Blogpost | 30.07.2018

Kosovo: Energiewende trotz 97% Braunkohleverstromung möglich?

Blog-Beitrag von Martin Schön-Chanishvili und Eva Schmid, Juli 2018
Bild: Blog-Beitrag Kosovo Phasing in Renewables

Im Juli 2018 stellte Martin Schön-Chanishvili in Pristina die Studie "Phasing in Renewables" vor.

Anfang Juli veröffentlichte Germanwatch die Kosovo-Studie "Phasing in Renewables" und diskutierte diese in Pristina mit Entwicklungsorganisationen, Ministerien, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Kosovo steht vor einer Reihe typischer Herausforderungen des Westbalkans, der stark von der Kohlenutzung geprägt ist und mit großen sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Germanwatch begleitet deshalb bis 2020 eine Energiewende in Kosovo in einem BMZ-geförderten Projekt, gemeinsam mit der Balkan Green Foundation (BGF). Die Studie ist das erste Ergebnis des Projekts.


In Pristina begann die Diskussion um die Germanwatch-Studie mit pointierter Kritik von Seite der technisch Verantwortlichen: "Erneuerbare Energien sind natürlich sinnvoll. Aber wir müssen Versorgungssicherheit gewährleisten. Können Erneuerbare die Kohle überhaupt ersetzen? Wir haben die fünftgrößten Braunkohlevorkommen der Welt!" Mit diesen Worten leitete ein führender Mitarbeiter des staatlichen Übertragungsnetzbetreibers KOSTT die Diskussion um die Energiezukunft von Kosovo ein. KOSTT ist Mitglied der 15-köpfigen Kerngruppe des aktuellen Kosovo-Projekts von Germanwatch (s. Kasten). Die Kerngruppe besteht aus dem mittleren Management aus Ministerien, Experteneinrichtungen, NGOs und Wissenschaft.

Als "schlimmste einzelne Emissionsquelle in Europa" bezeichnete die Weltbank das Kraftwerk Kosovo A. Wohin geht es in Zukunft mit der Braunkohle? (Bildquelle: Lograsset/Wiki Commons)

Studie zeigt: Energiewende möglich

Die Studie von Germanwatch und BGF sendet hier eine klare Botschaft: Eine Energiewende in Kosovo ist nicht nur technisch möglich. Denn das Land hat gutes Potenzial für Wind- und Solarenergie (wie z. B. eine aktuelle IRENA-Studie zeigt) sowie ausgezeichnete Vernetzungsmöglichkeit mit der albanischen Wasserkraft. Die Energiewende in Kosovo ist auch unbedingt notwendig, um den CO2-Ausstoß zu verringern, die Luftqualität zu verbessern und neue wirtschaftliche und soziale Perspektiven für das jüngste Land Europas zu schaffen.

In der Studie skizzieren zehn AutorInnen aus Wissenschaft, Beratung und Praxis auf der Basis von Energiewende-Erfahrungen in anderen Ländern, welchen Herausforderungen sich Kosovo bei seiner Energiewende stellen muss, und welche Lösungsansätze es gibt. Die Studie beleuchtet drei Arten von Herausforderungen: technologische, wirtschaftliche und rechtliche. Außerdem wird auf die möglichen Chancen einer zirkulären Migration für eine Energiewende in Kosovo eingegangen. Die vorgeschlagenen Lösungen sollen als Diskussionsgrundlage und Inspirationsquelle für den Diskurs in Kosovo dienen. Die AutorInnen zeigen in ihren Analysen die vielfältigen Vorteile einer Energiewende für Kosovo: technologische Innovation, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Möglichkeiten für die Rückkehr der Diaspora, Stabilisierung von ländlichen Gebieten sowie Friedensbildung durch regionale Kooperation.

Die Studie zeigt, dass es für alle technischen Herausforderungen einer Energiewende bereits Lösungen gibt, die in anderen Ländern eingesetzt und erfolgreich erprobt werden. Eine zentrale Rolle spielen hier der regionale Strommarkt, der Netzausbau und Speichertechnologien. Aus wirtschaftlicher Perspektive besteht die größte Herausforderung darin, die hohen Kosten der Finanzierung von Erneuerbaren-Projekten in Kosovo zu senken. Auch ist es wichtig, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass langfristige Planungssicherheit für Investoren gegeben ist. Insgesamt kristallisiert sich bei der Analyse in der Studie heraus, dass die größte Hürde für eine Energiewende in Kosovo die politische Geisteshaltung ist: Noch wird die Energiepolitik dominiert von dem anachronistischen Dogma, dass Braunkohle der Kern der Energieversorgung sein muss und Erneuerbare diese nur ergänzen könnten. Erneuerbare Energien wären jedoch eine nachhaltige und erfolgsversprechende Lösung für einen gut vernetzten Westbalkan. Die verschiedenen Länder ergänzen sich sehr gut, was die Potentiale von den fluktuierenden Erneuerbaren Energien Wind und Sonne, sowie der regelbaren Erzeugung in Wasserkraftwerken angeht.

Projektbeschreibung:

Eine Multiakteurspartnerschaft für die Energiewende im Kosovo
 

Projektpartner: Germanwatch und Balkan Green Foundation
Laufzeit: drei Jahre, November 2017 bis November 2020
Ziel: Erarbeitung einer politisch und gesellschaftlich tragfähigen Vision für die Energiewende im Kosovo, eingebettet in den Westbalkan. Konkretisierung von konkreten Handlungsmöglichkeiten und Zielvorstellungen für die Energiewende und den Braunkohle-Ausstieg.          
Förderer: Engagement Global aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
Ansatz: Das Projekt bringt Schlüsselakteure aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Sie entwickeln im Kontext ihrer unterschiedlichen Interessen eine gemeinsame Vision der Energiewende im Kosovo und definieren konkrete Eckpunkte für das Vorgehen. Dies soll die sozio-ökonomischen Herausforderungen und Bedürfnisse der breiten Bevölkerung mit berücksichtigen. Das Projekt nutzt dafür deutsche Erfahrungen mit der Energiewende - technischer und politischer Art.
Aktivitäten: Das Projekt bietet Expert-Know-how und Prozessbegleitung an.
Einzelne Aktivitäten sind:

  • Studienreisen und Expertenberatungen
  • Workshops, Seminare, Konferenzen
  • wissenschaftliche Studien und Publikationen
  • Unterstützung für zwei innovative Leuchtturmprojekte
Kohlediskurs à la Deutschland
 

Das Eingangs-Statement von KOSTT erinnert dabei an die kontroversen Diskussionen in Deutschland um den Kohleausstieg: Versorgungssicherheit und bestehende Ressourcen sind zentrale Argumente für die Kohle und gegen eine schnelle Energiewende. In Zeiten, in denen Wirtschaftsakteure und Versicherer sich massiv aus fossilen Energieträgern zurückziehen und Erneuerbare immer billiger werden, begibt sich Kosovo mit einer solchen Politik allerdings in eine gefährliche Pfadabhängigkeit. Der Erhalt oder Neubau von Kohlekraftwerken birgt (neben den immensen Kosten für Umwelt und Gesundheit) das Risiko von "stranded investment". Die Kraftwerke werden spätestens bei einer effektiveren CO2-Bepreisung nicht mehr konkurrenzfähig sein – dies hat bereits 2017 die Studie des SEERMAP-Konsortiums gezeigt.  

Der Energiesektor auf dem Balkan ist stark durch Kohle geprägt. In fünf Ländern waren 2017 noch 37 Kraftwerksblöcke aktiv, 13 neue Kraftwerke sind geplant, viele mit chinesischer Beteiligung. Die Republik Kosovo ist dabei das Braunkohleland in der Region schlechthin, mit 97% Braunkohle im Strommix. Gleichzeitig ist Kosovo eines der Länder mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Europa (30% Arbeitslosigkeit, 56% bei jungen Menschen), sehr schlechten Energieeffizienzwerten (alleine ca. 30 % Verluste im Stromverteilungsnetz) und wird nach wie vor von seinem wichtigen Nachbarn Serbien nicht anerkannt. Wenn also eine Energiewende in Kosovo gelingt und neue Entwicklungsperspektiven befördert, kann dies auf die ganze Region als Leuchtturm wirken.

Germanwatch und die Balkan Green Foundation haben deshalb das Projekt "Eine Multiakteurspartnerschaft für eine Energiewende in Kosovo" mit Unterstützung der Engagement Global (BMZ) begonnen. Das Projekt bietet deutsches und europäisches Know-how und bringt die zentralen Akteure in Kosovo zusammen, um an einer Vision und Roadmap für eine Energiewende zu arbeiten. Im Ergebnis des Projekts wird die Kerngruppe aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft der kosovarischen Regierung im Jahr 2020 Empfehlungen für eine Überarbeitung ihrer Nationalen Energiestrategie übergeben. Das Projekt wird außerdem zwei kleine Leuchtturmprojekte in Kosovo initiieren, die von einer Jury ausgewählt werden.

GIZ-Programmkoordinator Kai Hofmann, Dardan Sejdiu (mitte), stv. Vorsitzender der Kommission für wirtschaftliche Entwicklung des Parlaments und Dirk Buschle, stv. Direktor des Sekretariats der Energy Community (von links). Vorstellung des Projekts bei der Konferenz "Kosovo Sustainable Development Week" am 4. Juni 2018. 

Bestehendes deutsches Engagement weiter ausbauen
 

Bei den Projektveranstaltungen in Pristina waren von deutscher Seite die GIZ, die KfW und die deutsche Botschaft vertreten. Die deutschen Akteure der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit setzen in Kosovo bereits viele Impulse im Energiesektor, vor allem durch Projekte zur Energieeffizienz und eine aktive öffentliche Positionierung für die Energiewende. Bisher gibt es jedoch kein direktes deutsches Engagement für Erneuerbare Energien in Kosovo. Die KfW unterstützte Kosovo bei der dringend benötigten Integration in den regionalen Strommarkt durch den Bau einer Hochspannungsleitung mit Albanien, das seinen Strombedarf zu 100% aus Wasserkraft deckt. Aufgrund politischer Kontroversen mit Serbien kann diese Leitung jedoch momentan nicht genutzt werden. Dieser Konflikt ging mehrfach durch die europäischen Medien und die Fachpresse, weil er auch zu Frequenzabweichungen im europäischen Stromnetz führt ("Digitaluhren gehen falsch").  

Wie weiter mit der Kohle?
 

Der Handlungsbedarf ist groß, denn die bestehenden Kohlekraftwerke in Kosovo sind völlig veraltet. Als "schlimmste einzelne Emissionsquelle in Europa" hat die Weltbank das Kraftwerk Kosovo A bezeichnet. Während das Kraftwerk Kosovo B, gebaut in den Jahren 1977-1984, noch intakt ist, hat das Kraftwerk Kosovo A, gebaut in den Jahren 1960 bis 1975, seine technische Lebenszeit schon längst überschritten und sollte bereits vor Jahren stillgelegt werden. Nach einer Explosion im Kraftwerksblock A im Jahr 2014 wurde der Elektrofilter des Kraftwerksblocks erneuert. Dies hatte zwar eine Verringerung der Staubemissionen zur Folge, die Emissionen anderer Schadstoffe wie Stickstoffdioxid liegen aber weiterhin deutlich über den europäischen Grenzwerten. Die beiden Kraftwerke verursachen immense Kosten im Gesundheitssystem. Doch wie weiter mit der Kohle? Die seit Jahren von der kosovarischen Politik favorisierte Lösung ist es, ein neues Braunkohlekraftwerk "Kosova e Re" ("Neues Kosovo") zu bauen. Dieses Vorhaben wurde von der amerikanischen Regierung stark unterstützt, ist jedoch höchst umstritten und  kommt seit Jahren nicht weiter. Im Verfahren gab es am Ende nur noch einen amerikanischen Bieter (ContourGlobal). Nun hat auch noch die Weltbank ihre Zusage für die notwendigen Bürgschaften in Frage gestellt.

Übersicht der 13 neu geplanten Kohlekraftwerke im Balkan von Bankwatch (The Great Coal Job Fraud, November 2016, S.8)

 

Der klimapolitische Druck wächst
 

Der klimapolitische Druck auf die Westbalkan-Länder und weitere südosteuropäische und kaukasischen Staaten wächst indes: Im Rahmen des Energy Community-Vertrages haben sich sechs Staaten des Westbalkan sowie Georgien, Ukraine und Moldawien verpflichtet, die Regeln und Prinzipien ihrer Energiemärkte an jene der Europäischen Union anzugleichen. Sie müssen seit Anfang 2018 auch die EU-Emissionsrichtlinien für Kraftwerke einhalten, die alte Kraftwerke bei weitem nicht erfüllen. Hinzu kommt, dass das Sekretariat der Energy Community in seinem neuen Wachau Manifest  explizit Klimapolitik auf die Agenda gesetzt hat und die Mitgliedsstaaten auffordert, "pro-aktiv nach Alternativen für die Kohle zu suchen". Die Mitgliedsstaaten sollen ambitioniertere Ziele für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz verabschieden und ihre NDC im Sinne des Paris Agreements überarbeiten. Entsprechende integrierte nationale Energie- und Klimapläne werden dieses Jahr in zwei Arbeitsgruppen ausgehandelt.

Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren
 

Allerdings ist bereits der Fortschritt beim Erreichen der bestehenden EnC-Ziele langsam. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich unter anderem zu besserer Energieeffizienz, nachhaltigen Energiesystemen, Klimaschutz und Liberalisierung der Energiemärkte. Allein das ambitionierte Erneuerbaren-Ziel von Kosovo hat es in sich: 29,5% am Gesamtenergieverbrauch will das Land bis zum Jahr 2020 aus Erneuerbaren erzeugen. Selbst wenn man die nicht-nachhaltige Nutzung von Holz mit veralteter Technologie hinzurechnet, kam das Land 2017 nur auf 18%."Wir brauchen ernsthaften politischen Willen, damit neue Projekte für Erneuerbare Energien geplant und umgesetzt werden", erklärte bei der Projektveranstaltung in Pristina Arbnor Kastrati, stv. Vorsitzender des Verbands erneuerbarer Energien in Kosovo. Um mehr Momentum zu erzeugen, steht in der politischen Kerngruppe des Germanwatch-Projekts Anfang Oktober 2018 nun "Versorgungssicherheit und Netzausbau für Erneuerbare" auf dem Programm.  Ein Thema, das auch die Energy Community in ihrem Manifest als eine der wichtigsten Fragen für eine Energiewende identifiziert hat. In einem Workshop im Oktober werden deutsche und kosovarische ExpertInnen mit den politischen Verantwortlichen mögliche Lösungen diskutieren und Ideen entwerfen. Der naturgemäß kritische kosovarische Übertragungsnetzbetreiber KOSTT sieht damit seiner Sorge Rechnung getragen. Versorgungssicherheit und Netzausbau waren für ihn und viele andere Kernteam-Mitglieder die prioritären Themen.

Die Studie "Phasing in Renewables" hat damit ihren ersten Zweck erfüllt: Sie hat Herausforderungen aufgezeigt, Entscheider zusammengebracht und eine Grundlage für die Diskussion um die kosovarische Energiewende gelegt.


In Kooperation mit:

Gefördert durch:                                                    Mit Mitteln des BMZ:

                         


Ein kurzer Überblick über die Eckdaten der kosovarischen Energieversorgung findet sich auf der Website des Balkan Energy Prospect.