Europäisches Parlament fordert starke Regelung zu Sorgfaltspflichten: Schwachstellen des deutschen Entwurfs werden immer deutlicher
Eine große Mehrheit des Europäischen Parlaments hat gestern den Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen angenommen. 504 von 695 Parlamentarier*innen sprachen sich für den Bericht aus, der konkrete Empfehlungen an die Europäische Kommission für eine EU-weite Regelung der Lieferkettenverantwortung gibt. Inhaltlich geht er dabei weit über den verwässerten deutschen Gesetzesentwurf hinaus, auf den sich die Bundesregierung letzte Woche geeinigt hat.
Dementsprechend zufrieden war auch die Abgeordnete Lara Wolters, die den Bericht eingebracht hatte: „Für Unternehmen schaffen wir ein level playing field und Rechtssicherheit. Für Verbraucher*innen garantieren wir faire Produkte. Für Arbeiter*innen erhöhen wir den Schutz. Für Opfer von Menschenrechtsverletzungen verbessern wir den Rechtszugang. Und für die Umwelt gehen wir einen Schritt, der bereits lange überfällig war.“
In der Tat kommt der Bericht des EU-Parlaments genau rechtzeitig: Im Juni will Justizkommissar Reynders seine Pläne für eine europäische Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten vorstellen. Mit dem aktuellen Bericht des Parlaments und den Schlussfolgerungen des EU-Rates von Dezember 2020 hat er nun ein starkes Mandat. Mehrere Änderungsanträge, die einzelne Aspekte des Parlamentsberichts verwässern sollten, wurden von den Abgeordneten abgelehnt. Trotzdem werden in den kommenden Monaten intensive Debatten über den Anwendungsbereich, die Reichweite der Sorgfaltspflichten und die zivilrechtliche Haftung erwartet. Auch die Initiative Lieferkettengesetz hat eine Stellungnahme im Konsultationsverfahren der EU-Kommission eingereicht.
Wo steht der Vorschlag des EU-Parlaments im Vergleich zum deutschen Gesetzentwurf?
- Der Anwendungsbereich ist größer als der des deutschen Entwurfs: Statt einer Schwelle von 1.000 Mitarbeitenden schlagen die EU-Parlamentarier*innen vor, neben großen auch kleine und mittlere Unternehmen einzubeziehen, die an der Börse notiert oder in Risikosektoren tätig sind. Vor allem aber soll sich die EU-Regelung nicht nur auf Unternehmen mit Sitz in der EU beziehen, sondern alle erfassen, die auf dem EU-Markt Geschäfte machen wollen. Auch US-amerikanische und chinesische Firmen wären so erfasst – ein wichtiger Schritt, um ein „Level Playing Field“, also gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
- Sowohl der Bericht des EU-Parlaments als auch die Pläne von Kommissar Reynders beinhalten, wogegen sich der deutsche Wirtschaftsminister vehement und erfolgreich gesträubt hat: klare Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung. So sollen die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen vor europäischen Gerichten Schadensersatz erhalten können. Außerdem haben die Abgeordneten einen wichtigen Zusatz zum Bericht angenommen: Das EU-Parlament fordert, dass die Lieferkettenregelung als Eingriffsnorm ausgestaltet wird. Das heißt: Nicht das Recht des Landes, in dem der Schaden entstanden ist, müsste angewendet werden, sondern europäisches Recht. Im KiK-Fall war das das fehlende Puzzleteil, das zur Abweisung der Klage der Geschädigten führte.
- Die Reichweite der Sorgfaltspflichten von Unternehmen ist die größte Schwäche des deutschen Gesetzentwurfs: Jenseits der direkten Vertragspartner müssten Unternehmen Risiken nur in den Blick nehmen, wenn sie einen „Anlass“ dafür haben. Dagegen sieht der Bericht des Europäischen Parlaments vor, dass die gesamte Wertschöpfungskette erfasst ist und Unternehmen ihre Maßnahmen gemäß den bestehenden Risiken priorisieren. Kommissar Reynders ist hier noch deutlicher: „Die Sorgfaltspflichten müssen die gesamte Lieferkette betreffen. Viele Abgeordnete haben gesagt, wir müssen Kinderarbeit und Zwangsarbeit bekämpfen. Das findet häufig weit vorne in der Wertschöpfungskette statt“, sagte er in der Plenardebatte am Montag.
- Auch in Bezug auf Umweltfragen geht der Vorschlag des EU-Parlaments über den deutschen Gesetzentwurf hinaus. Im vorliegenden deutschen Gesetzentwurf sind keine eigenständigen umweltbezogenen Sorgfaltspflichten enthalten. Umweltstandards berücksichtigt der deutsche Vorschlag nur in Bezug auf Quecksilberemissionen sowie persistente organische Schadstoffe. Dagegen sieht der Bericht des EU-Parlaments eine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht vor und würde damit u.a. präventiv Menschenrechtsverletzungen begegnen, die durch schleichende Umweltzerstörung passieren könnten.
Dieser kurze Vergleich zeigt erneut: Beim deutschen Lieferkettengesetz gibt es noch Bedarf für Nachbesserungen. Der Bundestag darf den Gesetzentwurf nicht einfach durchwinken – oder gar auf Druck der Wirtschaftslobby noch weiter verwässern. Wenn das deutsche Parlament den Gesetzentwurf jetzt an entscheidenden Punkten nachschärft, hat Deutschland noch die Möglichkeit, zum Vorreiter in Sachen Wirtschaft und Menschenrechte zu werden.