Ostukrainische Kohlestädte schließen sich mit Unterstützung von Germanwatch in Plattform für den Strukturwandel zusammen
Pressekonferenz in Kyiv mit Teilnahme von Germanwatch und der Kohlestadt Pokrovsk, die Mitglied der Plattform ist. (Bild: Valerii Novykov)
Gute Nachrichten aus dem Donbass? So etwas gibt es. In der Ostukraine nehmen von Krieg, Wirtschaftskrise und dem beginnenden Auslaufen der Kohleverstromung besonders betroffene Städte ihr Schicksal nun verstärkt selbst in die Hand. Fünf Kohlestädte im ukrainisch kontrollierten Teil des Donbass haben eine gemeinsame Plattform zur proaktiven Gestaltung ihres Strukturwandels gegründet – für neue Perspektiven neben und nach der Kohle. "Nachhaltige Entwicklung von Kohlestädten des Donezker Gebiets" heißt sie und ist der erste derartige Zusammenschluss von Kohlestädten in der Ukraine.
Bürgermeister Andrey Silich aus Vuhledar dazu: „Unsere Städte haben gut ausgebildete Fachkräfte und eine lange industrielle Tradition. Aber allein mit der Kohle haben wir keine Perspektive. Wir müssen uns wirtschaftlich diversifizieren und weiterentwickeln. Im Rheinischen Revier haben wir gesehen, wie wichtig es ist, sich früh auf den Rückgang der Kohle vorzubereiten."
Zur feierlichen Unterzeichnung des Plattform-Memorandums Ende Mai kamen zunächst vier BürgermeisterInnen und ebenso viele NGOs und Verbände der wichtigsten Kohlestädte des ukrainisch kontrollierten Donbass zusammen. Im Juni folgte nun Vuhledar. Doch die Plattform wächst weiter. Eine sechste Donbass-Stadt, Selidovo, plant derzeit ihren Beitritt.
Diese Städte haben den Dekarbonisierungstrend in Europa erkannt und wollen den Strukturwandel pro-aktiv gestalten. Ihr Fokus dabei liegt auf Innovationsförderung, neuen Industrien und Technologien, Energieeffizienz, Umweltschutz, Infrastruktur und sozialer Stabilität.
Initialzündung war eine Studienreise, die Germanwatch für die Kohlestädte im November 2018 organisiert hatte. Irina Suschtschenko, stellvertretende Sprecherin des Parlaments der 75.000-Einwohnerstadt Pokrovsk sagt: „In Deutschland haben wir mit eigenen Augen gesehen, dass Abwarten keine Perspektive hat.“
Die Donbass-Städte sind wirtschaftlich und sozial von der Kohleförderung aus größtenteils unprofitablen und veralteten Schächten abhängig. In ihrem Memorandum benennen die Städte klar die Gefahren und Nachteile der Kohleförderung, bekennen sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens und bekräftigen ihre Bereitschaft für einen pro-aktiven Strukturwandel. Bereits im April 2019 hatten die BürgermeisterInnen ihren Ansatz in Brüssel als einzige nicht-EU-Delegation bei der Coal Regions in Transition Platform der EU vorgestellt.
Deutschlands Engagement weiter ausbauen
Germanwatch engagiert sich seit 2017 in der Kooperation mit der Ukraine und arbeitet dabei eng zusammen mit ukrainischen und deutschen Partnerorganisationen sowie Behörden. Aus Sicht von Germanwatch setzen die Bundesregierung und die EU bereits wichtige Akzente für eine Paris-kompatible Entwicklung der Ukraine. Insbesondere der neue Energieeffizienzfonds und die Dezentralisierungsreform sind wichtige Schritte für eine zukunftsfähige Entwicklung der Ukraine. Das Potenzial ist jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft und die Zusammenarbeit noch nicht ausreichend konsequent auf die Chancen sowie den Schutz vor den Risiken der Dekarbonisierung ausgerichtet. Insbesondere sei die Zusammenarbeit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht ausreichend. Aus Sicht von Germanwatch kehrt zudem die Ostukraine zu langsam auf den Radarschirm der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zurück.
„Der Amtsantritt des neuen ukrainischen Präsidenten eröffnet Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der Kooperation mit der Ukraine“, sagt Oldag Caspar, Teamleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch. „Es wäre jetzt hilfreich, wenn Bundesregierung und Europäische Kommission ihre Bereitschaft für eine langfristige, strategische Energiewendepartnerschaft mit der Ukraine deutlich hörbar erklären würden.“ Das bisherige deutsche Engagement – insbesondere für Energieeffizienz und Dezentralisierung – reiche noch nicht aus. „Investorinnen und Investoren in Erneuerbare brauchen zum Beispiel mehr Sicherheitsgarantien, die Kohleregionen bräuchten verstärkte Beratung und Modellprojekte und die ukrainische Regierung benötigt mehr politische Unterstützung zur Erarbeitung eines anspruchsvolleren Klimaziels“, so Caspar.
In der Ukraine werden bereits in den kommenden Jahren Investitionsentscheidungen für Jahrzehnte gefällt, die pro Kohle ausfallen könnten. Gleichzeitig braucht die Ostukraine für mehr politische Stabilität erkennbare wirtschaftliche Entwicklungschancen. Die müssten aber mit den Pariser Klimazielen zusammenpassen. „Sollte der Strukturwandel im Donbass hin zu Energieeffizienz, Erneuerbaren Energien und neuen Industrieprozessen nicht gelingen, wäre das eine Riesenhypothek für Frieden und Stabilität in der Ukraine“, erläutert Caspar. „Europa darf nicht zuschauen, wenn die Industrieregionen der Ukraine drohen, völlig abgehängt zu werden. Mit der Plattform der Kohlestädte gibt es jetzt einen ernsthaften neuen Partner für gemeinsame Projekte.“
Germanwatch unterstützt gemeinsam mit den ukrainischen NGOs Ecoaction und Alternativa die Donbass-Kohlestädte für einen mit den Klimazielen kompatiblen Strukturwandel, u. a. durch Workshops, Studienreisen und eine wissenschaftliche Studie. Das entsprechende Projekt wird gefördert von Engagement Global aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Autor:innenMartin Schön-Chanishvili |