein abstrakt und kann als Generalklausel dienen; definiert keine Risikoländer, oder -produkte und schafft damit keine Schlupflöcher |
Wer ist seitens der EU-Kommission zuständig? |
Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius |
Justizkommissar Didier Reynders und Binnenmarktkommissar Thierry Breton |
c) Welche Punkte sind noch umstritten?
Bei dem heute vorgestellten EU-Gesetzesvorschlag für entwaldungsfreie Lieferketten ist noch umstritten,
- welche Produkte umfasst werden sollen und wie eine mögliche Verlagerung von Problemen verhindert werden kann: Im Kommissionsentwurf ist das für die Automobilindustrie wichtige Produkt Kautschuk nicht aufgenommen worden.
- Die von der Kommission vorgestellte Definition von Entwaldung greift zu kurz: Sie erfasst nur die Zerstörung von Wäldern, nicht aber die Umwandlung bestimmter Ökosysteme. Damit riskiert die EU, dass sich die Probleme verlagern auf andere wertvolle Ökosysteme – wie Feuchtgebiete und Savannen. Außerdem gilt die Importbeschränkung erst für Produkte, die ab dem 31.12.2020 zur Entwaldung beigetragen haben. Alles, was davor produziert wurde, ist nicht erfasst.
- In Bezug auf die Menschenrechte verweist der Kommissionsvorschlag auf die Einhaltung der Gesetze in den Abbau- und Produktionsländern. Das ist ein sehr schwacher Standard, der hinter den international anerkannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurückbleibt.
- Es ist wichtig, dass der Finanzsektor von der Regelung betroffen ist, damit Banken nicht weiter Unternehmen finanzieren, die maßgeblich zur Entwaldung beitragen.
Beim EU-Lieferkettengesetz wird erwartet, dass es u.a. eine Debatte darüber geben wird,
- wie eine umweltbezogene Sorgfaltspflicht ausgestaltet wird,
- wie die Pflichten mit einem behördlichen Prüfmechanismus und einer zivilrechtlichen Durchsetzung in den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden,
- und welche Unternehmen von der Regelung erfasst werden sollen.
Innerhalb der Kommission war die Ausgestaltung des EU-Lieferkettengesetzes in den vergangenen Monaten umstritten. Es bleibt abzuwarten, wie der Vorschlag, den die Kommission für Dezember angekündigt hat, aussehen wird. Auch die Wirtschaftsverbände positionieren sich zu den beiden Prozessen und versuchen die Vorhaben in ihrem Sinne zu beeinflussen. Für die anstehenden Verhandlungen über die EU-Kommissionsvorschläge ist es daher wichtig, im EU-Parlament, in den EU-Mitgliedsstaaten und im EU-Rat auf eine effektive Ausgestaltung und die Kohärenz der beiden Vorhaben zu drängen. Die Gesetzesvorschläge können jeweils unterschiedliche Probleme adressieren und sollten daher in einem Gesamtpaket gesehen werden, mit dem die EU Wertschöpfungsketten verantwortungsvoller gestalten will.
[1] EU-Lieferkettengesetz Vorhaben | Entwaldungsvorhaben
Unsere Arbeit für Agrarlieferketten, die Umwelt und Menschenrechte schützen, wird u.a. über ein Projekt der Robert Bosch Stiftung gefördert.
Autor:innenJulia Otten |