Meldung | 21.07.2020

„Es ist wichtig, dass wir jetzt etwas tun, um unsere Zukunft zu schützen“

Lüke Recktenwald aus Langeoog setzt sich zu Hause und vor Gericht für Klimaschutz ein.
Lüke Recktenwald auf Langeoog

Lüke Recktenwald ist ein echter „Insulaner“. Seine Familie ist seit vier Generationen auf der Nordseeinsel Langeoog zu Hause und betreibt ein Hotel und ein Restaurant. Ob Lüke in Zukunft wie seine Eltern auf der Insel leben und arbeiten kann, ist ungewiss, denn Langeoog ist von der Klimakrise zunehmend bedroht. In diesem Interview erzählt er, wie er die Klimakrise sowie auch die Zeit von COVID-19 auf der Insel erlebt und warum er sich entschieden hat, für Klimaschutz vor Gericht zu ziehen.

Lüke, was machst du derzeit?

Momentan gehe ich noch in Esens in Ostfriesland auf eine weiterführende Schule. Der Präsenzunterricht hat nach der Schließung wegen Corona wieder angefangen. Allerdings wurde unser Jahrgang nach unserer Klausurenphase aufgeteilt, sodass ich vor den Sommerferien nur jede zweite Woche Präsenzunterricht hatte und die andere Zeit weitestgehend auf der Insel verbringe. Aber auch sonst verbringe ich meistens die Wochenenden und meine Ferien auf Langeoog. In dieser Zeit helfe ich im Restaurant meiner Familie aus. Meine Freizeit verbringe ich gerne mit meinen Freunden am Strand.

Wie hast du die Corona-Krise auf der Insel bislang erlebt?

Wir waren und sind nach wie vor stark von der Corona-Krise betroffen. Ende März mussten wir das Hotel und das Restaurant schließen. Manche unserer Mitarbeiter hatten nicht mehr die Möglichkeit, nach Hause zu kommen und sind auf der Insel geblieben. Es war eine sehr angespannte und bedrückende Stille auf der Insel. Normalerweise beginnt in dieser Zeit ja die Saison. Da wir Insulaner direkt oder indirekt vom Tourismus leben, waren alle sehr besorgt darum, wie es nun weitergeht. Meine Familie hat versucht, das Beste aus der Zeit zu machen. Wir haben unseren Online-Shop ausgebaut, um unsere regionalen Bio-Produkte zu verkaufen. Inzwischen konnten wir das Restaurant und auch das Hotel wieder öffnen, aber natürlich nur unter strengen Sicherheitsauflagen.

Neben der Corona-Krise beschäftigt Dich aber auch der Klimawandel…

Ja, der Klimawandel beschäftigt uns immer mehr. Auf Langeoog kann man die Folgen schon jetzt beobachten. Die Zeit der Sturmfluten fängt inzwischen früher an als sonst. Dadurch werden Strände und Dünen abgetragen. Besonders an der Ostseite der Insel, wo die Dünen nicht so hoch sind, besteht das Risiko, dass das Wasser durch die Dünen bricht und unsere Süßwasserlinse, die uns mit Trinkwasser versorgt, versalzt. Auch unser Restaurant befindet sich auf einer Düne. Inzwischen muss schon zweimal im Jahr Sand aufgespült werden. Diese aufwendigen Landsicherungsmaßnahmen waren früher nur alle drei Jahre nötig; sagen meine Eltern. Sie sind sehr teuer für das Land Niedersachsen, aber für uns lebenswichtig. Die Strandabschnitte sollten in der Zeit gemieden werden, denn es ist ein lebensgefährliches Spülfeld. Die Arbeiten mit den schweren Fahrzeugen und Maschinen beeinträchtigen nicht nur den Tourismus, sondern belasten auch die Umwelt.

Du bist gemeinsam mit weiteren Jugendlichen für mehr Klimaschutz vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Wie kam es dazu?

Meine Eltern setzten sich schon lange für Klimaschutz ein. Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam mit weiteren Familien aus verschiedenen Ländern eine Klage beim europäischen Gericht eingereicht. Damit fordern wir die EU auf, mehr für den Klimaschutz zu tun und unsere Grundrechte zu schützen. In unserem Fall geht es um unseren Betrieb und damit um unser Leben auf Langeoog. Die anderen Kläger leben von der Landwirtschaft oder haben ein Hotel so wie wir. Alle leiden schon jetzt unter den Folgen des Klimawandels. Die Klage wurde abgewiesen, aber wir sind in die zweite Instanz gegangen und warten nun auf ein Urteil. Gemeinsam mit unserer Anwältin Dr. Roda Verheyen ist die Idee einer Klage in Deutschland entstanden. Gemeinsam mit acht weiteren Jugendlichen aus Deutschland habe ich eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Es geht dabei um das deutsche Klimaschutzgesetz, das zu schwach ist, um unsere Grundrechte vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Die EU und Deutschland müssen mehr für Klimaschutz tun.

Warum klagen diesmal nur junge Menschen?

Die Verfassungsbeschwerde bezieht sich auf unsere Zukunft, die uns durch politische und wirtschaftliche Fehlentscheidungen von Menschen aus vorherigen Generationen genommen wird. Die Erderwärmung wird zunehmen und wir werden besonders mit den Auswirkungen konfrontiert sein. Ich möchte die Möglichkeit haben, genauso wie meine Eltern auf Langeoog zu leben und zu arbeiten. Doch das ist nicht möglich, wenn die Dünen den Sturmfluten nicht mehr standhalten, das Trinkwasser auf der Insel versalzt oder unser Betrieb in Gefahr ist. Genauso geht es den anderen Klägern, die zum Beispiel später in der Landwirtschaft auf dem Hof ihrer Familie arbeiten möchten und schon jetzt unter starker Dürre leiden. Es ist wichtig, dass wir jetzt etwas tun, um unsere Zukunft zu schützen.

Informationen zur Verfassungsbeschwerde finden Sie hier

Informationen zum People’s Climate Case finden Sie hier


Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten auf Langeoog:

Die Zunahme der Sturmfluten ist u.a. auf den Anstieg des Meeresspiegels zurückzuführen.
Das Bundesland Niedersachsen passt sich schon jetzt an die Veränderungen des Klimawandels an und erkennt an, dass sich vor allem die Auswirkungen von Sturmfluten aufgrund des steigenden Meeresspiegels verschlimmern werden.

Die klimapolitische Umsetzungsstrategie des Bundeslandes Niedersachsen sieht ein Langzeitprogramm vor, das Maßnahmen zur Anpassung an einen erhöhten Meeresspiegel beinhaltet. Dieser Anstieg wird auf 50 cm bis zum Jahr 2100 beziffert. Vorsorglich sollen dazu die Deiche erhöht werden, nicht jedoch die Dünen. Bereits vorhandene Küstenschutzmaßnahmen sollen bis zu einem Meeresspiegelanstieg von 100 cm ausgeweitet werden.

Küstenschutzmaßnahmen Langeoog

Die Küstenerosion auf Langeoog ist bereits heute erheblich, wie die Klägerfamilie beobachtet. Seit 1971 wurde etwa 2,9 Millionen m³ Sand rund um die Insel abgelagert, um die Dünen zu schützen.

Doch die Ausgangsebene der staatlichen Anpassungspläne, die einen Meeresspiegelanstieg von 50 cm bis Jahr 2100 zu Grunde legt, könnte zu niedrig angesetzt sein, wenn man die aktuellen wissenschaftlichen Schätzungen betrachtet.

Bereits im fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2014 geben die WissenschaftlerInnen einen Höchstwert von mehr als 80 cm bis 2100 an. Diese Einschätzungen wurden in den vergangenen Jahren wegen des neu gewonnenen Wissens über die potenziellen Instabilitäten der antarktischen Eisdecke beträchtlich angehoben. Neuste Prognosen zeigen, dass ein globaler Meeresspiegelanstieg von bis zu 200 cm bis 2100 ein denkbares Szenario darstellt.

Langeoog Sandaufspülung

KlimaforscherInnen des Deutschen Klimakonsortiums, der Helmholtz-Klima-Initiative, Scientists for Future und Klimafakten.de halten fest: „In den kommenden Jahrhunderten sind mehrere Meter Meeresspiegelanstieg zu erwarten. Was wir allerdings beeinflussen können und sollten, ist, wie stark der Meeresspiegelanstieg in den kommenden Jahrhunderten sein wird. Je später die Menschheit ihren Ausstoß an Treibhausgasen senkt, desto stärker steigen langfristig die Meere. Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung führt jede Verzögerung des Emissionshöhepunkts um weitere fünf Jahre zu 20 Zentimetern zusätzlichem Meeresspiegelanstieg bis 2300.“ (sehen Sie dazu: Fakten aus der Wissenschaft, März 2020)
Die Familie Recktenwald wird von zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein, so wie auch ihr Eigentum, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Gestaltung ihres zukünftigen Lebens.

Informationen zur Klimawandel- Betroffenheit der Familie Recktenwald können Sie dem Annex der Klageschrift des People’s Climate Case entnehmen.

Fotos: Lüke Recktenwald/Germanwatch