"Fall Huaraz" hat Rechtsgeschichte geschrieben: Heute vor fünf Jahren wurde Klimaklage gegen RWE eingereicht
Huaraz/Bonn (24. Nov. 2020). Heute vor fünf Jahren, wenige Tage vor Beginn der historischen UN-Klimakonferenz von Paris, hat der peruanische Bergführer und Kleinbauer Saúl Luciano Lliuya seine zivilrechtliche Klage gegen RWE beim Landgericht in Essen eingereicht. Was damals seinen Anfang nahm, ist heute einer der weltweit meistbeachteten Präzedenzfälle für die Frage geworden, ob einzelne Großemittenten für den Schutz vor Klimarisiken aufkommen müssen, die Anderen durch ihr Tun entstanden sind.
Noch immer ist kein Ende des Verfahrens absehbar. Die Fortsetzung der Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgericht Hamm verzögert sich durch die Corona-Krise in Peru, ein in Huaraz anberaumter Ortstermin des Gerichts konnte noch nicht stattfinden. Aber schon mit der Entscheidung des OLG zur Beweisaufnahme vor knapp drei Jahren hat das Verfahren Rechtsgeschichte geschrieben, denn die drei Richterinnen und Richter haben den juristischen Sachverhalt geklärt: Prinzipiell kann ein privates Unternehmen für seinen Anteil an der Verursachung klimabedingter Schäden und Risiken zur Verantwortung gezogen werden. Nun geht es darum, in diesem Einzelfall den wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen den CO2-Emissionen der Beklagten und dem Risiko für den Kläger zu beweisen.
RWE soll anteilig erforderliche Schutzmaßnahmen am Gletschersee bezahlen
Saúl Luciano lebt mit seiner Familie in der Andenstadt Huaraz (Peru) und ist dort gemeinsam mit Tausenden weiteren Menschen dem Risiko einer zerstörerischen Flutwelle ausgesetzt. Der Grund liegt in einem durch die beschleunigte Gletscherschmelze stark wachsenden See oberhalb der Stadt. RWE soll nun vor Gericht dazu verpflichtet werden, sich finanziell an den erforderlichen Schutzmaßnahmen zu beteiligen. Und zwar in Höhe des Anteils von RWE am menschgemachten Klimawandel - rund 0,5 Prozent. „Vor fünf Jahren haben wir einen Kampf begonnen mit einem Gegner, der sich in der Atmosphäre als CO2 verbreitet. Dieser ist eine Gefahr für die Zivilisation auf dem Planeten, auf dem wir leben. Nach fünf Jahren habe ich erkannt: Es ist einfach, die Erde zu zerstören, aber sehr schwierig, sie wieder zu heilen", sagt Lliuya heute.
„Dieses Verfahren ist aus rechtlicher Sicht schon jetzt historisch“, betont seine Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen (Hamburg). „Keine andere vergleichbare Klimaklage weltweit hat bisher ein so fortgeschrittenes Stadium im Verfahren erreicht. Dass ein deutsches Gericht nun nach Huaraz fahren will, um die Situation vor Ort zu prüfen, zeigt die große Ernsthaftigkeit, mit der das Oberlandesgericht Hamm hier vorgeht."
Der „Huaraz-Fall“ hat auch Bedeutung für andere Unternehmen mit hohen Emissionen. “Die Musterklage zeigt, wohin die Reise geht“, sagt der Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif, der das Verfahren schon länger beobachtet. „Wer die Umwelt über Gebühr belastet, wird dafür zur Verantwortung gezogen werden. Nur nachhaltige Geschäftsmodelle werden sich in der Zukunft rentieren." Die Entscheidung des OLG Hamm, dass Klimaschäden zu einer Haftung von Unternehmen führen können, kann bereits Auswirkungen für die Berichtspflichten großer Emittenten weltweit haben.
Der Klimawandel führt ein "globales Nachbarschaftsverhältnis" herbei
„Die Huaraz-Klage hat schon jetzt bewirkt, dass Paragraf 1004 im Bürgerlichen Gesetzbuch neu gelesen wird. Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gegen Beeinträchtigungen des Eigentums durch einen Störer kommt normalerweise in Nachbarschaftsstreitigkeiten zur Anwendung“, erklärt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Im Huaraz-Fall hat das OLG Hamm entschieden, dass der Klimawandel mit seinen grenzüberschreitenden Auswirkungen eine Art globales Nachbarschaftsverhältnis herbeigeführt hat, sodass dieser Paragraf auch hier gilt. Ähnliche Paragrafen gibt es in vielen Ländern der Welt. So erhöht die Huaraz-Klage den Druck auf emissionsintensive Unternehmen, aber auch auf die Politik, den Regelungsbedarf in diesem Bereich ernsthafter anzugehen.
Klaus Milke, Vorsitzender der Stiftung Zukunftsfähigkeit, sagt: „Unsere Stiftung übernimmt entsprechend der dem Kläger zu Anfang des Verfahrens gegebenen Zusage auch weiterhin die Gerichts-, Anwalts- und Gutachtenkosten in diesem wichtigen Präzedenzfall und ruft dafür zu Spenden auf. Es ist großartig, dass auch Germanwatch weiterhin mit seiner Expertise zu Klimaklagen beratend aktiv ist."