Die im Green Room sieht man nicht

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Die im Green Room sieht man nicht

Die Intransparenz in der WTO und EU-Handelspolitik

 

Die WTO sei intransparent und undemokratisch, kritisieren viele Parlamentarier und Nichtregierungsorganisationen. Aber, so möchte man einwenden, verhandeln in Genf oder auf den Ministerkonferenzen nicht die Vertreter von gewählten Regierungen, die jeden Vorschlag, den sie nicht für sinnvoll halten, ablehnen können? Um die Frage zu beantworten, ist ein genauerer Blick auf die Entscheidungsstrukturen und die Kompetenzen in der WTO und der EU-Handelspolitik nötig. Neben den 15 EU-Mitgliedstaaten ist auch die EU selbst WTO-Mitglied. Diese "Doppelmitgliedschaft" beruht darauf, daß die EU allein für den gesamten Warenhandel (auch mit Agrarprodukten) zuständig ist und sich die Zuständigkeiten für Dienstleistungen und geistiges Eigentums (TRIPs) mit den EU-Mitgliedstaaten teilt. Nach den Vorstellungen der Kommission soll künftig die EU für alle WTO-Fragen und für den Investitionsschutz zuständig sein. Dann könnte z. B. ein neues Multilaterales Investitionsschutzabkommen (MAI) ohne Zustimmung des Bundestages verabschiedet werden! Trotz der rechtlichen Kompetenzteilung zwischen EU und Mitgliedsstaaten werden letztere in der WTO fast ausschließlich von der EU-Kom-mission vertreten. Zwar können die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten an allen WTO-Sitzungen teilnehmen, sie treten jedoch nach außen praktisch kaum in Erscheinung. Das gilt um so mehr, je informeller die Verhandlungen werden. An den sogenannten green room-Treffen nehmen die EU Mitgliedsstaaten sogar überhaupt nicht mehr teil. Green room bezeichnet im WTO-Jargon ein besonders informelles Verhandlungsforum, das in einem unbekannten Raum und in unbekannter Zusammensetzung tagt, um problematische Fragen zu besprechen. Es bleibt jedoch nicht bei der Besprechung der Fragen. Im green room werden oft die Texte der WTO-Beschlüsse ausgehandelt, die den übrigen WTO-Mitgliedsstaaten ohne weitere Diskussion nur noch zum "Abnicken" vorgelegt werden. Diese green rooms werden von Entwicklungsländern seit langem kritisiert und haben in Seattle für erheblichen Protest gesorgt. Die EU-Kommission handelt allerdings selbst im green room nicht völlig autonom. Sie ist an die allgemeinen politischen Leitlinien des Ministerrates gebunden, die der Kommission jedoch einen weiten Ermessensspielraum zugestehen. In der alltäglichen WTO-Praxis wird die Kommission von einem eigens für die Handelspolitik eingerichteten Ausschuß begleitet und unterstützt, der sich aus hohen Beamten der Wirtschaftsministerien der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Die EU-Kommission stimmt sich in diesem Ausschuß mit den Mitgliedstaaten ab und erläutert ihre Strategie. Allerdings kann das Gremium der Kommission auch keine direkten Weisungen erteilen. Und bei den wichtigen informellen Verhandlungen sind - wie gesagt - die Vertreter der Mitgliedstaaten ohnehin nicht dabei. Allein dadurch hat die EU-Kommission einen großen Wissensvorsprung. Die Wirkungsweise dieses Zuständigkeitsdickichts und seine möglichen Folgen können beispielhaft an den Auseinandersetzungen um eine Arbeitsgruppe zur Biotechnologie in der WTO gezeigt werden: Ihre Einsetzung hatten die USA bereits im Vorfeld von Seattle gefordert, um eine Liberalisierung des Handels mit gentechnisch veränderten Organismen (sog. Genetically Modified Organisms, GMO) zu erreichen. Eine solche Arbeitsgruppe hätte aber die Bemühungen um den erfolgreichen Abschluß des UN-Biosafety-Protokolls erschwert. Vor allem Verbraucher- und Umweltschutzgruppen, aber auch viele EU-Mitgliedstaaten standen deshalb einer Arbeitsgruppe ablehnend gegenüber, und die Kommission gab zu verstehen, daß sie ihrer Errichtung nicht zustimmen wollte. Allerdings war diese Position weder in dem von der Kommission vorgelegten Strategiepapier noch in den vom Ministerrat verabschiedeten Richtlinien für die Konferenz in Seattle enthalten. Als am dritten Tag in Seattle immer noch keine Einigung erzielt worden war, legte die EU gemeinsam mit Japan und einigen anderen Staaten einen Kompromißvorschlag für eine Abschlußerklärung vor. In diesem in einer green room-Sitzung "ausgeheckten" Papier wurde plötzlich der Einsetzung einer Biotechnologie-Arbeitsgruppe zugestimmt. Die EU-Mitgliedstaaten waren von diesem Sinneswandel der Kommission weder informiert, geschweige denn um Zustimmung gebeten worden. Handelskommissar Lamy hatte sich wohl aus verhandlungstaktischen Gründen mit Rücksicht auf die USA umentschieden. Die in Seattle anwesenden Vertreter der Umweltministerien der EU traten eilig zu einer Sondersitzung des Umweltministerrats zusammen und kritisierten die neue Position der Kommission. Da die zuständigen Handels- und Wirtschaftsminister die Kommission in dieser Sache jedoch nicht "zurückpfiffen", blieb dieser Vorschlag erst einmal in der Welt. Glücklicherweise konnte aber nach dem Scheitern der Konferenz von Seattle zwei Monate später in Montreal das Biosafety-Protokoll unter Dach und Fach gebracht werden. Dennoch zeigt sich, daß durch intransparente und demokratisch nicht legitimierte Entscheidungsstrukturen in WTO und EU Bemühungen um eine stärkere Beachtung des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung leicht umgangen werden können.

Markus Krajewski

 

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