Blogpost | 15.10.2020

Antibiotikamissbrauch in der Kälbermast stoppen

Was EU und Bundesregierung jetzt tun müssen
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Aktuell ist es in der Kälbermast Routine, Antibiotika zu verwenden. Die Mengen der eingesetzten Antibiotika je Kilogramm Tierfleisch stagnieren praktisch seit Jahren auf einem hohen Niveau. Wie häufig die Tiere Antibiotika verabreicht bekommen, hängt dabei unmittelbar von der Haltungsart und der Betriebsgröße ab. In großen und in spezialisierten Kälbermastbetrieben ist die verabreichte Antibiotikamenge beispielsweise überproportional hoch. Die EU-Kommission entscheidet bis Ende des Jahres, ob die für Menschen wichtigsten Reserveantibiotika in Tierhaltungen verboten werden. Germanwatch fordert dieses Verbot und eine drastische Verbesserung der Tierhaltungsregeln.

Ein Grund für den hohen Antibiotikaverbrauch bei konventionellen Mastkälbern ist das System der Kalbfleischerzeugung mit industriellen Maßstäben. Kälber werden meist von Viehhändler*innen aus verschiedenen Herkunftsbetrieben eingesammelt, auf Auktionen versteigert und schließlich in einem Kälbermastbetrieb zusammengewürfelt. Der Tiertransport, die Zusammenkunft von Tieren mit unterschiedlichem Gesundheitszustand, die Umstallung und der Tränkewechsel belasten die jungen Tiere und erhöhen die Gefahr einer Infektion.

Antibiotische Behandlungen scheinen im bestehenden Kälbermastsystem unvermeidbar, um bei den gemischten Herkünften der Tiere mit ihrem breiten Erreger-Mix, die daraus resultierenden Infektionskrankheiten in den Griff zu bekommen.

Während Kälber, die auf dem Milchkuhbetrieb bleiben, auf dem sie geboren sind, eher eine Einzeltierbehandlung erfahren, werden Kälber in reinen Aufzuchtbetrieben deutlich häufiger metaphylaktisch behandelt. Das bedeutet, dass die ganze Herde Antibiotika erhält, auch wenn nur wenige Tiere Symptome zeigen – somit werden auch gesunde Tiere mitbehandelt.


„Berichten zufolge werden Kälber recht häufig auf Sammelstellen oder bei Viehhandelsunternehmen antibiotisch versorgt und dann vorbehandelt in Mastbetriebe verbracht. Sammelstellen und Viehhandelsunternehmen gelten nicht als Tierhalter*innen, da die Tiere dort nicht einmal einen ganzen Tag gehalten werden; sie unterliegen somit ebenfalls nicht der Mitteilungspflicht und die Behandlung dieser Kälber wird ebenfalls nicht vom Antibiotikaminimierungskonzept erfasst.“
 
(BMEL 2019, S. 26)



Antibiotikarückstände sogar im Kalbfleisch

Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) enthalten 7 Prozent der Kalbfleischproben Antibiotikarückstände (BVL 2016). Das sind mehr als bei jedem anderen Lebensmittel liefernden Tier. Schon geringe Mengen an Antibiotikarückständen tragen dazu bei, dass Erreger Resistenzen entwickeln, mit denen sie gegen Antibiotika unempfindlich werden. Krankheitserreger mit diesen Resistenzgenen können Menschen krank machen und sie können bei Behandlungen bestimmte Antibiotika unwirksam werden lassen. Darüber hinaus können Erreger – oft ohne sich zu vermehren – die Resistenzeigenschaften an andere Keime weitergeben, die dann auch Antibiotika wirkungslos machen. Daher bergen Antibiotikarückstände im Kalbfleisch das Risiko, dass Verbraucher*innen oder auch Küchen- und Verkaufspersonal sich Antibiotikaresistenzen einfangen. Wenn sie dann eine Infektion erleiden, schlagen Antibiotika oft nicht mehr an und die Therapiemöglichkeiten für Betroffene können stark eingeschränkt sein.

Antibiotikarückstände und -resistenzen haben daher in der Lebensmittelkette nichts zu suchen. Die Resistenzgene verbreiten sich über Mensch, Tier und Umwelt (z.B. Wasser).

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Antibiotikaresistenzen beim Kalb steigen

Staatliche Untersuchungen zeigen, dass Kälber immer häufiger antibiotikaresistente Erreger in sich tragen. Der Anteil an Erregern mit Resistenzgenen (ESBL[1]-bildende Keime) ist innerhalb von 10 Jahren (2007 bis 2017) von rund 7 Prozent auf über 30 Prozent angestiegen. Die resistenten Erreger gelangen mit der Abluft und der Gülle der Tiere in die Umwelt und können sich dort ausbreiten. Auch bei der Schlachtung können die Erreger auf das Fleisch und damit in die Lebensmittelkette bis in unsere Küchen gelangen.

Nach Einführung der Antibiotikadatenbank, die seit 2014 erfasst wie häufig Mastbetriebe Antibiotika verabreichen, war zunächst einen Rückgang auf gut 25 Prozent abzulesen. Seither steigen die Resistenzraten bei Kälbern allerdings wieder an.

Das ist kein Wunder, denn der Antibiotikaverbrauch in der Kälbermast ist im Zeitraum 2014 bis 2017 fast unverändert hoch geblieben. Während in der Schweinemast über 40 Prozent weniger Antibiotika verbraucht wurden, erhielten Mastkälber 2017 gerade einmal 4 Prozent weniger Antibiotika als 2014 (BMEL 2019). Bei diesem kontinuierlichen Antibiotikaeinsatz lernen Keime, sich gegen Antibiotika zu wehren.

Frisches Fleisch von Mastkälbern ist in Deutschland zu etwa 10 bis 12 Prozent mit dem Methicillin-resistenten Erreger Staphylococcus aureus (MRSA) kontaminiert (BVL 2018). Das sind Bakterien, die gegen das Antibiotikum Methicillin und viele weitere Antibiotika resistent sind. Hinzu kommt, dass 4 Prozent des Kalbfleisches im Supermarkt mit anderen Resistenzgenen, den ESBL-bildenden Krankheitserregern, kontaminiert ist, die beim Menschen sehr ernsthafte Infektionen auslösen können. Infiziert sich ein Mensch mit MRSA oder ESBL-bildenden Bakterien, wirken eine Anzahl Antibiotika nicht mehr.

Die gute Nachricht: Werden Zucht- und Masttiere nicht oder nur als Einzeltier mit Antibiotika behandelt, dann können Keime im Stall und bei den Tieren die Resistenzen auch wieder verlieren. So finden sich z.B. bei Tieren aus Ökologischem Landbau ganz erheblich weniger Antibiotikaresistenzen inklusive in deren Fleisch (BVL 2017).
 


Germanwatch fordert EU und Bundesregierung zum sofortigen Handeln auf

  • Reserveantibiotika in Tierhaltungen verbieten. Die EU-Kommission kann und muss Reserveantibiotika in der Massentierhaltung verbieten, weil sie die für Menschen wichtigsten Antibiotika sind, die im Notfall wirken sollen, wenn viele andere Antibiotika bereits versagen. Erfolgt das Verbot nicht EU-weit, dann muss die Bundesregierung Reserveantibiotika für Lebensmittel liefernde Tiere verbieten.
  • Pflicht zum Wirksamkeitstest (Antibiogramm-Pflicht). Tierärzt*innen müssen bei Antibiotikaeinsätzen grundsätzlich testen, ob und welches Antibiotikum genau gegen einen Krankheitserreger wirkt, um Falschverschreibungen und Missbrauch zu stoppen. Die EU-Kommission muss diesen Wirksamkeitstest für alle Antibiotika einführen.
  • Die Bundesregierung muss das EU-Reduktionsziel von minus 50 Prozent Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung bis 2030 zu ihrem Ziel erklären. Zur Zielerreichung gilt es, den gesetzlichen Tierschutz so zu verbessern, dass Antibiotika zur Ausnahme werden, statt zur Regel (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verbessern). Ergänzend sollte sie für den Tierschutz aller Tiere in der Landwirtschaft unverzüglich die Borchert-Empfehlungen zum Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung umsetzen – mit Hilfe einer Fleischabgabe von 40 Cent je Kilogramm für umstellungswillige Landwirt*innen.
  • Die Bundesregierung muss zusätzlich eine Abgabe auf Antibiotika erheben, um Investitionen in tiergerechtere Haltungssysteme vorzüglicher gegenüber dem massenhaften Einsatz von Antibiotika zu machen. Das Recht für Tierärzt*innen, am Verschreiben und Verkaufen von Antibiotika gleichzeitig zu verdienen, muss beendet werden.
  • Die Bundesregierung muss das Arzneimittelgesetz (AMG) nachbessern, den Antibiotikaeinsatz nach Dosis bei allen Tieren erfassen und Antibiotikamissbrauch ahnden.

 

Gefahr erkannt – aber nicht gebannt! Bundesregierung untätig, obwohl Antibiotikareduktion bei Kälbern und Geflügel gescheitert ist

Der hohe Antibiotikaverbrauch in Kälber- und Geflügelställen in Deutschland ist nicht illegal oder das Werk von schwarzen Schafen, sondern passiert ganz legal im Rahmen der Gesetze. Die Bundesregierung ist bisher untätig. Bei der jüngsten Novelle des Arzneimittelgesetzes hat sie zwar Dokumentationspflichten verändert, nicht aber die Regeln, die für eine Antibiotikaminimierung notwendig verbessert werden müssen. Obwohl seit 2019 die Evaluation ihres Antibiotika-Minimierungskonzeptes zeigt, dass beim Kälberfleisch ebenso wie bei Geflügelfleisch seit 2014 der massive Antibiotikaverbrauch praktisch stagniert. Sie ist aus Sicht von Germanwatch daher mitverantwortlich für die wachsenden Gesundheitsrisiken, die mit den Antibiotikaresistenzen aus Ställen auch für Menschen resultieren. Und sie ist verantwortlich für das andauernde Leid der Kälber und anderer Tierarten in industriellen Stallanlagen. Viele Tiere erreichen in diesem System von Hochleistungszucht und engster Haltung in riesigen Herden die Schlachtbank nur, wenn der Antibiotikaverbrauch von im Schnitt fast 90 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Tier in Deutschland erlaubt bleibt. Den Verbrauch von Antibiotika zu reduzieren, ist dabei kein Ding der Unmöglichkeit. Länder wie Dänemark (45 mg Antibiotika je kg Fleisch) oder Schweden (12 mg Antibiotika je kg Fleisch) erzeugen Fleisch und Milch bei einem weniger als halb so hohen Antibiotikaeinsatz wie Deutschland (EMA 2019).          

Hoffnung setzt Germanwatch in die „Farm to Fork“-Strategie der EU-Kommission, die eine Halbierung des Antibiotikaverbrauchs bis 2030 vorsieht.

Die EU-Kommission kann ihre Glaubwürdigkeit bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen am besten unter Beweis stellen, indem sie in den Rechtsakten zur EU-Tierarzneimittel-Verordnung (EU 2019, S. 6) die Reserveantibiotika EU-weit verbietet und für alle anderen Antibiotika einen Erregertest vorschreibt, den Tierärzt*innen – ebenso wie jeden Antibiotikaeinsatz – dokumentieren müssen.


Antibiotikamissbrauch im Stall geschieht im Rahmen der geltenden Gesetze ganz legal. Verbraucher*innen empfiehlt Germanwatch, auf Kalbfleisch zu verzichten. Wenn es unbedingt Fleisch sein soll, dann nur Fleisch aus Ökolandbau oder mit dem Siegel des Deutschen Tierschutzbundes.


Germanwatch meint: Das System der industriellen Kälbermast muss beendet und durch regional flächengebundene, besonders artgerechte und klimaschonende Haltungssysteme wie Weidemast ersetzt werden. Viele Landwirt*innen praktizieren dies schon, z.B. Mutterkuhbetriebe und Ökolandbau-Höfe. Die Zahl der Kühe in der Milchviehhaltung muss insgesamt reduziert werden, damit das anhaltende Überangebot von Kälbchen und der damit einhergehende Verlust der Wertschätzung des Einzeltieres aufhört. Aber damit sich die Wertschätzung und der Umgang mit den Einzeltieren verbessern kann, ist es wichtig, dass auch die Milcherzeugerpreise steigen.

 

 

[1] ESBL-Bildner: Keime, die das Enzym Extended Spectrum Beta Lactamasen bilden und damit eine Reihe von Antibiotika unwirksam machen können

Autor:innen

Reinhild Benning, Friederike Teller, Luise Fock und Katharina Brandt

Ansprechpersonen

Echter Name

Referentin für Agrarpolitik